Urgeschichte

Hungersnöte und Pandemien machten Europäer laktoseverträglich

Menschen tranken Milch, bevor sie daran gewöhnt waren.

Seit der Domestikation von Schafen und Ziegen vor rund 11.000 Jahren nutzt der Mensch Milchprodukte. Moderne Analysen alter DNA lassen vermuten, dass die Genvariante, die das effiziente Verarbeiten von Milchzucker (Laktose) auch nach dem Säuglingsalter ermöglicht, erst seit der Bronze- und Eisenzeit weit verbreitet ist. Nun fand ein Forschungsteam um Richard Evershed von der University of Bristol, dem auch Eva Lenneis von der Uni Wien angehört, heraus, dass diese Entwicklung vermutlich vor allem durch Hunger und Krankheit bzw. Pandemien befördert wurde (Nature). Laktosetolerante Personen waren dann stärker im Vorteil.

Milchreste an Gefäßen analysiert

Während es vor allem im nördlichen Europa starke Hinweise auf die breite Nutzung von Milchprodukten schon für die Zeit vor rund 6000 Jahren gibt, fehlte den jungsteinzeitlichen Bauern noch über längere Zeit hinweg jene Erbgutvariation, die die Laktose-Persistenz ermöglichte. Milchkonsum konnte zu Magenkrämpfen, Durchfall oder Flatulenzen führen. Heutzutage ist diese Genvariation vor allem in Nordeuropa weit verbreitet. In Ostasien und Afrika ist der Anteil der laktoseverträglichen erwachsenen Menschen weltweit am niedrigsten. Das Forschungsteam suchte nun nach Milch-Überbleibseln an Keramikgefäßen aus archäologischen Grabungen von 554 Fundorten in Europa und Südwestasien. Insgesamt wurden 6899 tierische Fette identifiziert. Daraus schlossen die Wissenschaftler auf den regionalen prähistorischen Milchkonsum in Europa im Zeitraum von rund 7000 Jahren v. Chr. bis zum Jahr 1500 n. Chr. Durchgehend viel Milch wurde demnach vor allem auf den britischen Inseln, in Westfrankreich und in Nordeuropa konsumiert, und zwar ab dem Jahr 5500 v. Chr.

In Mitteleuropa, dem Ort der Entstehung der genetischen Anpassung, scheint der Konsum etwas weniger hoch. Der Vergleich mit DNA-Informationen von 1786 Menschen, die in dem Untersuchungszeitraum lebten, ergab eine erstmals nachweisbare Genanpassung 4700 bis 4600 v. Chr., weiter verbreitet war sie erst 3000 Jahre später. Für viele Europäer waren Milchprodukte also ein wichtiger Teil der Ernährung, noch bevor sie vollständig daran „gewöhnt“ waren. Die Ausbreitung der genetischen Anpassung konnte jedoch nicht auf das Ausmaß des regionalen Milchkonsums über die Zeit hinweg zurückgeführt werden.

(APA/cog)

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