Nachhilfe

Profunde Diagnose statt schneller Lösung

Um auf die individuellen Lerndefizite einzugehen und auch zu motivieren, braucht es ein Vertrauensverhältnis zwischen Schüler und Nachhilfelehrer.
Um auf die individuellen Lerndefizite einzugehen und auch zu motivieren, braucht es ein Vertrauensverhältnis zwischen Schüler und Nachhilfelehrer. Getty Images
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Professionelle Unterstützung beim Lernen ist gefragter denn je. Sie will gut geplant und ausgewählt sein, damit das Modell zu den Bedürfnissen des jeweiligen Schülers passt.

Etwa 27 Prozent aller Schülerinnen und Schüler haben im vergangenen Schuljahr oder in den letzten Sommerferien Nachhilfe bekommen, so eine Studie des Instituts für Empirische Sozialforschung im Auftrag der AK. Hochgerechnet sind das bundesweit rund 164.000 Schülerinnen und Schüler. Der Gesamtbedarf – erhaltene, aber auch vergeblich gewünschte Nachhilfe – beläuft sich auf rund 325.000 und damit auf etwa ein Drittel aller Schüler. Der Bedarf ist also groß. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie man die individuell passende Unterstützung findet.

Bildungspsychologin Christiane Spiel rät, der Entscheidungsfindungeine Diagnose voranzustellen: Gab es einen Bruch in den schulischen Leistungen? Wo und wie ist dieser passiert? Wie sieht die Entwicklung in anderen Fächern aus? Gab es einen Lehrerwechsel? Eltern sollten mit dem Kind besprechen, worin die Probleme liegen und was das Ziel der Nachhilfe sein sollte. „Versteht das Kind nur ein mathematisches Teilgebiet, wie etwa Schlussrechnung, nicht gut, genügt vermutlich punktuelle Hilfe. Oder braucht das Kind grundlegende Unterstützung, um selbstorganisiert zu lernen?“, fragt Spiel. Eine profunde Analyse werde oft verabsäumt, weil eine schnelle Lösung gewünscht ist. „Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Nachhilfe nicht gut funktioniert.“ AK-Bildungsexpertin Elke Larcher bestätigt, dass Nachhilfe immer kurzfristiger gebucht wird, um bei Schularbeiten bessere Noten zu erzielen oder einen Platz in der Wunschschule zu bekommen.

Rechtzeitig und langfristig

Oft fällt die Entscheidung für externe Unterstützung erst, wenn es bereits drängt. Nachhilfe sollte laut Richard Wieland von der Schülerhilfe WienFloridsdorf starten, wenn sich eine Negativspirale abzuzeichnen beginnt. „Die Noten werden meist in einem Fach sukzessive schlechter, weitere Fächer folgen, die Motivation sinkt.

Zu jeweils rund einem Drittel stammt die Lernhilfe von Lehrern, von Instituten oder von Studierenden. Onlineangebote belegen laut Lercher mit einem Anteil von zwei Prozent noch ein kleines Segment.

Einzeln oder in der Gruppe?

Gerade für den Einstieg rät Spiel zu Präsenzangeboten. „Vor allem längere Nachhilfe braucht eine Vertrauenssituation. Besteht der persönliche Kontakt bereits, kann Onlineunterstützung ergänzt werden.“ Je individueller die Lernhilfe, umso besser, verweist Spiel auf die Effektivität von Einzelnachhilfe – didaktische Kompetenzen vorausgesetzt. Bei einer Gruppe ist zu bedenken: „Je größer und heterogener sie ist, desto schwieriger ist es, auf den Einzelnen einzugehen.“ Larcher bekräftigt: „Lernen ist stark beziehungsgeleitet. Es braucht individuelle Interaktion.“ Wieland sieht auch Vorteile in der (Klein-)Gruppe: „Man ist nicht allein mit einem Problem, und der Druck, dass einem unentwegt jemand auf die Finger schaut, ist nicht so hoch. Hat man eine Aufgabe verstanden, wird das Selbstvertrauen den anderen gegenüber gestärkt.“ Zudem betont der Experte, dass es mit der Anmeldung allein nicht getan ist. „Es ist unbedingt notwendig, dass die Schüler aktiv am Lernprozess teilnehmen.“

Um Wissenslücken aufzuarbeiten und neuen Stoff gut abzudecken, rät Wieland zu zwei Terminen pro Woche – längerfristig. Bei einem Nicht genügend braucht es rund ein Jahr, um wieder in einen stabilen Bereich zu kommen. Es kommt ja ständig Neues hinzu. Schrittweise Lernerfolge bringen die Motivation zurück.

Angebote genau vergleichen

Bei der Auswahl eines Angebots sollte man „gut überlegen, was für den Preis geboten wird“, empfiehlt Larcher, „die Dauer der Einheiten, Einzel- oder Kleingruppe, Gruppengrößen und etwaige Einschreibegebühren gilt es zu vergleichen, Frühbucherpreise und Rabatte zu nutzen und andere Kinder und Jugendliche nach ihren Erfahrungen zu fragen.“ Wieland führt bei Instituten noch Argumente wie gut ausgestattete Räume und das Wegfallen von Terminschwierigkeiten ins Treffen.

Ziel der Nachhilfe sollte laut Spiel sein, dass das Kind Aufgaben eigenständig löst. „Ist Nachhilfe ständig ein Thema, sollte man sich fragen, ob der Schultyp passt.“ Die regelmäßige Inanspruchnahme kann das Pensum neben Schule und Hausaufgaben auf ein beträchtliches Maß von bis zu 70Stunden „Arbeitszeit“ steigen lassen. Nachhilfe muss immer gut in den Alltag integrierbar sein – nebst nicht minder wichtigen Freizeitaktivitäten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2022)

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