Soziologie

Wie kommt man in die Spitzenpolitik?

Ein Grazer Forschungsteam hat mehr als 1500 Karriereprofile untersucht. Die Rekrutierungssysteme scheinen heute ähnlich zu sein wie vor 70 Jahren.

„Mama, ich möchte Spitzenpolitiker werden!“ Wer das meint, sollte sich schon früh nach dem richtigen Umfeld umsehen. Denn bis heute zeichnen sich die Laufbahnen von Politikerinnen und Politikern in Österreich durch vielfältige institutionelle Anbindungen aus. Typisch sind etwa Mitgliedschaften in Bünden und Verbänden, aber auch in Gewerkschaften und Kammern. Das zeigt die Analyse eines Forschungsteams am Institut für Soziologie der Uni Graz, an der auch Studierende mitarbeiten.

Für das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Nationale und lokale politische Eliten in Österreich“ untersuchen sie mehr als 1500 Karriereprofile von Mitgliedern des österreichischen Nationalrats zwischen 1950 und 2019. „Das Interessante ist, dass sich die Rekrutierungssysteme im Verlauf der Zweiten Republik kaum verändert haben, obwohl sich das Parteiensystem verändert hat“, sagt Projektleiter Philipp Korom.

Allerdings ist auch nicht alles beim Alten geblieben: Zu erkennen sei etwa seit den 1970er-Jahren eine abnehmende Rolle der Gewerkschaft als Rekrutierungspool für die SPÖ. In der ÖVP hätten heute weniger Abgeordnete einen Bauernbund-Hintergrund. „Aber im Wesentlichen haben die Abgeordneten über den gesamten Zeitverlauf sehr ähnliche Biografien“, erläutert der Soziologe und PsychologeKorom.

In der ÖVP zeige sich beispielsweise die bündische Struktur, egal, welchen Zeitverlauf man sich anschaue. Und auch für die Unterrepräsentation von Frauen im Nationalrat seien in den Daten bereits Erklärungsansätze zu finden. So sehe man, dass der Sprung aus der Kommunalpolitik, etwa vom Bürgermeisteramt in den Nationalrat, eher Männern offensteht.

Methode aus Molekularbiologie

Das Forschungsteam nutzt für seine 2019 gestarteten Arbeiten, die noch bis nächstes Jahr andauern, mit der Sequenzanalyse eine Methode aus der Molekularbiologie: Dort wird das computergestützte Verfahren eingesetzt, um genetische Muster zu entschlüsseln. In der Soziologie geht es hingegen um das Aufspüren von Mustern auf der Karriereleiter der Politik. Eine Sequenz bildet den gesamten beruflichen Lebenslauf eines Politikers als Folge verschiedener Berufsstadien ab, die jeweils über eine bestimmte Zeit andauern. So sollen die Lebensläufe der Politiker und Politikerinnen im Zeitverlauf, samt Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Veränderungen erfasst werden.

Mithilfe von Abgleichungsverfahren will das Grazer Forschungsteam Überschneidungen in den Karriereverläufen finden, Cluster bilden und schließlich Typologien typischer Karrieren erstellen: „Wir schauen uns also nicht nur an, ob zwei Politiker idente Karrierekonstellationen hatten, sondern auch, ob sie diese zum selben Zeitpunkt im Leben hatten“, erklärt Korom. Mitunter dürfte es also auch einfach nur darum gehen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

(APA/gral)

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