Interview

Doris Bures: "Keine taktischen Farbenspielchen"

Caio Kauffmann
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Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, eine der mächtigsten Stimmen in der SPÖ, will keine Ampelkoalitionsansage ihrer Partei, verteidigt Wiener Teuerungen – und glaubt nicht, dass Christian Kern ans „Fremdgehen“ denkt.

Die Presse: Pandemie, Krieg in Europa, Energiekrise, Rekordinflation: Frau Bures, sind Sie manchmal froh darüber, gerade nicht regieren zu müssen?

Doris Bures: Nein. Wenn man politisch tätig ist, weiß man, wie wichtig es ist, in solch schwierigen Zeiten eine handlungsfähige Regierung zu haben, die das Vertrauen der Bevölkerung genießt. Ich glaube, es liegt auf der Hand, dass diese das derzeit nicht hat.

Ihre Parteivorsitzende, Pamela Rendi-Wagner, forderte dieser Tage die gesamte Bundesregierung zum Rücktritt auf. Wollen Sie das auch tun?

Gerade in Krisenzeiten kann man nicht sagen, alles muss so bleiben, obwohl es nicht funktioniert. Man muss erkennen, wenn es die Notwendigkeit eines Neustarts gibt, um das Land in eine zukunftsorientierte Richtung zu steuern.

Also sollen sie jetzt gehen oder nicht?

Wenn sie zurücktreten, gibt es noch keinen politischen Neustart. Wir hatten in dieser Periode ja schon drei Kanzler und etliche zurückgetretene Regierungsmitglieder. Es ist einfach: Es braucht eine parlamentarische Mehrheit für eine Neuwahl. Und die gibt es derzeit nicht. Ich sehe es momentan im Parlament eher so, dass die Regierungsparteien sehr aneinander geschweißt sind. Nicht wegen großer politischer Übereinstimmung, aber aufgrund ihrer jeweiligen Verfassung. Das hilft dem Land zwar nicht, ist aber zu akzeptieren. Wir wählen spätestens im Herbst 2024, und ich hoffe, dann ziehen wir in eine neue Zeit.

Sie meinen, mit der SPÖ im Kanzleramt?

Mir geht es nicht um Funktionen. Ich selbst strebe da auch keine Regierungsfunktion mehr an. 2024 stehen wir bestimmt global und in Europa immer noch vor großen Herausforderungen. Und da will ich keine Regierung, die nur mit sich selbst beschäftigt ist, sondern eine, die die Probleme des Landes aufgreift.

Sie sagten über Sebastian Kurz und Co. einst: „Das Projekt Ballhausplatz, in dem es nur um Macht ohne jede Substanz gegangen ist, ist gescheitert.“ Was ist denn die inhaltliche Substanz des SPÖ-Projekts Ballhausplatz, was will die SPÖ im Kanzleramt machen?

Es gibt kein Projekt Ballhausplatz der SPÖ. Es gibt ein SPÖ-Projekt für gesellschaftspolitische Veränderung. Erlauben Sie mir, das an einem Beispiel festzumachen: Sanktionen, die es wegen des furchtbaren Angriffskriegs Russlands gibt, sind wichtig, um zu signalisieren, dass Europa das nicht schweigend zur Kenntnis nimmt. Wir solidarisieren uns mit der Ukraine. Gleichzeitig müssen wir uns mit jenen solidarisieren, die aufgrund des Kriegs und der von Europa festgelegten Sanktionen davon betroffen sind. Die Politik muss in der Lage sein, diese globalen Auseinandersetzungen so zu führen, dass nicht jene Menschen die Zeche dafür zahlen, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind.

Die zentralen SPÖ-Vorschläge allerdings sind derzeit: ein Strompreisdeckel für alle, Mehrwertsteuersenkungen für alle und billiger Sprit für alle. Experten kritisieren das als wenig treffsicher. Warum setzt sich die Sozialdemokratie dafür ein, dass Millionäre in der Innenstadt billiger Auto fahren und einkaufen können?

