Historische Begriffe

Ungarn: Die Rückkehr von Obergespan und Burgbezirk

Nach über 70 Jahren gelangt eines der ältesten ungarischen Ämter zurück in das öffentliche Rechtssystem. Auch grundlegende Gebietseinheiten erhalten wieder ihre alte Bezeichnung.

Der ungarische rechtsnationale Premier Viktor Orban und seine Fidesz-Partei haben die nationale Karte erneut ausgespielt. Denn mit der elften Modifizierung des Grundgesetzes durch ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament gelangt nach über 70 Jahren eines der ältesten ungarischen Ämter zurück in das öffentliche Rechtssystem, das des Obergespans (föispán). Dieser übernimmt ab 2023 die Rolle des bisherigen Regierungsbeauftragten.

Laut Begründung eröffne die Wiederherstellung des Begriffes in das ungarische Rechtssystem die Möglichkeit, dass sich die heutige Verwaltung "mit dem Begriffsarsenal der vorkommunistischen Verwaltung verbindet". Damit sollen verfassungsmäßige Traditionen der tausendjährigen ungarischen Staatlichkeit auch in dieser Form weiterleben. Der Obergespan, früher teils auch Landgraf genannt, war in der ungarischen Geschichte der erste Amtsträger in einem Komitat, der den König repräsentierte.

Auch Burgbezirke kehren zurück

Unter Berufung auf historische Traditionen ändert sich ab 1. Jänner 2023 auch die Bezeichnung der Komitate (megye), die dann die alte Bezeichnung "vármegye" (wörtlich etwa "Burgbezirk" - auf Deutsch ebenfalls "Komitat") heißen sollen.

Ein "vármegye" stellte bis 1949 die grundlegende Gebietseinheit in der ungarischen öffentlichen Verwaltung dar. Nach der Machtergreifung der Kommunisten wurden diese 1950 in "megye" umbenannt und verloren ihren Status als Selbstverwaltungseinheiten. Ungarn besteht aktuell aus 19 Komitaten sowie aus das Hauptstadt Budapest, das in mancherlei Hinsicht als Komitat behandelt wird.

Mit der Einführung der Begriffe "vármegye" und Obergespan fanden die Bestreben von Orban und seiner Fidesz-Partei hinsichtlich nationaler Traditionen erneut den Weg in das Grundgesetz, wie auch vor rund zehn Jahren. Bei der damaligen Modifizierung wurde die Präambel als "Nationales Glaubensbekenntnis" deklariert, die vorher geltende Staatsbezeichnung "Republik Ungarn" abgeschafft und festgeschrieben: "Der Name unserer Heimat ist Ungarn. Eheschließungen können nur zwischen Mann und Frau zustande kommen."

Opposition kritisiert hohe Kosten

Auch einzelne Abgeordnete von Fidesz zeigten Bedenken gegenüber der aktuellen Änderung des Grundgesetzes, wie Bauminister János Lázár, der den Vorschlag im Vorfeld öffentlich kritisiert hatte und dann laut den Daten des Parlaments nicht an dem Votum teilnahm. Die Opposition kritisiert die damit verbundenen hohen Kosten zu einer Zeit, in der die Regierung Einschränkungen und Sparmaßnahmen gegen die Bürger einführe. Unter den 19 ernannten neuen Obergespanen befindet sich eine Frau.

Nach einer aktuellen Umfrage des Institutes Publicus antworteten auf die Frage, "ob das Nationalbewusstsein gestärkt wird, indem die Regierungsbeauftragten zukünftig Obergespan heißen", 80 Prozent mit Nein. Unter Fidesz-Anhängern waren es 64, bei den Oppositionellen 96 Prozent, zitierte die Zeitung "Népszava" in ihrem Online-Portal.

(APA)

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