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"The Gray Man": Ryan Gosling, Actionstar – wie Bond, nur besser

Ryan Gosling in "The Gray Man".
Ryan Gosling in "The Gray Man".(c) Netflix
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Im hochbudgetierten Netflix-Kracher „The Gray Man“ gibt der Kanadier einen CIA-Killer, der ins Visier seiner Auftraggeber gerät. Als rundum topfitter Übermensch ohne Schattenseiten jettet er um die Welt – und landet auch in Wien.

Jeder will heutzutage James Bond sein. Nicht immer waren Geheimagenten das romantisierte Ideal autarker Männlichkeit: Zumindest bei Autoren wie John le Carré – und Adaptionen seiner Bücher wie „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1965) – schwang bei aller Bewunderung stets auch ein bisschen Bitternis mit, eine aus Verachtung für die skrupellosen Machenschaften verfeindeter Nachrichtendienste geborene Traurigkeit. Indessen bevorzugte das US-Actionkino lang bodenständige, teils etwas abgewetzte Helden: Kriegsveteranen wie John Rambo, hemdsärmelige Jedermänner wie John McClane aus „Stirb langsam“.

Inzwischen ist der im Verborgenen tätige Spezialist, der eilfertige Auftragskiller im Dienste einer unspezifischen „guten Sache“, zum Standardprotagonisten vieler Megablockbuster geworden. Mit der Melancholie eines Alain Delon, der im Klassiker „Der eiskalte Engel“ (1967) ein Vorzeigemodell dieses Figurentypus schuf, haben die modernen Supersöldner, die Kassenschlagerserien wie „Fast & Furious“, „John Wick“ oder „Mission Impossible“ anführen, freilich nur wenig gemein. Diese sind unermüdliche Leistungsmenschen, die ihre Resilienz, „Antifragilität“ und sonstige trendige Durchhaltetechniken mit der Muttermilch aufgesogen haben: allzeit bereit, rundum topfit – und im Vergleich zu einem wie Bond auch moralisch unfehlbar. Nur ein bisschen Unnahbarkeit wird ihnen als Schwäche gewährt.

Ein sexy Mann ohne Eigenschaften

Was sie attraktiv macht, zeigt derzeit mustergültig der Netflix-Kracher „The Gray Man“ – mit einem kolportierten Budget von 200 Millionen Dollar eine der teuersten Produktionen des Streamers. Er folgt dem CIA-Agenten Court Gentry alias Sierra Six, verkörpert vom kanadischen Sexsymbol Ryan Gosling: Dieser hat sich in den letzten Jahren so rar gemacht, dass alleine schon seine Teilnahme den Film reizvoll macht.

Gentry ist eine ausnehmend uninteressante Figur, abgesehen von einem diffusen Vaterkomplex bleibt er ein Mann ohne Eigenschaften. Doch wer braucht Eigenschaften, wenn man Ausstrahlung hat? Ob im purpurroten Blazer oder im taubengrauen Sportpullover: „Six“ wirkt organisch lässig, nie schmähstad, stets tiefenentspannt – ob auf der Couch oder beim Faustkampf auf Leben und Tod. Naturgemäß kommt diese verschlurfte 007 „von außen“; kein Angestellter, sondern ein Bub aus dem Volke, dessen Gerechtigkeitssinn ihn in den Häfn bringt – wo ihn ein Geheimdienst-Ersatzpapa (Billy Bob Thornton) am Anfang des Films rekrutiert.

Passfälschung im Hundertwasserhaus

Jahre später ist Six ein ausgefuchster Vollprofi, der gezielte Tötungen zum Frühstück aus dem Ärmel schüttelt. Bis ein Zielobjekt ihm einen Datenchip zusteckt, der seine Auftraggeber ins Zwielicht rückt. Coolness oblige: Six macht sich selbstständig, um Licht ins Dunkel zu bringen. Und wird so postwendend zum Staatsfeind Nr. 1.

Was folgt, ist ein achtbares Actionspektakel, dass die Brüder Joe und Anthony Russo mit streberhaftem Schmiss inszenieren. Da drehen die Kameradrohnen Pirouetten durch Korridore, da fliegen die Fetzen im Flammenwald eines Feuerwerks, da jettet der Plot von Bangkok bis Prag. Und macht einen Zwischenstopp in Wien im Hunderwasserhaus, wo derzeit offenbar ein Passfälscher (Wagner Moura) haust – gut zu wissen.

Dass die Drehorte weithin echt sind, erfreut: Endlich ein Action-Stück in einer Niederflur-Straßenbahn! Das tröstet über einige lasche Computereffekte hinweg. Ebenso wie das gegen sein Image gebürstete Casting von „Captain America“ Chris Evans als Bösewicht. Er gibt einen feixenden CIA–Schergen mit „Pornobalken“: Ein Folterer, ein Sadist, und – hier noch viel schlimmer – ein eingebildetes Arschloch. Dieses liefert sich auch verbal amüsante Duelle mit Six.

Der wirkt seinerseits wie ein Superheld aus den „Avengers“-Filmen der Russos – ein makelloser Disney-Übermensch. Als hätte man die Schattenseiten von Goslings stilbildendem Antihelden aus dem Thriller „Drive“ bereinigt, indem man ihn mit den beliebten Memes kreuzte, die den Star im Netz zum perfekt respektvollen Gspusi stilisieren. Auch Six darf den Beschützer mimen, die herzkranke, frühreife Tochter seines Mentors (Julia Butters) von Fieslingen fernhalten. Mitkämpfen dürfen ein paar andere Frauen – Ana de Armas, Alfre Woodard – ihre Auftritte bleiben aber ebenso randständig wie die des tamilischen Stars Dhanush. Kein Platz für Statisten, wenn der Agent des Guten wütet! Wofür genau ficht er nochmal? Könnte er sich nicht in einem anderen Beruf sinniger verwirklichen? Angeblich herrscht derzeit ein Fachkräftemangel: Wie wär's mit Lehrer, Pfleger, Bäcker, Koch? Nein? Na ja – einen Versuch war es wert.

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