Man muss Maßnahmen so setzen, dass sie schnell und effizient wirken. Wer sagt, dass die Senkung der Mehrwertsteuer eine unsoziale Maßnahme ist, den will ich daran erinnern, dass es auch jetzt schon – und das ist richtig so – verminderte Mehrwertsteuersätze für Nahrungsmittel, Medikamente und Wohnen gibt, die für alle gelten.

In Wien, wo die SPÖ regiert, werden die Gebühren erhöht, der Preis für Fernwärme wurde stark angehoben. Die ÖVP nennt die SPÖ-Ansagen gegen die Teuerung deshalb „scheinheilig“, die FPÖ „doppelbödig“.

Die Bundeshauptstadt ist kein gallisches Dorf. Die Frage, ob Städte in der Lage sind, Energiepreise zu deckeln, bezweifle ich. Das ist Bundeskompetenz, daher diskutiert ja die Bundesregierung jetzt auch einen Preisdeckel. Viel zu spät, meiner Meinung nach.

Sollte die SPÖ nach der nächsten Wahl eine Ampelkoalition mit Grünen und Neos anstreben, Frau Bures?

Das sind natürlich spannende Diskussionen. Aber ich gehöre zu jenen, die sagen, man geht nicht mit einer Koalitionsansage in eine Wahl, sondern mit den eigenen Konzepten und einem Programm. Für die Sozialdemokratie wird es darum gehen, sofern man in diese Situation kommt, in Verhandlungen nach Wahlen das Beste für das Land zu erreichen. Fest steht nur, dass für uns mit der FPÖ kein Staat zu machen ist. Die ÖVP sieht das anders, wie wir historisch wissen.

Es gibt ranghohe SPÖ-Politiker, die sagen, die ÖVP soll nach mehr als drei Jahrzehnten in die Opposition. Dem können Sie nichts abgewinnen?

Es gibt viele Menschen, die das sagen. Aber welche Regierung gebildet wird, das ist eine Frage der Mehrheitsverhältnisse. Wolfgang Schüssel sagte damals, dass er als Dritter in die Opposition geht und keine Koalition mit Haiders FPÖ macht. Nach der Wahl hat er als Dritter die stärkste Partei in die Opposition geschickt und sich von Haider zum Kanzler machen lassen. Für so etwas steht die SPÖ nicht zur Verfügung. Wer bei einer Wahl antritt, hat davor seine Konzepte zu präsentieren, dann entscheiden die Wähler. Da sollte die Energie investiert werden, nicht in taktische Farbenspielchen.

Was wären denn die Dinge, die Ihrer Ansicht nach unbedingt gemacht gehörten?

Man sollte jetzt nicht über Programmatik und rote Linien in Koalitionsverhandlungen im Jahr 2024 spekulieren. Es wird darauf ankommen, viele Bereiche neu zu denken. Ich vermisse zum Beispiel sehr, dass es gerade keine Initiativen gibt, wie man neue Arbeitsformen nach der Pandemie andenkt und wie man Frauen besser ins Erwerbsleben integriert.

Dann nehmen wir das doch gleich als Beispiel: Mit Grünen und Neos eint Sie die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag.

Den hätten wir schon, wenn nicht Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz das aus niedrigen Motiven verhindert hätte, wie wir heute aus Chats wissen. Aber wir hätten das mit der ÖVP auch machen können.

Der burgenländische Landeshauptmann, Hans Peter Doskozil, sagte unlängst in einem „Presse“-Interview, die Frage der Spitzenkandidatur bei der nächsten Nationalratswahl ist in der SPÖ noch nicht geklärt. Ist das so?

Was in der Vergangenheit für Vorsitzende in der Sozialdemokratie gegolten hat, gilt auch für die aktuelle: dass sie einen legitimen Anspruch darauf hat, als Spitzenkandidatin in die Wahl zu gehen. Und ich würde heute meinen, die Wahrscheinlichkeit, dass Pamela Rendi-Wagner Spitzenkandidatin sein wird, ist um ein Vielfaches höher als bei den beiden Chefs der Regierungsparteien.

