Jafar Panahi in "Taxi" (2015).
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Wie das iranische Kino gegen Zensur rebelliert

Eine Verhaftungswelle erschüttert derzeit die Filmkultur im Iran. Die Regisseure des Landes haben im Lauf der Zeit unterschiedliche Strategien für die Arbeit im Korsett „islamischer Moral“ entwickelt. Vier Beispiele.

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Weiterdrehen

Gegen das Berufsverbot

Die Frau, die sich hinter dem Vorhang versteckt, hat eine schöne Gesangsstimme. Wie schade, dass ihre strenggläubige Familie ihr nicht erlaubt, am Theaterprojekt teilzunehmen! Die Produzentin hat extra den renommierten iranischen Filmemacher Jafar Panahi zu ihr ins entlegene kurdische Dorf kutschiert, um das Naturtalent zu überzeugen. Keine Chance: Nur hinter einer aufgespannten weißen Leinwand hören wir ihr berückendes Vibrato. Freilich geht es in Panahis Kurzfilm „Hidden“ (2020, Mubi) auch um den 62-jährigen Regisseur selbst, der 2010 mit einem 20-jährigen Berufsverbot belegt wurde. Auch eine Haftstrafe wurde ihm angedroht. Doch Panahi ließ sich nicht von der Arbeit abhalten, drehte seit 2011 heimlich vier lange und drei kurze Filme, deren selbstreferenzieller Low-Budget-Charakter die Situation des Dissidenten auch ästhetisch widerspiegelt. „Taxi“ (diverse Anbieter, ab € 2,99), eine regimekritische Autotour durch Teheran, gewann 2015 den Hauptpreis der Berlinale. „Drei Gesichter“ (diverse Anbieter, ab € 2,99), eine Reise nach Ostaserbaidschan, motivisch vergleichbar mit „Hidden“, wurde 2018 in Cannes für das beste Drehbuch prämiert. Damit ist vorerst Schluss: Am 19. Juli musste Panahi die angekündigte Haftstrafe antreten.

Anklagen

Gegen das Schweigen

Zwei Auftragsmörder, die mechanisch ihrem Geschäft nachgehen: Der Tötung von Schriftstellern und Intellektuellen, deren Arbeit andere Akte des Staatsterrors aufdecken könnte. Davon handelt Mohammad Rasulofs Thriller „Manuscripts Don't Burn“ (2013). Wer in den 1990er-Jahren im Iran gelebt hat, wisse, „dass nichts in dem Film erfunden und schon gar nichts übertrieben“ ist, schrieb der Autor Navid Kermani unlängst in der „Zeit“. 2010 wurde Rasulof zeitgleich mit seinem Kollegen Jafar Panahi (siehe links) temporär inhaftiert und verurteilt. Davor waren seine Arbeiten eher allegorisch in ihrer Kritik an der islamischen Republik. Seither zählt er zu deren unverblümtesten Anklägern. Nach dem Drama „A Man of Integrity“ (2017), einem bitteren Porträt provinzieller Korruption, übte Rasulof im Episodenstück „Doch das Böse gibt es nicht“ (2020, diverse Anbieter, ab € 2,99) harsche humanistische Kritik an der Anwendung der Todesstrafe in seinem Heimatland – und erhielt dafür den Goldenen Bären in Berlin. Wie Panahi wurde auch er kürzlich ins Gefängnis gesteckt. Frei ist indes Shahram Mokri, dessen Gewaltstudie „Careless Crime“ (2020, Filmingo, € 6) auf einer Kinoverbrennung während der Islamischen Revolution basiert.

Schmuggeln

Unter dem Radar

Abbas Kiarostami, im Westen wohl nach wie vor der bekannteste iranische Autorenfilmer, präsentierte sich zu Lebzeiten selten als politischer Künstler. Viele seiner Filme handeln auf den ersten Blick von unverfänglichen Dingen – alltäglichen Begegnungen, Filmdrehs und anderen Unternehmungen – und tragen klingende poetische Titel wie „Der Geschmack der Kirsche“ (1997, Mubi) oder „Der Wind wird uns tragen“ (1999, La Cinetek, € 2,99). Dennoch schafften sie es immer wieder, Sozialkritik über raffinierte Umwege an den Zensurbehörden vorbeizuschmuggeln. Eines der schönsten Werke Kiarostamis ist „Wo ist das Haus meines Freundes?“ (1987, Mubi): Vordergründig ein schlichter Jugendfilm über einen Buben, der versehentlich das Schulheft seines Freundes einsteckt – und anschließend verzweifelt versucht, es ihm zu retournieren, weil dem Ärmsten sonst ein Schulausschluss droht. Doch der kafkaeske Parcours des Kindes durch sein kleines Dorf, auf der Suche nach der Adresse des Klassenkollegen, kann mit all seinen Irrungen und Wirrungen, falschen Fährten und dubiosen Auskünften unzuverlässiger Autoritäten unschwer als metaphorisches Sittengemälde einer absurden Zwangsgesellschaft gelesen werden.

Beschreiben

Zwischen den Fronten

Asghar Farhadi ist fraglos der erfolgreichste zeitgenössische Arthaus-Regisseur des Iran: 2021 war sein Drama „A Hero“ gar der offizielle Oscar-Kandidat seines Landes. Bisweilen erntet er dafür den Vorwurf, sich politisch nicht ausreichend zu positionieren – wogegen er sich vehement verwehrt. Im Vergleich zu Filmen mancher seiner Kollegen, die oft direkt mit den Autoritäten im Clinch liegen, sind Farhadis Arbeiten sicherlich weniger aktivistisch: Der 50-Jährige sieht sich eher in der Tradition großer europäischer Dramatiker wie Ibsen, die anhand von Erzählungen über kleinteilige zwischenmenschliche Alltagskonflikte größere gesellschaftliche Verwerfungen offenlegten. Exemplarisch ist Farhadis internationaler Durchbruch „Nader und Simin – eine Trennung“ (diverse Anbieter, ab € 2,99), der 2010 als erster iranischer Film überhaupt einen Auslandsoscar gewann: Eine Scheidung wird hier zum Stein des Anstoßes für eine Auseinandersetzung mit Unrecht und Ungleichheit, in der tragischerweise jede Person ihre Gründe hat. Eine ähnlich vielschichtige, aber kämpferischere Perspektive nimmt indes die erfahrene Filmemacherin Rakhshan Banietemad in ihren „Geschichten aus Teheran“ (2014, Amazon, ab € 3,99) ein.

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