Julian Assange kämpft gegen seine Auslieferung an Schweden. Seine Anhänger lancieren derweil Cyber-Angriffe, z.B. auf die Internetseite des Anwalts, der die Klägerinnen im Vergewaltigungsverfahren vertritt.
London/Kopenhagen. Der Kampf um die Enthüllungsseite WikiLeaks wird nun verschärft im Internet selbst geführt: Nachdem Hacker in den vergangenen Tagen die Webseite von WikiLeaks mehrfach lahmgelegt haben, schlagen die Unterstützter der Plattform nun zurück und nehmen systematisch Leute und Firmen ins Visier, die WikiLeaks das Leben schwer machen.
Am Mittwoch wurde durch einen Cyber-Angriff die Internetseite jenes schwedischen Anwalts blockiert, der die zwei Klägerinnen in dem Vergewaltigungsverfahren gegen WikiLeaks-Chef Julian Assange vertritt. Weitere Angriffe gab es gegen eine Schweizer Bank, die Assanges Konto gesperrt hatte, und das Internetbezahlsystem PayPal, das WikiLeaks die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte. Ob auch das Kreditkarteninstitut Mastercard – es wickelt keine Zahlungen zugunsten von WikiLeaks mehr ab – zu den Opfern zählt, blieb zunächst unklar. Die Internetseite des Unternehmens war am Mittwoch zeitweise nicht abrufbar.
Verfahren könnte Jahre dauern
Assange hatte sich am Dienstag den britischen Behörden gestellt, nachdem Schweden einen europäischen Haftbefehl gegen den 39-jährigen Australier erwirkt hatte. Das Verfahren vor einem Gericht im Londoner Stadtteil Westminster wird am Dienstag fortgesetzt: Mindestens bis dahin muss Assange in Untersuchungshaft bleiben, nachdem ihm das Gericht die Freilassung auf Kaution „wegen der Gefahr des Abtauchens“ verweigert hatte.
Assange, der alle Vorwürfe bestreitet, ließ über seinen Anwalt mitteilen, dass er sich gegen eine Auslieferung mit allen rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen werde. Seine Festnahme sei „politisch motiviert“. Wiki-Leaks hat durch seine Veröffentlichung von hunderttausenden geheimen Akten aus dem US-Militär und der US-Diplomatie besonders Washington gegen sich aufgebracht.
Gibt der zuständige Richter in London dem schwedischen Antrag statt, steht Assange eine Auslieferung innerhalb von zehn Tagen bevor, wenn er keinen Einspruch erhebt. Theoretisch könnte der Fall bis zum Supreme Court gehen. Das ist die letzte Instanz, und sie entscheidet entsprechend langsam: Der britische Hacker Gary McKinnon kämpft seit 2002 gegen seine Überstellung an die US-Behörden.
Vergewaltigung, Nötigung, sexuelle Belästigung: Die Vorwürfe, die in Schweden gegen Julian Assange erhoben werden, sind so schwer, dass ihm bei einem Schuldspruch eine Freiheitsstrafe zwischen zwei und sechs Jahren droht. Allerdings steht noch lange nicht fest, ob es überhaupt je zu einer Anklage kommen wird. Zunächst lässt die Staatsanwältin nur nach dem Wikileaks-Kopf fahnden, um ihn zu verhören. Was dieser und sein Anwalt nicht verstehen: Assange sei bereit gewesen auszusagen, ehe er Schweden im Sommer verließ, sagt sein schwedischer Verteidiger Björn Hurtig.
Streit über Verwendung von Kondomen
Über den Tatbestand wird in schwedischen Medien viel spekuliert, viel von den kursierenden Gerüchten wurde von den streitenden Parteien in die Welt gesetzt, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Feststehen dürfte, dass es sich um zwei Fälle handelt, in denen ursprünglich freiwilliger Sex im Streit endete, dass Assange keine Gewalt anwendete, sich seine Partnerinnen anschließend aber ausgenützt fühlten. Zudem dürfte es in beiden Fällen zum Streit über die Verwendung von Kondomen gekommen sein.
Zur Polizei gingen die beiden Frauen erst, als sie miteinander telefoniert und jeweils von den Erfahrungen der anderen gehört hatten. Eine wurde mit der Aussage zitiert, dass Assange eine „verquere Haltung“ zu Frauen habe und ein Nein nicht akzeptiere. In Schweden kann auch schon die Androhung sexueller Handlungen als Vergewaltigungsdelikt gewertet werden. Nachdem die diensthabende Staatsanwältin einen Haftbefehl verhängt hatte, hob eine Vorgesetzte diesen wieder auf, als sie sich mit dem Fall vertraut gemacht hatte. Nach Protest des Anwalts der Frauen nahm eine auf Themen sexueller Gewalt spezialisierte Anklägerin die Untersuchungen wieder auf und schrieb Assange schließlich zur Fahndung aus.
Australien hat seinem Staatsbürger jedenfalls konsularischen Beistand angeboten, und Außenminister Kevin Rudd nahm ihn gegenüber den USA sogar in Schutz: „Herr Assange ist nicht selbst für die Veröffentlichung verantwortlich“, sagte er: „Die Amerikaner sind dafür verantwortlich.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2010)