Junge Forschung

Simulationen als Lebensretter

Der Forscher Sascha Ranftl interessiert sich für Ungewöhnliches: Wahrscheinlichkeitstheorie und Unterwasser-Rugby.
Der Forscher Sascha Ranftl interessiert sich für Ungewöhnliches: Wahrscheinlichkeitstheorie und Unterwasser-Rugby. Helmut Lunghammer
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Der Physiker Sascha Ranftl entwickelt Computersimulationen, die Ärztinnen und Ärzten die Therapiewahl bei Menschen mit eingerissener Hauptschlagader erleichtern sollen.

Er könne es nachvollziehen, wenn Ärzte lieber ihrer eigenen Erfahrung und Intuition vertrauen als dem, was ihnen ein Physiker über Krankheiten erzählt, sagt Sascha Ranftl und lacht. Er ist Teil eines Teams an der TU Graz, das Computersimulationen erstellt, die bei der Diagnose und Therapie unterstützen sollen. Die Idee dahinter sei, den Ärztinnen und Ärzten eine quantitative Entscheidungsgrundlage für die erforderlichen Therapieschritte zur Hand zu geben und damit einen Beitrag auf dem Weg zu einer personalisierten computergestützten Medizin zu leisten. Ranftl wurde Anfang Juli für seinen (in seiner Dissertation zusammengefassten) Beitrag zu diesem Projekt mit dem Förderpreis des Forums Technik und Gesellschaft ausgezeichnet.

Die Erkrankung, um die es geht und bei der Ranftl die Überlebenschancen der Betroffenen erhöhen will, ist die Aortendissektion. Das ist ein Einriss in der Wand der Hauptschlagader. Blut dringt dabei mit der Zeit in die Gefäßwand ein, spaltet diese, dehnt sie aus und formt eine Ausstülpung. Platzt die Blase, droht der Patient innerlich zu verbluten. Wird der Einriss frühzeitig entdeckt, obliegt es der Einschätzung des Arztes, ob ein chirurgischer Eingriff vorgenommen wird oder die Erkrankung mit Medikamenten behandelt werden kann. Die Mediziner stützen sich dabei auf bildgebende Verfahren wie Computertomografie, Messdaten sowie eben auf ihre Erfahrung und Intuition.

Die mechanischen Kräfte verstehen

Geht es nach Ranftl und seinem Team, soll künftig zuverlässiges Datenmaterial die Prognose unterstützen und die Wahl der optimalen Therapiemaßnahmen erleichtern. „Die Computersimulationen helfen uns zu verstehen, welche mechanischen Kräfte im Spiel sind, wenn es zu einem Einriss der Hauptschlagader kommt“, erklärt er. Ein Faktor sei beispielsweise der Blutfluss, der bei jedem Herzschlag zunächst stärker, dann wieder schwächer auf die Gefäßwand drückt. „Die Druckunterschiede sind minimal, wirken aber ständig auf die Gefäßwand ein. Deren Struktur ist dann ein weiterer Parameter, der eine Rolle spielt.“ Dutzende solcher Faktoren, von der Gewebefestigkeit bis hin zur Herzfrequenz, seien in die Berechnungen einzubeziehen. „Jede Simulation ist daher so komplex, dass selbst ein Clustercomputer mehrere Wochen braucht, bis er zu einem Ergebnis kommt“, erläutert Ranftl. „Man kann somit aus Ressourcengründen nicht für jeden Parameter alle infrage kommenden Werte eingeben und schauen, was dabei herauskommt.“

Da kommt es gelegen, dass sich der gebürtige Oststeirer schon während seines Studiums für die Wahrscheinlichkeitstheorie begeistert hat, eine, wie er sagt, „sehr abstrakte Disziplin, die aber viele Anwendungen hat, vor allem in interdisziplinären Fragen“. Nun bringt er dem Computer bei, mithilfe von Maschinenlernen und entsprechenden Algorithmen die wahrscheinlichsten Ergebnisse für jene Werte zu ermitteln, mit denen kein vollständiger Simulationsdurchlauf gemacht wird. Dafür braucht der Computer nicht mehrere Wochen, sondern nur Bruchteile von Sekunden. Wie gut oder schlecht dieser geschätzt hat, überprüft Ranftl u. a. anhand des Modells einer Aorta, die im Labor aus Schläuchen, mit einer Pumpe als „Herz“, aufgebaut wurde.

Wahrscheinlichkeitstheorie ist eher nicht jedermanns Sache. Unterwasser-Rugby, das Ranftl in jüngeren Jahren gespielt hat, wohl auch nicht. In beiden Fällen waren die Kollegen daher offenbar froh, jemanden gefunden zu haben. „Beim Forschungsprojekt habe ich sofort mitgemacht, als ich gefragt wurde, weil es hier um Leben und Tod geht, und weil es sich aus wissenschaftlicher und technischer Sicht um eine extreme Herausforderung handelt.“ Solche fordernden Situationen kennt der 30-Jährige auch aus seiner Tätigkeit als speziell ausgebildeter Atemschutzgeräteträger bei der Freiwilligen Feuerwehr in seinem Heimatort Weinberg an der Raab (Stmk.). Die Zukunftsvision sei, dass die Parameterdaten von Patienten ermittelt werden und der Computer sagt, welche Therapie im speziellen Fall angezeigt ist – vorausgesetzt, die Ärztinnen und Ärzte vertrauen auf das, was der Computer und der Physiker ihnen sagen.

ZUR PERSON

Sascha Ranftl (30) forscht als Postdoc am Institut für Theoretische Physik und Computergestützte Physik der TU Graz. Seine Arbeit sieht er an der Schnittstelle zwischen Wahrscheinlichkeitstheorie, maschinellem Lernen, Computertechnik und Biomedizin. Der gebürtige Oststeirer erhielt kürzlich für seine Dissertation den Förderpreis des Forums Technik und Gesellschaft.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2022)

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