Redebedarf

"Der 'Hallo' is scho gsturbn"

100 Rätsel der Kommunikation, Folge 8. Gespräche zwischen Gast und Kellner laufen heute anders. Jedenfalls nicht mehr über Augenkontakt.

Kommunikation mit dem Kellner, das ist immer ein Risiko. Es kann so vieles schiefgehen. Ein Freund will immer deuten, dass er zahlen will und bekommt ständig eine neue Runde Bier hingestellt. Vielleicht liegt's an dem kleinen Kreis, den er mit dem Finger in die Luft zeichnet, habe ich ihm einmal gesagt. Aber der Kellner könnt ja bitteschön sich auch bequemen herzukommen und fragen, was die ungelenke Geste bedeuten soll. Aber zumindest haben beide Gesprächspartner schon viel richtig gemacht. So grundsätzlich. Sie haben sich angeschaut. Der Kommunikationskanal war demnach also offen, die Botschaft hätte tatsächlich ankommen können. Man muss halt nur die richtigen Zeichen über den Kanal schicken.

Mit Augenkontakt fängt vieles an. Vor allem Gespräche. Manche beginnen dann auf der verbalen Ebene mit: „Was schaust denn so deppat?“. Im Lokal hört man dagegen oft „Bitteschön“ oder ein „Bitteschön“ plus ein „Was schaust denn so deppat“, das der Kellner mit dem Gesicht stumm dazuformuliert. Allein deshalb gerät man manchmal statt an gelernte Kellner und Kellnerinnen lieber an andere Gesprächspartner: an gelernte Landbevölkerung, die kellneriert. Sprich: Studierende, die sich ihr Studium beim Kellnern finanzieren. Denn die müssen ja freundlich sein. Sonst werden sie zu Hause in ihrem Dorf sozial sanktioniert. Wer nicht grüßt beim „Nah & Frisch“, soll sich von seiner Thuyenhecke ruhig zuwachsen lassen, sollte das Dorffest besser auslassen und sich nicht wundern, wenn man von ihm behauptet, dass er im Keller außer einem Kärcher noch etwas anderes liegen hat. Die freundlichen Menschen vom Land, die nach Wien kommen, müssen erst lernen, dass man sich mit 16 Euro für Schinkenfleckerl keinen freundlichen Kellner mitkauft. Freundlicher Kellner kosten extra. Und sind aber fast immer aus.

Viele Kellner und Kellnerinnen sind unfreundlich, weil sie schlechte Tage haben. Und sie haben viele davon. Das liegt auch an der Bezahlung. Aber natürlich genauso an den Gästen. Daran, dass sie überhaupt kommen. Oder wenn sie schon da sind, so unnötig aufgeregt winken, „Entschuldigung“ rufen oder „Hallo“. Wer das tut, hat sowieso schon verloren. Denn wie man weiß, liegt der „Hallo“ gleich neben dem „Heast“. Beide schon gestorben. Wer trotzdem „Hallo“ ruft, für den ist das Hirschragout, auf das man sich schon so gefreut hat, leider aus.

Warum können die Gäste nicht einfach das hinnehmen, was man ihnen hinstellt, egal ob man es so bestellt hat, egal ob es warm statt kalt sein sollte, laut Kochbuch. Oder vor allem wär’s toll, wenn sie nicht so ungut durstig und hungrig wären. Dann würden auch die Gespräche besser laufen. Denn mit Hunger ist man grantiger und garstiger. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Und wird täglich in der eigenen Familie unwissenschaftlich verifiziert. Also lieber wenig reden, gar nicht in die Augen schauen, lieber aufs Display in der Hand, auf dem man die ganzen Extrawürstel bonieren muss. Doppelter Kren, halber Senf, süß, scharf, „Hochquellwasser“ für 1 Euro, Extrateller fürs Kind, 2 Euro, wie man es in Urlaubsregionen gerne handhabt. Aber wenn man’s falsch boniert, ist es eh egal. Man war’s ja nicht. Denn Kellner haben immer recht. Das erkennt man schon daran, dass Kellner meist stehen und Gäste sitzen. Natürlich könnte man sich per Freundlichkeit oder Herzlichkeit auf Augenhöhe herunterschrauben. Aber man muss sich auf anderes konzentrieren. Auf diese Preiselbeeren. Und auf das Himbeerwasser mit „Leitung“ (vulgo „Hochquellwasser") auf einen halben Liter mit rotem Strohhalm, aber das Wasser bitte nicht zu kalt. 

Bei guten Wirten aber dürfen Kellner und Kellnerinnen auch einmal Unrecht haben. Selbst wenn sie Recht haben. Wenn die Rechnung nicht aufgeht, darf's auch der Kellner gewesen sein. Nicht automatisch der unnötige, Luft und Zeit wegsitzende, aufbegehrende Gast. Schauplatz Café-Restaurant Meierei im Prater: Dort gibt es Schnitzel. Und dort haben die Kellner immer Recht. Aber auch dort müssen sie sich auf anders konzentrieren als auf die Gäste und auf das, was diese bestellen. Auf diese Geräte, mit denen sie irgendwelche Wortfetzen vervollständigen und drahtlos an die Schank und in die Küche schicken. Bitte gleich einen Automaten vorbeischicken am Tisch. Die sind deutlich freundlicher. Wenn man in der „Meierei“ ein Wiener Schnitzel bestellt, bekommt man das „Wiener Schnitzel Original“, das teuerste auf der Karte. Das „Wiener Schnitzel vom Huhn“ und das „Wiener Schnitzel vom Schwein“, das müsste man extra dazusagen. In der Logik der Kellner. Vor allem, wenn man ihn fragt, warum er automatisch das teuerste „Wiener Schnitzel“, also das vom Kalb, boniert hat. „Weil Wiener Schnitzel immer vom Kalb ist“. Da hat er recht, der Kellner. Außer, es ist vom Huhn. Oder vom Schwein und steht trotzdem als „Wiener Schnitzel“ auf der Speisekarte. Das Leben in der Gastronomie ist auch ohne Kommunikation schon kompliziert genug. Siehe Personalmangel etc. Aber manchmal wird’s mit Kommunikation plus Personal auch nicht besser.

100 Rätsel der Kommunikation.

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