Kritik

Exil-Wehmut und Hiobs Zuversicht

Gija Kantschelis „Exil“ mit Anna Prohaska, Lassos Hiob-Klagen mit den Tallis Scholars: Begeisterung in der Kollegienkirche für einen Brückenschlag über 400 Jahre hinweg.

Warum Musik für viele in schweren Zeiten unerlässlich ist? Vermutlich, weil sie dem Schmerz eine veredelnde Form verleiht und damit auch eine unnennbare Ahnung von Trost spendet. Das wussten schon die Autoren des apokryphen „Testament Hiobs“, welches das nach dem leidgeprüften Schmerzensmann benannte Buch aus Tanach und Altem Testament fromm und erbaulich fortschreibt und spätestens im 2. Jh. n. Chr. entstanden sein muss. Darin erfahren wir: Hiob, der trotz aller Schicksalsschläge nicht von Gott abfällt und schließlich dafür belohnt wird, hat zu Zeiten seines Reichtums Spielleute bezahlt, die ihn dann in Armut und Krankheit mit ihrer Musik aufzuheitern versuchten. Als Lohn konnte er ihnen nichts geben als den Schorf seiner Wunden; dieser habe sich allerdings in ihren Händen in Gold verwandelt. Aufgrund dieser Geschichte wurde Hiob im Spätmittelalter teilweise sogar als Schutzheiliger der Musikanten verehrt. Möglich, dass Orlando di Lasso mit seinen gleich zwei Vertonungen von jeweils neun Abschnitten aus dem Buch Hiob seinem Dienstherrn, dem Herzog Albrecht V. von Bayern, nicht nur die Möglichkeit zu opulent gestalteter geistiger Einkehr über die Vergänglichkeit allen irdischen Besitzes bot, sondern ihn zugleich auch als Musikmäzen à la Hiob feierte: wenn, dann zu Recht.

Vokale Schwerstarbeit. Singen The Tallis Scolars unter Peter Phillips diese „Sacre lectiones ex propheta Iob“, also Lassos buntere erste Version von 1560, dann vernimmt man nichts von den Schwierigkeiten des vierstimmigen, hier doppelt besetzten A-cappella-Werks. Und hätten sie nicht nach der 5. Lektion eine kleine Verschnauf- und Trinkpause eingelegt, wäre einem weiterhin die vokale Schwerstarbeit nicht bewusst geworden. Stattdessen war man gefangen von der kunstvoll gedrechselten Schönheit des sich rankenden Stimmengeflechts, in dem alles Jammern und Schaudern sublimiert wird. Für heutige Ohren gerade harmonisch besonders auffällige Wortausdeutungen schließt das keineswegs aus. Jubel für ein exemplarisch homogenes, durch alle Lagen und Stimmen ausgewogen sonor tönendes Ensemble.

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