In Österreich ist nachhaltiges Bauen noch nicht wirklich angekommen. Das sagen Experten der FH Campus Wien, die sich als Wissensdrehscheibe positioniert. Eine digitale Datenbank wird für alle offenstehen, um ökologisches Bauen, Nutzen und Recyceln zu erleichtern.
Es wird ein Umdenken stattfinden müssen, wenn wir in Zukunft wirklich nachhaltig bauen wollen“, sagt Martin Aichholzer, Leiter des Master-Studiengangs „Architektur Green Building“ an der Fachhochschule (FH) Campus Wien, und führt dazu näher aus: „Vor allem Sanierung und Umbau werden zu den großen Herausforderungen zählen.“ Denn: Weiterhin freie Grundstücke, die ohnehin immer rarer werden, zu verbauen, widerspräche schon einem Grundsatz der Nachhaltigkeit.
Was dabei aus ökologischer Sicht wichtig ist: „Vorhandene Substanz darf nicht abgerissen und entsorgt werden, sondern muss erhalten bleiben. Damit das gelingt, gilt es, schon bei der Bauplanung das End-of-Life-Szenario mitzudenken.“ Wer also ein Haus hinstellen will, soll sich von Anfang an überlegen, wie eine ökologisch möglichst sinnvolle Nachnutzung sichergestellt werden kann. Konkret: „Zum einen muss die Konstruktion zerlegbar sein, um einen Rückbau zu ermöglichen. Zum anderen sind regenerative oder recycelbare Materialien zu nutzen – beispielsweise fast zur Gänze wiederverwendbarer Glasschaumschotter als Dämmung unter der Bodenplatte.“
Solche und weitere wertvolle Hinweise zum nachhaltigen Bauen vermitteln Aichholzer und sein Team an der FH Campus Wien angehenden Architektinnen und Architekten im „Green Building“-Studium. „Damit ist Nachhaltigkeit verpflichtend im Curriculum einer technischen Architekturausbildung verankert, statt nur eine freiwillig wählbare Ergänzung für besonders Interessierte zu sein“, sagt der Studiengangsleiter stolz. Um dieses Wissen zusammenzutragen und breiter zugänglich zu machen, wurde mit Unterstützung der Stadt Wien das Forschungsprojekt „Nach.Plan.Bauen“ ins Leben gerufen, das die FH zur Wissensdrehscheibe in Sachen nachhaltiges Bauen macht. „Ziel ist es, zum einen eine digital zugängliche Open-Source-Wissensdatenbank aufzubauen, der fundierte Studien zugrunde liegen, und die ein Nachschlagewerk für all jene darstellt, die sich mit nachhaltigem Bauen befassen wollen“, sagt Aichholzer. „Sie soll in der ersten Hälfte des kommenden Jahres offiziell vorgestellt werden. Derzeit umfasst sie etwa 70 Prozent von dem, was wir dann präsentieren wollen.“
Zum anderen wurden Fortbildungskurse und Module entwickelt, mit denen die FH in Zusammenarbeit mit weiteren Einrichtungen „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Architektur- und Ingenieurbüros sowie all jene erreichen will, denen die Grundsätze des nachhaltigen Bauens bisher nicht vermittelt wurden“.
Eine Art Nachhilfe für Planende
Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler eine Art Nachhilfe leisten. „Derzeit ist es ja so, dass man in der Forschung viel weiter ist, als es ein Blick in die gebaute Realität vermuten ließe“, sagt Aichholzer. Einzelne verwirklichte Ansätze könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Österreich Aufholbedarf bestehe. Dabei spiele nicht nur die Frage des Lebenszyklus-Endes eine Rolle. Eng damit verbunden und zudem eine Möglichkeit, schon die Zeit der Nutzung ökologisch wertvoll zu gestalten, sei unter anderem der Einsatz regenerativer Materialien. Die Möglichkeiten der Verwendung von Holz, das klimaschädigendes CO2 langfristig bindet, werden im mehrgeschoßigen Hochbau zunehmend erkannt – „aber auch, was die Dämmung betrifft, gibt es nachhaltige Alternativen, z. B. Stroh, Hanf oder Schafwolle“.
Den FH-Experten geht es aber nicht nur um ökologische, sondern auch um ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Hier sehen sie in der zunehmenden Vorfertigung von Gebäuden großes Potenzial. „Die einzelnen Teile werden wetterunabhängig und mit großer Präzision in der Fabrik weitgehend fertiggestellt, sodass auf der Baustelle kein Bauen, sondern nur mehr die Montage erfolgt“, skizziert Aichholzer. Der straffe Zeitablauf spare Kosten, die Verlagerung des Bauens von manueller Tätigkeit hin zur Arbeit am Computer eröffne Beschäftigungschancen für bisher in der Baubranche benachteiligte Gruppen. „Das Wichtigste jedenfalls ist, den Bauprozess von Anfang an nachhaltig zu denken“, fasst Aichholzer zusammen. „Nur dann kann nachhaltiges Bauen auch tatsächlich gelingen.“
LEXIKON
Nachhaltiges Bauen ist ein Konzept, das darauf abzielt, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – von der Planung über den Bauprozess und die spätere Nutzung bis hin zur Nachnutzung – zu betrachten. Dabei geht es nicht nur um ökonomische Potenziale und den Nutzen für den Menschen, sondern auch darum, die Umwelt zu bewahren.
Zu den ökologischen Kriterien zählen unter anderem eine möglichst geringe Inanspruchnahme von Flächen sowie die sparsame und emissionsarme Verwendung von Ressourcen (Baustoffe, Energie), um die Natur bestmöglich zu entlasten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2022)