Geldpolitik

Das Gespenst eines EZB-Halbprozentschritts verschwindet nicht

APA/dpa/Frank Rumpenhorst
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Egal wie sehr eine Mehrheit in der Europäischen Zentralbank versucht, die Idee eines Zinsschritts um einen halben Prozentpunkt abzutun - die Argumente dafür bleiben auf dem Tisch.

Die steigende Inflation, der Abstieg des Euro unter die Parität zum Dollar und der Eindruck, dass die Ratsmitglieder der Entwicklung hinterherhinken, sind nur einige Gründe, die für eine deutliche Anhebung am Donnerstag sprechen. Dagegen spricht unter anderem die eigene Festlegung der EZB auf eine Anhebung um einen Viertelpunkt, die Akzeptanz dieser Festlegung durch den Markt, sowie die unsichere Wachstumsaussichten und die politische Unruhe in Italien.

“Es stimmt, dass sie etwas anderes kommuniziert haben”, sagt Martin Weder, Ökonom bei der Zürcher Kantonalbank und einer der wenigen, der eine Anhebung um einen halben Punkt prognostiziert. “Die Zeichen deuten eindeutig auf eine Normalisierung der Zinssätze hin - und die EZB hat noch nicht einmal damit begonnen.”

Die Abwägung zwischen dem Risiko von Turbulenzen am Bondmarkt und der Sorge, die Kontrolle über die Inflation zu verlieren, wird eine der schwierigsten Entscheidungen der EZB seit Jahren - nicht zuletzt, weil der Rat am Donnerstag auch über das Kriseninstrument spricht, mit dem die Auswirkungen auf Italien eingedämmt werden sollen.

Nur eine kleine Minderheit der Ratsmitglieder hat sich öffentlich für eine Anhebung um einen halben Punkt ausgesprochen. Präsidentin Christine Lagarde bezeichnete die Anhebung um einen Viertelpunkt als “Intention”, wies aber darauf hin, dass noch keine Entscheidung getroffen worden sei. Der belgische Gouverneur Pierre Wunsch, normalerweise ein Falke, sieht es gleichwohl als “beschlossene Sache”. Fast alle Ökonomen erwarten diese Entscheidung, ebenso die Investoren.


Hier ist ein Blick auf einige Argumente, die diese Position
bei der Ratssitzung in Frankfurt auf die Probe stellen könnten.

Inflation

Lagarde betont immer wieder, dass die EZB “datenabhängig” sei – und die Daten zeigen eine Inflation, die sogar über ihren Rekordwert von 8,6 Prozent hinaussteigt. Neue Prognosen der Europäischen Kommission zeigen für das kommende Jahr immer noch das Doppelte des 2%-Ziels der EZB. “Die EZB hat eingeräumt, dass sie immer wieder von der Inflation überrascht worden ist”, sagt Michael Schubert, Volkswirt bei der Commerzbank in Frankfurt. “Wenn sie argumentiert, dass sie im Falle von Aufwärtsrisiken mehr tun muss, dann sollte das auch für die Juli-Sitzung gelten.”

Gegen diese Argumentation können die Befürworter eines Viertelpunkt-Schrittes einen Rückgang der Preiserwartungen an den Finanzmärkten und die Tatsache anführen, dass die Inflation hauptsächlich angebotsgetrieben ist. Sie können auch davor warnen, dass ein großer Zinsschritt einen Konjunktureinbruch beschleunigen könnte.

Glaubwürdigkeit

Die meisten Wirtschaftsexperten meinen, dass die EZB zu spät handelt. Die deutschen Gewerkschaften fordern Lohnerhöhungen von 8 Prozent und mehr - was auch als Zeichen für geringes Vertrauen in die Entschlossenheit der Währungshüter gelesen werden kann. Ein energischer Schritt zum jetzigen Zeitpunkt könnte dieses Vertrauen bei Finanzmärkten, Verbrauchern und Unternehmen stärken. Allerdings ist die EZB auch um die Glaubwürdigkeit ihrer Worte besorgt. Die Notenbanker haben einen Viertelpunkt versprochen. Ein Rückzieher könnte in den Augen des Marktes ihre Verlässlichkeit infrage stellen.

Globale Straffung

Bis Ende nächster Woche könnte die US-Notenbank die Zinsen um insgesamt 250 Basispunkte angehoben haben. Die Zurückhaltung der EZB lastet auf dem Euro, der gegenüber dem Dollar auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahrzehnten gefallen ist. Eine Zinserhöhung um einen halben Basispunkt könnte die gemeinsame Währung festigen und verhindern, dass ihre Schwäche die Inflation weiter anheizt.

Marktturbulenzen

Die EZB heckt derzeit ein Kriseninstrument aus, um “unangemessene” Spekulationen gegen italienische Staatsanleihen einzudämmen, was dem EZB-Rat Spielraum für eine Zinserhöhung geben sollte. Andere Zentralbanken - etwa die Schweizerische Nationalbank - haben gezeigt, dass ein überraschend großer Zinsschritt nicht unbedingt Panik auslösen muss. Freilich sind der jüngste Anstieg der italienischen Renditen und die schwelende politische Krise in Rom eine erneute Warnung.

Sieben Wochen

Wenn jetzt kein großer Schritt unternommen wird, dauert es sieben Wochen bis zur nächsten planmäßigen Gelegenheit zum Handeln nach der Sommerpause der EZB. Jede Dringlichkeitssitzung vor diesem Zeitpunkt birgt die Gefahr, Panik zu schüren. “Was bringt es, zu warten?”, fragt Halbprozent-Befürworter Weder von der ZKB. “Sie sind bereits im Rückstand und werden noch weiter zurückfallen, wenn sie noch zwei Monate warten.”

(Bloomberg)

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