Die SPÖ setzt ganz auf die Gesamtschule, die ÖVP will in Volksschulen verpflichtenden Sprachförderunterricht. Statt eines Schulterschlusses steuern die Koalitionsparteien noch mehr auf Konfrontationskurs.
Wien/Ett/Apa. „Der Schulterschluss wurde mit der Unterzeichnung des Regierungsprogramms vorgenommen.“ Unterrichtsministerin Claudia Schmied habe von rund 40 Vorhaben aber nur wenige erledigt. Mit Verärgerung reagierte man in der ÖVP-Zentrale am Mittwoch im Gespräch mit der „Presse“ auf den Wunsch der SPÖ-Ressortchefin, nach dem dramatischen Rückfall von Österreichs Schülern im PISA-Test solle es jetzt einen „Schulterschluss“ für Reformen geben. Für einen Schulterschluss stehe die ÖVP zwar zur Verfügung, die von Schmied angestrebte Aufhebung der Zehn-Prozent-Grenze für die „Neue Mittelschule“ ist für die Volkspartei derzeit aber ebenso „kein Thema“ wie die Umstellung auf die Gesamtschule, also eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen.
Statt einem Schulterschluss in der Schulpolitik steuern die Koalitionsparteien nach dem PISA-Flop noch mehr auf Konfrontationskurs. Schmied kündigt im Interview mit der Online-Ausgabe der „Presse“ an, sie wolle mit dem steigenden „öffentlichen Druck“ die ÖVP vom Wegfall der Zehn-Prozent-Grenze für die „Neue Mittelschule“ überzeugen. In diesem Schultyp werde bei den bei PISA abgefragten Kompetenzen angesetzt. In Deutsch, Mathematik und Englisch arbeite man dort mit zwei Lehrern pro Klasse. Damit will sie auch den Chancenausgleich für „Arbeiterkinder“ erhöhen. Die PISA-Ergebnisse sieht sie als Beleg, dass „Herkunft mehr zählt als Talent“.
Karl für Förderunterricht am Nachmittag
Koalitionskoordinator Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) rechnet damit, dass sich die Koalition 2011 auf eine Bildungsreform, wie von Bundeskanzler Werner Faymann angekündigt, einigen kann. Der ÖVP will man klarmachen, dass die Gesamtschule der 10- bis 14jährigen „der richtige Weg ist“.
Für ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger ist eine Debatte über die Gesamtschule „vollkommen daneben“. Die ÖVP, die spätestens Anfang 2011 ein eigenes Bildungskonzept vorlegen wird, drängt in erster Linie auf Verbesserungen in der Volksschule und im Kindergarten. „Das ist bei PISA das Thema: Lesen, Schreiben und Rechnen.“
Gerade weil Österreich beim PISA-Test im Lesen so schlecht abgeschnitten habe, sei die wichtigste Fähigkeit, Deutsch zu können. Ein „Kernelement“ müsse eine eigene Sprachschule in der Volksschule auch in Form eines verpflichtenden Förderunterrichts in Deutsch sein.
Für Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP), die federführend am ÖVP-Bildungskonzept arbeitet, liegt das Hauptproblem in den Volksschulen. Sie schlägt einen verpflichtenden Förderunterricht am Nachmittag für Schüler mit Schwächen vor.
„Verantwortung auch bei den Eltern“
Elternvertreter betonen auch die Eigenverantwortung. Der Vorsitzende des Dachverbandes der Elternvereine an Pflichtschulen, Gerald Netzl, meinte, Eltern sollten Kinder mehr Bücher anbieten und sie dadurch zum Lesen bewegen. Der oberste Elternvertreter an mittleren und höheren Schulen, Theodor Saverschel, betonte: „Man kann die Eltern nicht aus der Pflicht nehmen.“ Allerdings seien viele Alleinerzieher, oder es seien beide Elternteile berufstätig, weshalb keine Zeit für zusätzliche Hilfe bleibe.
Die Elternvertreter drängen daher auf einen weiteren Ausbau der Ganztagsschulen. Angesichts fehlender Reformen warnen sie die Regierung: „Wie viele Hiobsbotschaften sind denn noch notwendig, damit die Regierung ihr verantwortungsloses Stillhalten beendet?“
Die Grünen werden im Rahmen der Budgetberatungen beantragen, dass 1000 zusätzliche Lehrer eingestellt werden. SPÖ und ÖVP würden sich selbst jetzt – nach den katastrophalen PISA-Ergebnissen – in ihren „ideologischen Schützengräben vergraben“, beklagt Grünen-Chefin Eva Glawischnig.
Auch außerhalb des Parlaments steigt der Druck auf die Regierung. Der Industrielle und Ex-Vizekanzler Hannes Androsch will in der ersten Jännerhälfte das von ihm angekündigte „Bildungsvolksbegehren“ vorbereiten. BZÖ-Chef Josef Bucher möchte eine „Allianz für Bildung“ quer über Parteigrenzen schmieden, kann sich aber auch eine Zusammenarbeit mit Androsch vorstellen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2010)