Abkommen

Der Getreide-Deal steht: Wie die Ukraine Russland vertrauen soll

Die Getreideernte in der Ukraine läuft an - doch die Speicher sind teils noch voll, weil der Export nicht funktionierte.
Die Getreideernte in der Ukraine läuft an - doch die Speicher sind teils noch voll, weil der Export nicht funktionierte.APA/AFP/ANDREY BORODULIN
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Das Abkommen ist unter Dach und Fach, verkündet UNO-Generalsekretär Guterres. Die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine soll von den Konfliktparteien unter UNO-Führung gemeinsam überwacht werden.

Russland und die Ukraine haben mit den Vereinten Nationen und der Türkei eine Lösung für die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus dem Kriegsland Ukraine vereinbart. Sowohl Russland als auch die Ukraine unterzeichneten am Freitag in Istanbul getrennt voneinander entsprechende Vereinbarungen unter Vermittlung von UN-Generalsekretär António Guterres. Die Ukraine zählte vor dem russischen Angriffskrieg zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt.

Das Abkommen "eröffnet den Weg für umfangreiche kommerzielle Lebensmittelexporte aus drei entscheidenden ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer - Odessa, Tschornomorsk und Juschnyj", sagte Guterres. "Dies ist eine Einigung für die Welt". Die Verschiffung von Getreide und Lebensmittelvorräten auf die Weltmärkte werde dazu beitragen, "die globale Versorgungslücke bei Lebensmitteln zu schließen", und die weltweiten Nahrungsmittelpreise zu stabilisieren. "Es wird den Entwicklungsländern am Rande des Bankrotts und den am meisten gefährdeten Menschen am Rande einer Hungersnot Erleichterung bringen", so Guterres.

"Mit dem in den kommenden Tagen startenden Schiffsverkehr öffnen wir einen neuen Atemweg vom Schwarzen Meer in viele Länder der Welt", sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der ebenfalls bei der Zeremonie anwesend war. Es sei ein "historischer Tag".

EU will Umsetzung unterstützen

"Dieses Abkommen kann Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zugute kommen", schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel am Freitag auf Twitter. Die konsequente Umsetzung sei nun von größter Bedeutung. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einem "Schritt in die richtige Richtung". Zugleich forderte er, das Abkommen schnell umzusetzen. Die EU sei entschlossen, den Export von ukrainischem Getreide zu unterstützen. "Durch Russlands illegale Invasion in die Ukraine sind Millionen von Menschen vom Hunger bedroht." Michel und Borrell dankten den Vereinten Nationen und der Türkei für ihre Bemühungen um Vermittlung bei der Vereinbarung.

Auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) begrüßte die Vereinbarung. "Die Einigung zwischen den Vereinten Nationen, der Türkei, Ukraine und Russland ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dadurch kann wieder mehr ukrainisches Getreide exportiert werden", sagte er laut Aussendung. "Das ist vor allem für die Lebensmittelversorgung im Nahen Osten und afrikanischen Ländern überlebenswichtig. Ebenso werden in der Ukraine dadurch dringend benötigte Lagerkapazitäten für die heurige Ernte wieder frei. Die globale Lebensmittelversorgung ist auch eine Frage unserer nationalen Sicherheit."

Wegen des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland können noch etwa 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine nicht exportiert werden. Die Nahrungsmittel werden jedoch auf dem Weltmarkt - vor allem in Asien und Afrika - dringend benötigt. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt schon vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten.

Gemeinsames Koordinationszentrum

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte erst am Dienstag mit seinem türkischen Kollegen Erdogan bei einem Treffen in der iranischen Hauptstadt Teheran über den Konflikt um das Getreide gesprochen. Vereinbart wurde nun nach UN-Angaben ein humanitärer Korridor zwischen der Ukraine und dem Bosporus - der Meerenge zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer. Demnach wird der Export von einem gemeinsamen Koordinationszentrum mit Vertretern der Vereinten Nationen, Russlands der Ukraine sowie der Türkei in Istanbul überwacht. Ein ranghoher UN-Funktionär nannte das Zentrum den "Herzschlag der Operation".

Zudem einigten sich die Parteien den Angaben zufolge darauf, dass Schiffe mit dem Ziel Ukraine zunächst in Istanbul durchsucht werden, um sicherzustellen, dass sie keine Waffen oder Ähnliches geladen haben. Eine weitere Kontrolle solle es dann in der Türkei geben, wenn die Schiffe aus der Ukraine kommend das Schwarze Meer wieder verlassen wollen. Damit solle sichergestellt werden, dass ausschließlich Getreide an Bord ist. Das war eine Bedingung Russlands gewesen.

Schiffe in dem humanitären Korridor und die beteiligten Häfen dürften dabei nicht angegriffen werden. Dieser Punkt wird in New York so interpretiert, dass an diesen strategisch wichtigen Orten - zum Beispiel im Hafen Odessas - faktisch eine Waffenruhe gelten soll. Das Abkommen soll den Angaben zufolge zunächst für vier Monate gelten. Der UN-Funktionär machte aber deutlich, dass eine Verlängerung bis zum Ende des Krieges angestrebt werde. Die Umsetzung des Abkommens - und damit die Ausfuhr von Nahrungsmitteln aus der Ukraine - könnte nach UN-Angaben noch einige Wochen dauern.

(APA/Reuters/dpa)

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