Bäume

Wie die Stadt Wien zuließ, dass eine 18 Meter hohe Esche gefällt wurde

Der 40 bis 60 Jahre alte Baum mit üppiger Krone stand in einem Innenhof im 15. Bezirk und soll eine Mauer gefährdet haben, die schon Monate nicht mehr steht.

Anfang Juli wurde er gefällt. Der Baum war geschätzt 18 Meter hoch, zwischen 40 und 60 Jahre alt, eine Esche, sie sah völlig gesund aus. Sie stand im Innenhof des Hauses Holochergasse 1–3 im dicht bebauten 15. Wiener Gemeindebezirk. Man sah sie von der viel befahrenen Felberstraße aus und von der Bahn, die auf dem Westbahngelände vorbeifährt. Auf Google Maps kann man sich den Baum noch anschauen. Groß. Er überragt das daneben stehende Wohnhaus. Üppig grün. Allerorts wird von Begrünung der Stadt angesichts der Klimaerwärmung geredet, auch diese Woche soll es wieder bis zu 36 Grad heiß werden. Wie kann dann ein gesunder, großkroniger Baum gefällt werden?

Das ist nicht ganz leicht herauszufinden, es braucht einige E-Mails, bis man eine befriedigende Antwort bekommt. Wobei: Befriedigend ist diese eigentlich nicht. Von der Baupolizei und den Wiener Stadtgärten bekommt man keine Informationen – beide verweisen auf das Magistratische Bezirksamtes des 15. Bezirks. „Es ist behördliche Entscheidung des Magistratischen Bezirksamtes, dieses (das entsprechende Gutachten, Anm.) ggf. an Personen, die in diesem Verfahren keine Parteienstellung haben, weiterzugeben“, heißt es aus den Wiener Stadtgärten.

Das Magistratische Bezirksamt für den 15. Bezirk lässt keinen Einblick in das Gutachten der Wiener Stadtgärten zu, sondern zitiert aus dem Baumschutzgesetz: „Die Bewilligung zur Entfernung von Bäumen ist zu erteilen, wenn die Bäume durch ihren Wuchs oder Zustand den Bestand von baulichen Anlagen, fremdes Eigentum oder die körperliche Sicherheit von Personen gefährden und keine andere zumutbare Möglichkeit der Gefahrenabwehr gegeben ist.“

„Durch den Wuchs der Esche Einfriedungsmauer gefährdet"

Ob die Esche wirklich gesund war, wurde gar nicht geprüft. Das Bezirksamt schreibt, dass „der Amtssachverständige der MA 37, Baupolizei, bei einem Lokalaugenschein am 27. 12. 2021 festgestellt hat, dass durch den Wuchs des angesprochenen Baumes, einer Esche, der Bestand des befestigten Zugangsweges der Liegenschaft und einer Einfriedungsmauer gefährdet ist und keine andere zumutbare Möglichkeit der Gefahrenabwehr besteht.“

Eine seltsame Antwort, wenn man die Örtlichkeit kennt. Nicht nur, weil hier offenbar eine Mauer und ein Weg als wichtiger eingeschätzt wurden als ein großer alter Baum. Auch, weil die Esche in der hintersten Ecke auf dem südwestlichen Ende des Grundstückes stand. Davor ein Gründerzeithaus, dahinter ein großer Parkplatz, der zum Nebengebäude gehört – der alten denkmalgeschützten Gasmesserfabrik an der Felberstraße 80. Wo früher Messgeräte hergestellt wurden, werden nun Büros eröffnet. F80 nennt sich das Projekt.

Seit zwei Jahren werden das schöne alte Backsteingebäude mit den riesigen Fenstern sowie das anschließende und dazugehörige schmucklose Gründerzeithaus aufwendig renoviert. Am Ende wurde dann der Parkplatz gepflastert und asphaltiert. Ein paar Kirschlorbeerbüsche gepflanzt und ein einzelner Buchsbaumstrauch inmitten eines Kiesbeets.

Daneben liegt das Doppelgrundstück Holochergasse 1–3. Auf dem nördlicher gelegenen Teil steht eben das Gründerzeithaus, auf dem südlicheren herrscht Wildwuchs. Hier dürfte einmal ein zweistöckiges Gebäude mit spitz zulaufendem Dach gestanden haben – diesen Schluss legen jedenfalls die Konturen zu, die das Dach am Nebenhaus hinterlassen hat. Während der Bauarbeiten waren auf dem leerstehenden Teil Baucontainer aufgestellt.

Mauer stand auch im Dezember nur mehr zum Teil

Zwischen den Grundstücken Felberstraße 80 und Holochergasse 1–3 gab es tatsächlich eine Mauer. Irgendwann, es muss Frühling gewesen sein, wurde sie komplett abgerissen. Im Dezember 2021, als das Gutachten erstellt wurde, stand sie auch nur mehr zum Teil. Auf Nachfrage in der MA 15 gibt es die fast wortgleiche Antwort: „Der Baum hat bereits nicht nur die Einfriedungsmauer, welche im Nahbereich des Baumes starke Rissbildungen in den Sichtflächen und eine Verformung aufwies, beschädigt, sondern auch den befestigten Gehweg aufgewölbt und Risse in diesem verursacht.“ Risse in einer Mauer, die längst weg ist.

Und der Gehweg? Welcher Gehweg? Von der Straße aus ist er nicht zu erkennen, auch nicht über Google Maps. Wo soll dieser hinführen? In die Mauer, die hier stand? Man fragt beim Bauträger des F80 nach, dem Atelier Baumeister Dornstauder. Der Baum sei über drei Grundgrenzen gestanden und habe das Fundament des Hauses Holochergasse 1–3 beeinträchtigt, sagt Erich Dornstauder am Telefon. Vom Fundament war in den Antworten der MA 15 allerdings nie die Rede, bloß von der Einfriedungsmauer.

Den Hausbewohnern in der Holochergasse 1–3 kann der Baum nicht abgehen, es wohnt niemand mehr dort. Im dritten Stock hängen noch Weihnachtsbilder am Fenster. Im Erdgeschoß wurden die Fenster mit Verlegeplatten aus Holz verbarrikadiert. Ob das Haus umgebaut oder abgerissen wird, will Dornstauder nicht verraten. Er wolle dem in der Schweiz lebenden Eigentümer nicht vorgreifen: „Jetzt erfolgen einmal allgemeine Untersuchungen an Statik und Haustechnik“, schreibt er. Und beschwichtigt: Es werde – wie die Behörde es vorgibt – eine Ersatzpflanzung geben; im kommenden Herbst, wenn die Temperaturen es zulassen. Die Stadt Wien gibt vor, wie dick der Stamm in einem Meter Höhe sein muss: acht bis 15 Zentimeter. Man wird ihn mit zwei Händen umfassen können.

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