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Flexible Arbeitszeiten schlucken viel Freizeit

Ständige Erreichbarkeit war für viele Home-Office-Mitarbeiter ein Nebeneffekt der Coronakrise. Ein Forschungsteam der FH Wiener Neustadt lotet Regulierungsmöglichkeiten aus. Kann eine App dabei hilfreich sein?

Viele Unternehmen sind derzeit auf der Suche nach Personal. Beim Anwerben geeigneter Kräfte werden Arbeitszeit und Arbeitsort immer entscheidendere Faktoren. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat mehr Flexibilität einerseits viele Vorteile – denn schließlich lassen sich so berufliche und private Interessen besser vereinbaren. Doch andererseits wurden spätestens in der Coronapandemie auch Nachteile offenbar, weil mit flexiblen Arbeitszeiten häufig unbegrenzte Erreichbarkeit ohne Rücksicht auf Erholungszeiten und Regenerationsmöglichkeiten einhergeht. Die Folgen können zusätzlicher Stress und das Gefühl sein, nicht abschalten zu können.

In einer empirischen Studie hat ein Forschungsteam der FH Wiener Neustadt individuelle Strategien im Umgang mit permanenter digitaler Verfügbarkeit untersucht. Die Grundlage bildeten eine Onlinebefragung von 837 unselbstständig Beschäftigten sowie qualitative Interviews mit 20 niederösterreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Zusätzlich wurde im Nerd-Projekt versucht, mittels einer App Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Reflexion des eigenen Arbeitsverhaltens zu unterstützen.

Es spießt sich mit Arbeitsrecht

„Die Nerd-App konnte den 60 Nutzerinnen und Nutzern des Versuchs bewusst machen, wie stark ihre beruflichen Aktivitäten über die eigentliche Arbeitszeit hinausgehen“, sagt Projektleiterin Karin Wegenstein. „Die Verwendung der App kann dazu führen, dass wir uns die Arbeit bewusster einteilen und Arbeit und Freizeit unseren Bedürfnissen entsprechend trennen.“ Wie das funktioniert? Durch eine Start- und Stopptaste sollten auch gelegentliche Tätigkeiten zwischendurch minutiös festgehalten werden. Das Ausmaß der beruflichen Tätigkeit während und außerhalb der Arbeitszeit konnte dann übersichtlich abgerufen und über den Zeitverlauf beobachtet werden. Trotz dieser Möglichkeiten erwies sich der Einsatz der App nicht als komplett befriedigend; denn sie musste zusätzlich zu betrieblichen Zeiterfassungssystemen bedient werden.

„Das Problem ist, dass die App nicht mit den betrieblichen Arbeitszeiterfassungssystemen gekoppelt werden konnte. Die erfasste Arbeitszeit muss im Einklang stehen mit den arbeitsrechtlichen Bestimmungen“, erklärt Wegenstein. „Flexible Arbeitszeiten, wie sie oft praktiziert werden, hätten eigentlich Nacht- oder Feiertagsaufschläge zur Folge. Deshalb können sie von der betrieblichen Zeiterfassung häufig nicht berücksichtigt werden.“

Als weiteres Problem erwies sich, dass die Bereitstellung einer App langfristige Ressourcen erfordert. Die FoTech Forschungs- und Technologieentwicklungs GmbH programmierte die App für das Projekt, sie bleibt jedoch darauf beschränkt, auch wenn sie zur Weiterentwicklung, Adaption oder Nutzung zur Verfügung steht.

In einem zweiten, ebenfalls von der Arbeiterkammer Niederösterreich geförderten Projekt werden jetzt Unternehmen rekrutiert, die sich an der Entwicklung von Strategien zum Umgang mit Remote-Arbeitsverhältnissen beteiligen wollen. Dabei geht es um die Evaluierung von Regelungen zu Home-Office und Arbeitszeiteinteilung sowie der Herausforderungen, die sich dadurch für Führungskräfte und Teams ergeben. Management sowie Betriebsrat sollen durch die Identifikation von Regelungs- und Schutzbedarf auf solider Datenbasis unterstützt werden.

LEXIKON

Remote Work bedeutet, dass Arbeitnehmer nicht an Büros gebunden sind, sondern online und telefonisch Kontakt zum Unternehmen halten. Dadurch ergeben sich neue Probleme im Datenschutz und Arbeitsrecht.

Im Nerd-Projekt werden Nutzen, Effekte und Risken der regulierbaren digitalen Erreichbarkeit untersucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2022)

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