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Autorin Mithu M. Sanyal: „Ich passte perfekt ins Straßenbild“

Sanyal hatte Reisen lang schrecklich gefunden, doch irgendwann „machte es Klick“ bei ihr.
Sanyal hatte Reisen lang schrecklich gefunden, doch irgendwann „machte es Klick“ bei ihr.Brecon Beacons
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Die deutsche Autorin Mithu M. Sanyal, mit polnischen und indischen Wurzeln, fühlte erst in London, dass ihr ein Gewicht von den Schultern genommen wurde.

Mithu Melanie Sanyal gehört seit „Identitti“ (2021), einer scharfsinnigen und vergnüglichen identitätspolitischen Therapiestunde in Romanform, zu den richtungsweisenden deutschen Autorinnen unserer Zeit. Dieser Text spielt in Düsseldorf. Da lag es nahe, nachzufragen, wo sie den Sommer verbringt. Ich erwische sie für unser Gespräch über das Reisen in Hay-on-Wye, der walisischen Bücherstadt (1850 Einwohner), die 1977 ihre Unabhängigkeit von Großbritannien erklärte: The Independent Kingdom of Hay.

Ein Buchhändler rief sich damals zum König aus. Das antiquariatgefüllte Örtchen eignet sich für Sanyal ideal, um am nächsten Buch zu schreiben, wurde ja schon die Idee zu „Identitti“ in Wales geboren: „Wir saßen im Garten eines Cottages unter Sternen und brainstormten, und ich versuchte alles mitzuschreiben, aber da es außer den Sternen und einer flackernden Kerze kein Licht gab, waren diese Notizen nahezu unleserlich.“ Sanyal, Deutsche mit polnischen und indischen Wurzeln, hatte Reisen lang schrecklich gefunden, doch irgendwann „machte es Klick“ bei ihr. „Das Schönste und gleichzeitig Schrecklichste am Reisen ist, dass ich unterwegs gezwungen bin, nicht zu arbeiten – okay, weniger zu arbeiten.“ Lesereisen findet sie hingegen „das Wunderbarste auf der Welt und wahnsinnig anstrengend.“

Ihr aufregendster Trip führte die Autorin, die in Deutschland (wegen des Aussehens) ebenso wie in Indien (wegen der Körpersprache) oft als Ausländerin gelesen wird, nach London. „Mein nächster Roman spielt zum größten Teil 1908 in India House, damals war das ein Boarding House für indische Studenten, aber in Wirklichkeit Hauptquartier der indischen Revolutionäre. Vor einem Monat habe ich es mir angeschaut. Als ich klingelte, öffnete sich wunderbarerweise die Tür, und ein sehr netter Mann zeigte mir, wo sie damals die Bomben gebaut haben.“ London war für sie auch schon beim ersten Besuch mit 15 Jahren eine Offenbarung. „Ich passte perfekt ins Straßenbild. Das war für mich ein unbeschreibliches Erlebnis, so als würde ein Gewicht, von dem ich gar nicht wusste, dass es da war, von meinen Schultern genommen.“

("Die Presse Schaufenster" vom 24.06.2022)

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