Romane

Kein Land für junge Frauen

Amelie NOTHOMB alias Fabienne Claire Nothomb BEL Autorin mit Hut am 11 10 2017 Frankfurter Buc
Amelie NOTHOMB alias Fabienne Claire Nothomb BEL Autorin mit Hut am 11 10 2017 Frankfurter Buc(c) imago/Sven Simon (Anke Waelischmiller/SVEN SIMON)
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Frankreich war weder in den 1950er noch in den 1970er Jahren ein einfacher Ort für Mütter und Töchter. Amélie Nothomb und Camille Laurens haben sich des Themas in aufschlussreichen Romanen angenommen.

Amélie Nothomb und Camille Laurens haben nicht viel gemeinsam: Nothomb ist seit Jahren der exzentrische massentaugliche Darling der französischsprachigen Literaturszene, jeder ihrer kompakten Romane erklimmt fast schon reflexartig die Spitze der Bestsellerlisten. Laurens hingegen, Vertreterin der Autofiktion, ist in Literaturkreisen durchaus nicht unumstritten. In ihren jüngsten Romanen aber treffen sich diese beiden ungleichen Schriftstellerinnen, und zwar in der Diagnose, dass Frankreich vor noch gar nicht langer Zeit kein guter Ort für junge Frauen war: nicht für die Ehefrauen, oft auch in ihrer Rolle als Mütter, und schon gar nicht für die Töchter.

In „Ambivalenz“ erzählt Amélie Nothomb auf gewohnt elegante und packende Art eines ihrer Beziehungsschauermärchen. Als er ihr eine Flasche Chanel Nr. 5 schenkt, gibt die junge komplexbeladene Dominique Anfang der 1970er Jahre dem Werben von Claude nach, obwohl er ihr nicht ganz geheuer ist. Dominique hätte auf ihren Instinkt hören sollen, denn bald nach der Hochzeit wandelt sich Claude. Seine Stimmungen schwanken wild, besessen drängt er Dominique zu einem Kind. Kaum ist die Tochter Épicène auf der Welt, wirft er einen Blick auf die Kleine und wendet sich ab. Für immer. Seinen Hass auf das Mädchen kann er kaum verhehlen - eine Emotion, die ihm Épicène bald mit gleicher Münze heimzahlt. „Mein Vater ist ein Monster. Er hasst mich seit meiner Geburt. Er ermordet mich nicht, weil es gesetzlich verboten ist. Aber er erfindet andere Methoden, mich zu töten. Was er nicht weiß, ist, dass auch ich ihn hasse. Ich hasse ihn noch mehr als er mich. Und eines Tages, ich weiß noch nicht, wie, werde ich ihn töten“, überlegt Épicène bereits als Elfjährige. Als ihre Mutter Dominique zufällig das perfide Spiel durchschaut, das Claude die ganze Zeit mit ihr getrieben hat, schlägt Épicènes große Stunde.

In Amélie Nothombs atmosphärischem Roman ist das drohende Unheil fast mit Händen zu greifen; die Frage ist nur, wen es treffen wird. Und wann. Dementsprechend liest man das Buch gebannt in einem Ruck durch. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn der Roman auf Seite 128 einfach aus ist, ohne Schluss. Auch wenn das angeblich die Absicht der Autorin war, dieses Ende hat „Ambivalenz“ nicht verdient.

Nur ein Mädchen. Enttäuscht ist auch der Vater in Camille Laurens’ Roman, als ihm die Hebamme mitteilt: „Es ist ein Mädchen.“ Tage später wird er bei der Anmeldung seines Kindes im Rathaus sogar den vereinbarten Namen vergessen haben und sich für Laurence entscheiden – interessanterweise ebenso wie Épicène ein geschlechtsneutraler Name. Vor Kurzem hat der Vater einen Film mit Laurence Olivier und Marilyn Monroe gesehen, aber Marilyn scheint ihm eine zu große Bürde zu sein. Was, wenn das Kind nicht hübsch genug für einen solchen Namen würde?

Frausein wird in Frankreich, im Jahr 1958, mit aller Brutalität vor allem über den Körper definiert, der in die gesellschaftlich gewünschte Form gezwungen wird. Wenn es schon ein Mädchen sein muss, dann sollte es wenigstens hübsch genug werden, um später eine gute Partie zu machen. Während ihres Heranwachsens wird Laurence immer das Ungenügen zu spüren bekommen, das ihr Vater seinen beiden Töchtern vermittelt. Die väterliche Autorität über ihren Körper endet nicht einmal nach ihrer Heirat: Als Laurence schwanger ist und es zur Geburt kommt, entscheidet er über ihren Kopf hinweg, dass statt ihrer Ärztin ein junger Arztkollege, Sohn eines Bekannten, die Geburt übernehmen soll. Der junge Arzt ist überfordert, die Geburt endet mit dem Tod des Kindes, noch dazu vergisst er, die Plazenta vollständig herauszuholen. Laurence überlebt, der Fehler des Arztes wird vertuscht.

„Es ist ein Mädchen“ ist ein starkes Buch, das trotz der Beklemmung, die es auslöst, heitere Momente und komische Elemente zu bieten hat. Diese münden mitunter in aberwitzige Dialoge, die einem oft allzu bekannt vorkommen, weil frau sie vielleicht selbst schon geführt hat. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Rückschrittes in den USA aber, wo konservativ-religiöse Kräfte den Frauen das Recht auf ihren Körper zunehmend absprechen und sie in die Kriminalität drängen, bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Die Selbstbestimmung ist ein kostbares Gut und stets gefährdet.

(c) Diogenes
(c) dtv

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