Wort der Woche

Der Welthandel per Seeschifffahrt ist verletzlich

Der Großteil des Welthandels wird per Seeschifffahrt abgewickelt. Das System ist allerdings ziemlich verletzlich – Wohl und Wehe hängen von einigen wenigen Häfen ab.

Uns Bewohnern eines Binnenlandes ist die überragende Bedeutung des Seehandels nicht wirklich bewusst. Wir bemerken dies erst bei so dramatischen Ereignissen wie etwa der Blockade ukrainischer Häfen, woraufhin Millionen Menschen von Hunger bedroht sind. Oder wenn ein gestrandetes Schiff im Suezkanal – oder ein coronabedingter Containerstau in chinesischen Häfen – die globalen Lieferketten durcheinanderbringt und man Monate auf dringend benötigte Waren warten muss.

Faktum ist jedenfalls, dass drei Viertel der Masse bzw. die Hälfte des Wertes aller Welthandelsgüter per maritimer Schifffahrt bewegt werden – höherwertige Güter werden auch mit Flugzeugen um die Welt transportiert. Der Handel Österreichs mit Staaten außerhalb der EU erfolgt zu 40 Prozent (Exporte) bzw. 25 Prozent (Importe) über den Seeweg.

Die Knotenpunkte im komplexen Netzwerk der Schifffahrtsrouten sind die Häfen, an denen die weltweit rund 90.000 Seeschiffe unterschiedlichster Art und Größe (die zusammen knapp drei Prozent der menschengemachten Treibhausgase emittieren) ihre Fracht verladen oder löschen.

Unser Welthandelssystem ist indes leicht verletzbar, und das wurde nun von einer britisch-niederländischen Forschergruppe mit Zahlen untermauert: Die Experten um Jasper Verschuur (University of Oxford) haben die Warenströme zwischen rund 3400 Wirtschaftsregionen über die 1378 wichtigsten Häfen der Welt analysiert. Betrachtet wurde u. a., welche Güter woher kommen, wo wie viel umgeladen wird und welche Mengen ins Hinterland weitertransportiert werden. Dabei zeigte sich, dass die Hauptlast der Güterlogistik auf vergleichsweise wenigen Häfen ruht: Gerade einmal eine Handvoll Häfen sorgt für zehn Prozent des Handelsvolumens; und die Hälfte aller weltweiten Exporte wird über nur 48 Häfen abgewickelt. Als kritisch für die globalen Lieferketten werden unterm Strich 94 Häfen eingestuft (Nature Communications, 27. 7.).

Verschiedene Regionen sind unterschiedlich stark auf zentrale Häfen angewiesen: Besonders abhängig von einigen wenigen Umschlagplätzen sind China, Südamerika und Binnenstaaten in Afrika sowie – wenig überraschend – viele Inseln. Insgesamt 40 Häfen gelten als kritisch für das Wohlergehen einzelner Volkswirtschaften. Aus österreichischer Sicht sind dabei insbesondere Antwerpen und Rotterdam, aber auch Hamburg oder Bremen zu nennen: Wenn dort etwas Gröberes passiert, spüren wir das innerhalb kürzester Zeit massiv.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2022)

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