Die kanadische Öffentlichkeit steht dem Besuch des Pontifex kommende Woche überwiegend positiv gegenüber. Die Reise sei "ein wichtiger, unverzichtbarer Schritt" in Richtung Versöhnung.
Die kanadische Öffentlichkeit steht dem Besuch von Papst Franziskus in der kommenden Woche nach Ansicht des Politologen Oliver Schmidtke überwiegend positiv gegenüber. Die Reise werde "als ein wichtiger, unverzichtbarer Schritt" in Richtung Versöhnung mit der indigenen Bevölkerung gesehen, sagte Schmidtke im Interview des Schweizer Portals "kath.ch", wie die Kathpress am Sonntag berichtete.
Indigene gingen davon aus, dass Franziskus die Aufarbeitung historischen Unrechts an indigenen Kindern in katholischen Internatsschulen, den sogenannten "Residential Schools" des 19. und 20. Jahrhunderts, voranbringen werde, so der Leiter des "Centre for Global Studies" an der Universität Victoria im kanadischen British Columbia.
In einer "unheilvollen Allianz" hätten Kirche und Staat in Kanada versucht, indigene Identität und Kultur aus dem öffentlichen Leben Kanadas zu tilgen, erklärte der Experte. "Kinder indigener Familien wurden zum Teil gewaltsam aus ihren Familien entfernt, in Internatsschulen christianisiert und ihrer indigenen Identität beraubt." Von der Vernachlässigung und den Gewalterfahrungen der Kinder zeugten auch die vielen jüngst gefundenen unmarkierten Gräber in der Nähe von Residential Schools. "Viele sind an behandelbaren Krankheiten gestorben oder bei Fluchtversuchen ums Leben gekommen."
Staatlich sanktioniertes koloniales System
Die Kinder in der Obhut der Kirche seien weitgehend schutzlos Gewalt und Vernachlässigung ausgesetzt gewesen. Nicht zufällig, so der Forscher, waren indigene Kinder auch regelmäßig Opfer sexuellen Missbrauchs.
Die katholische Kirche hat nach Schmidtkes Angaben etwa 60 Prozent der insgesamt 700 Internatsschulen geleitet. Bei der Kirche lag demnach die zentrale pädagogische und administrative Verantwortung, so der Politologe: "Doch natürlich war die katholische Kirche nicht allein für die Internatsschulen verantwortlich. Sie waren Teil eines staatlich sanktionierten kolonialen Systems, in dem die indigene Bevölkerung ihrer kulturellen Identität beraubt werden sollte. In dieser Hinsicht war staatliches Versagen sicherlich mitverantwortlich."
So habe die kanadische Regierung lange Zeit von einem "indianischen Problem" gesprochen, das es zu löse gebe, erklärte Schmidtke. Kanadas erster Premierminister John Macdonald (1815-1891) etwa habe gefordert, das "Indianische aus dem Kind zu entfernen". Viele Kinder wuchsen ohne Bindung an ihre ursprüngliche Familie, Gemeinschaft und Kultur auf. Bis heute sind nach den Worten des Forschers die Folgen dieser Behandlung unter der indigenen Bevölkerung spürbar, in Form von hohen Suizidraten, Alkoholismus und psychischen Problemen.
Mehr als 65000 Aufarbeitungs-Interviews geführt
Im Zuge der historischen Aufarbeitung habe die staatliche Wahrheits- und Versöhnungskommission in den vergangenen Jahren mehr als 6500 Interviews geführt. "Nun richtet sich der Blick von den Opfern auf die Täter und die Verantwortlichen." In diesem Prozess spielte Kirche aus Sicht des Experten "bisher keine rühmliche Rolle". So habe sich der Vatikan bis vor kurzem geweigert, Archive in Rom zu öffnen. Und auch die Kirche in Kanada habe sich bisher mit der Übernahme von Verantwortung auf institutionell-organisatorischer Ebene zurückgehalten. "Dahinter steht die reale Gefahr, von Sammelklagen überrollt zu werden. Diese könnten die katholische Kirche vor massive finanzielle Probleme stellen", so Schmidtke.
Papst Franziskus bereist Kanada von Sonntag bis Freitag. Im Mittelpunkt stehen unter anderem Begegnungen mit indigenen Vertretern. Allgemein besteht die Erwartung, dass der Papst sich auf kanadischem Boden offiziell für das von der katholischen Kirche begangene Unrecht entschuldigt. Er selbst hat den Besuch als "Bußreise" bezeichnet. Bereits im März hatte das Kirchenoberhaupt bei einem Treffen mit Indigenen im Vatikan sein tiefes Bedauern über das Geschehene bekundet.
(APA)