Sie gehen also davon aus, dass sie die Spitzenkandidatin sein wird?

Selbstverständlich.

Doskozil ist keine Option?

Er ist ein hervorragender Landeshauptmann.

Christian Kern ist in den Medien gerade sehr präsent. Glauben Sie, er kehrt in die Politik zurück? Etwa mit einer eigenen Liste?

In seinen Interviews verneint er das. Dazu kommt, dass es für ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokratie schon eine tiefe Grundverbundenheit zur Bewegung gibt, weshalb ich nicht glaube, dass Fremdgehen ein Thema ist.

Unlängst hat selbst Tirols SPÖ-Chef, Georg Dornauer, die Ladungspolitik im ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss kritisiert, er ruft seine Parteikollegen in Wien gar zur „Abrüstung“ auf. Hat sich die SPÖ da im Gefecht gegen die ÖVP verrannt?

Ein U-Ausschuss eignet sich nicht zur Auseinandersetzung um landespolitische Wahlen. Insofern teile ich diese Einschätzung. Insgesamt ist natürlich in diesem Untersuchungsausschuss viel Emotion mit unstrukturierten Abläufen, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Vorsitzführung stehen.

Sie glauben also, das wäre anders, würde Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka nicht den Vorsitz führen?

Ich glaube, es ist ein Fehler, wenn der Vorsitzende des Ausschusses in einen Rollenkonflikt gerät. Als Vorsitzender müsste er sich auf die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit konzentrieren. Das hat gefehlt. Er hat sich als Schutzmacht der eigenen Partei stärker definiert. So läuft alles leicht aus dem Ruder. Ganz grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass ganz wenige noch genau wissen, worum es in diesem Untersuchungsausschuss geht.

Wenn Sie jetzt jemand auf der Straße, der das eben nicht genau weiß, mit der Bitte anspräche, den U-Ausschuss kurz zusammenzufassen: Was würden Sie ihm sagen?

Erstens einmal läuft der Untersuchungsausschuss noch. Aber was man bisher sieht, ist, dass sich die Vorwürfe des Machtmissbrauchs der ÖVP verdichtet haben.

Wieso wollten Sie eigentlich nicht bei der Präsidentschaftswahl antreten, Frau Bures?

Ich war schon vor Alexander Van der Bellens Entscheidung über seine Wiederkandidatur der Ansicht, dass man ihn unterstützen sollte.

Demokratiepolitisch könnte man jetzt einwenden: Das Angebot für jemanden, der ihn nicht wählen möchte, dürfte mit einem FPÖ-Kandidaten, dem Chef der Bierpartei, einem Impfgegner und einem Nischen-TV-Provokateur nicht sehr groß sein.

Die Sozialdemokratie hat ihn schon einmal ganz klar unterstützt, als er 2016 in der Stichwahl gegen Norbert Hofer war. Für jene, die sonst sozialdemokratisch wählen, ist das jetzt also nicht weit hergeholt, glaube ich.

Wollen Sie in sechs Jahren antreten?

Als ich das 2016 Jahren gefragt worden bin, habe ich gesagt: „In sechs Jahren ist nur eines sicher: dass ich meinen Sechziger feiere.“ Dem bleibe ich treu: Sicher ist, dass ich in sechs Jahren 66 bin. Und da fängt das Leben erst an, wie wir von einem österreichischen Schlager wissen.

Steckbrief

Doris Bures ist seit mehr als zwei Jahrzehnten im Machtzentrum der SPÖ, von 2000 bis 2007 war sie rote Parteimanagerin, hernach war sie unter anderem für mehrere Jahre Verkehrsministerin in der Koalition mit der ÖVP. 2014 wurde die einstige Zahnarztassistentin – sie wuchs als Tochter eines Werkzeugmachers im Gemeindebau auf – Präsidentin des Nationalrats. Seit dem ÖVP-Wahlsieg 2017 ist die heute 59-Jährige Zweite Nationalratspräsidentin.

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