Mit Lohnbremse und Exportboom ließ Deutschland seine EU-Partner hinter sich. Im Euro-Raum verweigerte es Transferzahlungen. Aber jetzt wird es für Berlin eng.
Wien. „Am schwächsten sind im letzten Jahrzehnt die Arbeitskosten in Deutschland gestiegen.“ Nüchtern gab am Donnerstag das Statistische Bundesamt in Wiesbaden den aktuellen europäischen Lohnvergleich bekannt. Er bringt neuen Zündstoff in der aufgeheizten Debatte über die wirtschaftspolitische Inkohärenz der Euro-Zone. Mit den niedrigsten Lohnabschlüssen in der gesamten EU hat Deutschland im letzten Jahrzehnt seine Wettbewerbsfähigkeit deutlich erhöht. Noch immer niedrig, aber immerhin um ein gutes Drittel höher waren die Lohnabschlüsse in Österreich. In Spanien waren sie mehr als doppelt so hoch, in den aufstrebenden Wirtschaften Osteuropas stiegen die Löhne sogar um ein Vielfaches (siehe Grafik).
Aus dem Blickfeld von Madrid oder Paris zog Deutschland damit Exportaufträge an sich und vergrößerte so die Kluft zu anderen Euro-Ländern. Gepaart mit der deutschen Weigerung, maroden Euro-Ländern gemeinsam aus der Patsche zu helfen, prägten einige EU-Regierungen das Bild einer neuen deutschen Knausrigkeit.
So ungerecht dies erscheinen mag – Deutschlands hat über viele Jahrzehnte als Nettozahler andere EU-Länder gestützt –, steigt jetzt nicht nur der emotionale Druck auf Berlin, klein beizugeben. Aus dem Land selbst werden Rufe laut, die mehr europäische Wirtschaftskoordination und mehr Solidarität bei der Euro-Rettung einfordern. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sprach sich zuletzt sogar für die Ausgabe von gemeinsamen Euro-Anleihen aus. Deutschland müsse ein vitales Interesse haben, die Währung zu retten. „Das ist ein Schutzschirm für unseren Export.“
Die einzige Alternative hat der frühere Vorsitzende des Industrieverbands BDI Hans-Olaf Henkel aufgezeigt. Er tritt für einen „Nord-Euro“ ein – den Bruch des Euro in eine harte und eine weiche Währung. In der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist das aber ein No-go. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, warnt die Kanzlerin. Sie will zwar keine Euro-Bonds zulassen, aber den EU-Gipfel nächste Woche dafür nutzen, aktiv an einem dauerhaften Euro-Rettungsschirm zu basteln. Schon klingt durch, dass Deutschland dabei seine Solidarität nicht verweigern wird.
Keine Lust auf billige Konkurrenz
Der Grund für das Umdenken ist einfach zu erklären: Der stabile Euro ist das Fundamt des deutschen Erfolgs. Zerbricht er tatsächlich, müsste Deutschland im Exportgeschäft plötzlich mit europäischen Ländern konkurrieren, die durch eine weichere Währung ihre Waren international weit billiger anbieten könnten. Die mühsam erhöhte Wettbewerbsfähigkeit über bescheidene Löhne und eine schmerzhaft umstrukturierte Wirtschaft wäre obsolet. Die Trendwende dürfte aber auch mit der Krise in Irland in Zusammenhang stehen. Deren Ursache lag nicht wie im Fall Griechenland im Schlendrian einer korrupten Verwaltung. Hier war eine Überhitzung der nationalen Wirtschaft der Grund. Und außerdem waren deutsche Banken in diese Fehlentwicklung stark involviert.
Merkel selbst spricht nun immer öfter von der Notwendigkeit einer europäischen Wirtschaftsregierung. „Wir müssen die Angleichung der Wirtschaftspolitik jetzt nachholen“, fordert der europapolitische Sprecher der CDU, Michael Stübgen. Ob dies freilich dazu führen könnte, dass Deutschland aus Solidarität zu seinen Euro-Partnern auch die eigene Lohnpolitik ändert, ist mehr als fraglich. Berlin schwebt das Gegenteil vor: Die Partner sollten ihre Wettbewerbspolitik an jene Deutschlands anpassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2010)