Renaissance der Kernenergie

Energiekrise rettet Atomkraft

Die russische Gas-Erpressung führt fast in allen EU-Staaten zu einem Umdenken. Patentlösung für die Energienöte Europas ist die Atomkraft aber nicht.

Brüssel. Am 3. Dezember 2021 war das Ende der Atomkraft für Tinne Van der Straeten, Belgiens grüne Energieministerin, noch beschlossene Sache. „Die Regierung bestätigt den Ausstiegszeitplan, der vom Gesetz vorgesehen ist“, hielt sie in einem Bericht an die Regierung fest. Im Jahr 2025 müssen alle sieben belgischen Reaktoren stillgelegt werden.

Vier Monate und einen russischen Vernichtungskrieg gegen das ukrainische Volk später, gepaart mit erpresserischen Drosselungen und Lieferstopps russischen Erdgases durch den Kreml, sah die Welt für die frühere Umweltrechtsanwältin völlig anders aus: „Es ist klarer geworden, wie sehr Energie eine Frage der nationalen Sicherheit ist“, sagte sie im März. Belgiens Ausstieg aus der Kernkraft hätte den Bau von zwei oder drei neuen Gaskraftwerken erfordert (deren Leistung wiederum in ferner Zukunft durch erneuerbare Quellen ersetzt werden sollte). Doch Gas als Brückentechnologie in eine dekarbonisierte, nachhaltige Zukunft – das spielt es nicht mehr. Und so werden die Reaktoren im flämischen Doel und im wallonischen Tihange auch nach 2025 in Betrieb bleiben – mit offenem Enddatum.

Schwenk Italiens nach der Wahl?

Das belgische Beispiel steht für den Richtungswechsel in Europa, wenn es um die Frage der Kernenergie geht. Wer Kernkraftwerke hat, setzt nun alle Hebel in Bewegung, ihre Laufzeit zu verlängern. Deutschland ist hier die Ausnahme, doch die rot-grün-liberale Bundesregierung steht mit ihrem Beharren auf dem Ausstieg aus der Atomkraft in zusehends klarem Widerspruch zur öffentlichen Meinung, wie Umfragen belegen.

Während Österreich und Luxemburg sich in Fundamentalopposition üben, läuft in Italien seit einiger Zeit eine Debatte darüber, den im Jahr 1990 vollzogenen Ausstieg rückgängig zu machen. Zwar lehnten die Italiener das 2011 – unter dem Eindruck der Fukushima-Katastrophe – in einer Volksabstimmung mit 94 Prozent ab. Doch sämtliche Parteien rechts der Mitte sowie die Industrielobby sind dafür. Nach den Wahlen im Oktober könnten die Karten neu gemischt werden. Polen und Ungarn wiederum wollen neue Reaktoren errichten.

Die Energiekrise hat also die Atomenergie gerettet. Doch kann die Atomenergie Europa auch aus der Energiekrise retten? Die Europäische Kommission befindet: Ja, zumindest ein Stück weit. Das spiegelt sich in der von ihr vorgeschlagenen und von den Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Parlament nach einem Hickhack vor dem Sommer beschlossenen Taxonomie-Verordnung wider. Zur Erinnerung: Dieser Rechtstext besagt, dass Investitionen in bestimmte Gas- und Kernkraftanlagen als nachhaltig Eingang in die Bilanzen ihrer Geldgeber finden dürfen.

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