Popkritik

Bei ihm fühlt man sich sicher: Harry Styles begeisterte in Wien

Entertainment Bilder des Tages Harry Styles on NBC Today´!s Citi Summer Concert Series at Rockefeller Center. May 19, 202
Entertainment Bilder des Tages Harry Styles on NBC Today´!s Citi Summer Concert Series at Rockefeller Center. May 19, 202(c) IMAGO/TheNews2 (IMAGO/Niyi Fote)
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Harry Styles, der neue Superstar des Pop, verfügt über reichlich Charme, Stimme und gutes Aussehen. Und er weiß, das alles strategisch klug einzusetzen. So bebte die Wiener Stadthalle am Samstagabend vor guter Laune.

„Notfall!“ flackerte vormittags auf Facebook auf. Eine Schneiderin oder ein Schneider wurde gesucht, die/der sich um 14 Uhr samt Nähmaschine in der Stadthalle einfinden sollte – „um Harry Styles' Garderobe zu reparieren“. Das löste sicherlich ein paar Tagträume aus. Wäre ihm der Hintern aus der Hose gerutscht? Hätte er sein Schmetterlingstattoo auf der Brust nicht verstecken können? Was auch immer los war, die Sache war bald aus der Welt geschaffen. Also nicht mehr anrufen, bitte.

Und dann schwebte er schon ein. Niemand kann das derzeit mit so einer Nonchalance wie Styles. Das war auch in der Wiener Stadthalle nichts anders. Mit Schachbrettmusterhose und einem bedruckten Rippleiberl tänzelte der Schöni so herrlich ungelenkt, dass ihn auch Skeptiker lieb haben mussten.

„Ich hab dich lieb“ zum Nachbarn

Seine Lässigkeit sollte niemanden verwundern. Der 28-jährige hat seit 2019 gewaltigen Rückenwind. Er ist nicht nur unverschämt sympathisch und musikalisch clever unterwegs, sondern spielt zudem perfekt auf der Klaviatur des harmoniesüchtigen Zeitgeists. Etwa, wenn er, etwas später in der Show, alle aufforderte, dem Nachbarn zu sagen: „Ich habe dich lieb.“ Pff. Das in einer Welthauptstadt des vitalen Zwiderseins. Zähneknirschend taten viele, was ihnen Styles, der aktuelle Messias des Pop, gebot.

„God is love“ heißt es im Gospel. „Love on Tour“, heißt es bei Styles. Die Musik, mit ihren butterweichen Bassläufen und schwebenden Melodien, war ideales Vehikel für seine Botschaften von der Unterstützung der Ukraine bis zur ostentativ gelebten Solidarität mit der queeren Community. Gewiss, Styles, der alte Schwerenöter, der sich als einer der Sänger der auf dem Reißbrett der Casting Show „X-Factor“ entworfenen Boygroup One Direction vorzugsweise mit weiblichen Unterwäsche-Models beschäftigte, stößt bei Teilen der LGBTQ+-Bewegung auf Skepsis stoßen. Insgesamt ist aber alles hunky dory, wienerisch gesagt: leiwand. Seit David Bowie sich 1971 auf seinem Album „Hunky Dory“ als Frau präsentiert hat, lösten derlei Selbstinszenierungen stets Popularitätsschübe aus. Während die groben Reize der Rockmusik größtenteils auf Testosteronüberschuß gebaut sind, hat sich Pop als ein Medium etabliert, in dem sich in subtiler Klangsprache komplizierte Verhältnisse abbilden ließen.

Selbige sind die Spezialität von Harry Styles. In seinem Tun strebt er ganz pragmatisch das Mögliche an. Im sachte vor sich hin groovenden „Late Night Talking“ etwa bietet Styles seinem etwas geknickten Gegenüber sein Ohr an: „If you're feeling down, I just wanna make you happier baby“, flötet er sachte. Und überhaupt: „Treat People With Kindness“, so ein anderer Songtitel.

Vielleicht macht ihn gerade diese kleine Perspektive so anziehend. Er verspricht weder Mond noch Sterne, ja nicht einmal ein Edelweiß. Einfach nur dezente Aufhellung der Stimmung. „I'm not going to get lost, I'm not going to go broke, staying cool“, beschwor er im Opener „Music For A Sushi Restaurant“ sein (ziemlich sicher) weibliches Gegenüber. Er ist ein Verführer, der sich des Gestus des Gefahrlosen bedient. Styles signalisiert: „Bei mir bist du sicher.“

Wunderbar wattige Sounds

Und so fühlte man sich auch. Alles war in Pastellfarben getaucht. Flugs verwandelte sich die hässliche Wiener Stadthalle in einen Safe Space. Die wunderbar wattigen Sounds von Multiinstrumentalistin Ny Oh taten ihre sedierende Wirkung. Seit seinem zweiten, exquisiten Solo-Album „Fine Line“ von 2019 nimmt Styles stramm Kurs auf die Ästhetik der Siebzigerjahre. Seinen Glockenhosen entsprechen die zuweilen schwelgerisch ausufernden Arrangements. Styles Musikgeschmack ist sophisticated. Er liebt Van Morrisons poetisch-empfindsames „Astral Weeks” so sehr, dass er dessen Schöpfer persönlich treffen wollte. Resultat: ein Foto mit dem für seinen Grant berühmten Iren, auf dem dieser breit grinst. Zudem verehrt Styles die Musik des Japaners Harumi Hosono. Dessen Album „Hosono House“ mag er so sehr, dass er sein aktuelles, sehr souliges Album „Harry's House“ betitelte.

In diesem Kabäuschen ist gut kuscheln. Etwa zum flirrenden Liebeslied „As It Was“, einem Highlight dieses Abends. „In this world, it's just us“, hieß es da so schlicht wie wirkmächtig. Dann der bejubelte Rückgriff auf „What Makes You Beautiful“. Vor sieben Jahren gastierte Styles damit noch mit One Direction im Wiener Stadion. Damals stach Liam Payne noch als Alphabub aus der Truppe heraus. 2019 nahm Payne ein Album auf, dessen Erfolg überschaubar (Platz 17 in UK, 111 in den USA) war. die Karriere versandete.

„I just think you're cool"

Ganz anders verlief die Sache bei Styles. Er ist heute die aktuelle Ikone des Pop, feinnervig und ein blendender Sänger in der Tradition eines George Michael und Justin Timberlake. Und er füllt Stadien diesseits und jenseits des Ozeans. Warum? Wahrscheinlich weil er sich in seinen Liedern nur wenig ichbezogen gibt. In ihnen kommt das Ich vorzugsweise in Fühlung mit einem Du zur Geltung. Etwa, wenn er im sanft pulsierenden Ohrwurm „Cinema“ fragte: „I just think you're cool, I dig your cinema. Do you think, I'm cool too. Or I'm I too into you?” Raffiniert pflanzt er die Vision, einen hübschen Burschen in sich verliebt gemacht zu haben, in alle Köpfe. Dazu tanzt er so tapsig, dass man ihn am liebsten adoptieren und vor der Welt beschützen wollte.

Für den Zugabenblock hatte er sich seine größten Hits aufgespart. Darunter „Watermelon Sugar“, seine hübsche Hymne auf Oralsex. „Tastes like strawberrys on a summer evening, I want more berries.“ Jetzt gilt es, zu genießen. Herbst wird es früh genug.

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