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Die EZB wandelt nun "auf dünnem Eis"

Crowds of people on Via Del Corso shopping street in Rome, Italy
Crowds of people on Via Del Corso shopping street in Rome, ItalyGetty Images
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Zur hohen Verschuldung der Südländer kommt nun die Regierungskrise in Italien. Angesichts der bevorstehenden Zinswende sucht die Europäische Zentralbank zu retten, was noch zu retten ist. Und wandelt an der Grenze des Legalen. Ein Schweizer Experte wittert einen Ausweg.

Die Europäische Zentralbank (EZB) plant im Zuge der anstehenden Zinswende ein neues Instrument zur Stützung hoch verschuldeter Euroländer wie etwa Italien. Das ohnehin politisch heikle Unterfangen droht Volkswirten zufolge wegen der Turbulenzen in Rom noch brisanter zu werden. Europa treibt die Sorge um, die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi könnte zerbrechen und das EU-Gründungsmitglied in eine ungewisse Zukunft stürzen.

Laut Silvia Ardagna und Ludovico Sapio von der britischen Großbank Barclays kann das Mittelmeerland nicht von dem neuen Werkzeug profitieren, wenn sich die Finanzierungsbedingungen aufgrund politischer Entwicklungen verschlechtern.

Wie das Werkzeug genau ausgestaltet wird, ist noch unklar. Doch dürften Staatsanleihekäufe dazu gehören. Experten verweisen darauf, dass die EZB in rechtlich gefährliches Fahrwasser geraten könnte. Denn inmitten einer politischen Regierungskrise ein Land mit Staatsanleihenkäufen zu unterstützen würde all den Kritikern – besonders in Deutschland – neue Argumente an die Hand geben, nachdem sie solche Käufe der EZB schon immer als verkappte Staatsfinanzierung angesehen haben.

Kampf gegen „Fragmentierung“

Commerzbank-Ökonom Michael Schubert sieht die EZB vor einer Gratwanderung: Je effektiver sie das neue Programm gestalte, indem sie Käufe unter lediglich lockeren Bedingungen zulasse oder niedrigschwellig und mit potenziell großen Volumina interveniere, desto mehr begebe sie sich „aus rechtlicher Sicht auf dünnes Eis“. Denn im Maastricht-Vertrag der EU ist der EZB die monetäre Staatsfinanzierung explizit verboten.

Für Frederik Ducrozet, Chefkonjunkturanalyst beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet, ist klar: „Eine selbstverursachte politische Krise in Italien ist der Lehrbuch-Fall einer Situation, in der die EZB nicht intervenieren sollte.“ Die EZB will mit dem neuen Instrument eine unerwünschte Ausweitung der Anleihe-Renditeunterschiede (Spreads) bekämpfen, was sie zumeist als „Fragmentierung“ bezeichnet.

Die Renditen für Staatsanleihen der Euroländer waren im Zuge der erwarteten EZB-Zinswende im Sommer gestiegen – besonders kräftig bei Bonds hoch verschuldeter Länder wie Italien. Das bedeutet höhere Finanzierungskosten für diese Staaten. Im Juni hatte sich zeitweise der Renditeabstand italienischer 10-jähriger Staatspapiere zu deutschen Bundesanleihen gleicher Laufzeit, die bei Investoren als Goldstandard gelten, auf 2,50 Prozentpunkte ausgeweitet. Die Angst vor dem Aufkommen einer neuen Eurokrise ging um.

Schulden und Regierungskrise

Der Grund, warum Investoren sich von Italiens Staatspapieren trennen und die Renditen dadurch nach oben treiben, liegt auf der Hand: Anleger blicken angesichts der bevorstehenden EZB-Zinswende verstärkt auf das schwache Wirtschaftswachstum des Lands und auf die zu erwartenden höheren Zinskosten, die auf den Staat zukommen. Der italienische Staat hat bereits einen Schuldenberg von 2,5 Billionen Euro aufgehäuft. Heuer könnte die Staatsverschuldung 150 Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen.

Doch der jüngste Anstieg der Risikoaufschläge hat einen anderen Grund: Nach dem abgelehnten Rücktrittsgesuch Draghis steht die Regierung in Rom auf der Kippe. Ein Szenario bei Neuwahlen: Die rechtsextreme Partei Brüder Italiens könnte zur stärksten Kraft im Parlament aufsteigen. Kritiker des neuen EZB-Werkzeugs, wie etwa Deutsche-Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, haben darauf hingewiesen, wie schwierig es sei festzustellen, ob eine Ausweitung der Spreads ungerechtfertigt sei oder nicht. Er geht davon aus, dass entsprechende Preisentwicklungen und Rendite-Ausweitungen am Markt so lange fundamental begründet sind, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Deutschland im Blick

Die EZB muss bei ihren Planungen auch immer Deutschland im Blick haben: Gegner ihrer Anleihen-Kaufprogramme waren bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen. Das ist auch EZB-Chefin Christine Lagarde bewusst. Das neue Werkzeug dürfte daher an Bedingungen geknüpft werden. Voraussetzung dafür, dass es zum Einsatz kommt, könnte sein, dass die von der EZB gestützten Länder die ökonomischen Empfehlungen der EU-Kommission und die Bedingungen des europäischen Corona-Wiederaufbaufonds einhalten. Zudem könnte gefordert werden, dass die EZB, die EU-Kommission oder der europäische Rettungsfonds ESM dem betreffenden Land die Schuldentragfähigkeit attestiert.

Ball zurückspielen

Dies dürfte nach Einschätzung von Pictet-Experten Ducrozet auch ein Weg sein, interne Kritiker zu besänftigen. Währungshüter würden immer über den Begriff einer „ungerechtfertigten Verschärfung“ der Finanzierungsbedingungen streiten, meint Ducrozet. Aber sie würden wahrscheinlich einhellig darin übereinstimmen, dass eine notwendige Bedingung für eine Unterstützung durch die EZB darin bestehen sollte, dass Regierungen die Reform-Agenda der EU einhalten. „Mit anderen Worten, die EZB könnte ein mutiges Anti-Fragmentierungstool vorstellen, während sie den Ball an Italien zurückgibt. Du hast die Wahl, Italien,“ so der Experte.

(Apa/Reuters)

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