ORF.at und die Drohung der "Teilkastration"

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++ THEMENBILD ++ ONLINENACHRICHTENSEITE ORF.AT(c) APA (HANS KLAUS TECHT)
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Wird die "blaue Seite" eingestellt? Das fordern die Neos und auch die Verleger wollen Einschränkungen. Medienexperten sprechen sich dagegen aus.

Um die meistgelesene Onlinenachrichtenseite des Landes ist eine Debatte entbrannt. Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter will ORF.at in ihrer derzeitigen Form abdrehen mit dem Argument, dass nur so andere Medien überleben könnten. Für Einschränkungen spricht sich auch der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) aus. Dass diese Forderungen gerade jetzt auftauchen, ist kein Zufall: Derzeit wird eine ORF-Gesetzesnovelle verhandelt, die dem Öffentlich-Rechtlichen online mehr Spielraum gewähren soll – etwa bei der TVthek oder auf sozialen Medien. Im Gegenzug dazu könnte die sogenannte "blaue Seite" ORF.at reduziert werden.

5,1 Millionen unterschiedliche Internetnutzerinnen und Internetnutzer erreichte die "blaue Seite" laut Österreichischer Webanalyse (ÖWA) im Juni und damit 73 Prozent der internetaktiven Bevölkerung (14+). Erst mit Respektabstand folgen krone.at (4,1 Mio. Unique User) - das unlängst ankündigte, für bestimmte Onlineinhalte in Zukunft Geld zu verlangen - heute.at (3,7 Mio. Unique User) und derstandard.at (3,3 Mio. Unique User). Letztere beide weisen wie ORF.at keine Paywall oder Plus-Artikel auf. Nur: ORF.at ist in erster Linie über Gebühren finanziert (durch die GIS bekommt der ORF insgesamt rund 650 Millionen Euro).

Ist ORF.at einer Zeitung zu ähnlich?

Das stelle eine Schieflage dar, schrieb Brandstötter in einem Gastbeitrag im "Profil". Denn der privaten Mitbewerb ist darauf angewiesen sei, auch digitale Inhalte zu monetarisieren. VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger stimmt dem zu: Andere private Angebote wären nicht finanzierbar, wenn der größte Anbieter alles kostenlos anbiete. Anstoß nimmt Grünberger an der "zeitungsähnlichen Ausgestaltung" von ORF.at. Diese sei in den Bestimmungen des ORF-Gesetzes so nicht vorgesehen und "aus gutem Grund jedenfalls untersagt".

Der ORF solle seinen Fokus auf seinen Kernzweck - Hörfunk, Fernsehen und programmbegleitende digitale Ausspielmöglichkeiten - legen, so Grünberger. Umsätze aus dem Digitalgeschäft in der Branche würden immer relevanter: Der Anteil bewege sich je nach Medienhaus zwischen etwa zehn und bis zu 40 Prozent. "Ich denke, allen ist klar, es gibt kein Zurück. Daher haben die Maßnahmen im ORF-Gesetz auch eine entscheidende Bedeutung für die Funktionstüchtigkeit des österreichischen Medienmarktes", sagte Grünberger.

Wer würde profitieren von einer Abschaffung?

Kontra gibt die Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger: "Die letzten Jahre - Stichwort Pandemie, Verschwörungserzählungen und Fake-News - haben einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig und gefragt ein unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk, auch online, ist. Das abschaffen zu wollen, zeigt, dass hier ganz grundlegend das Verständnis für Medien, den Charakter des Öffentlich-rechtlichen und den dualen Medienmarkt fehlt." Von einer Abschaffung von ORF.at würden nicht österreichische Medien, sondern primär internationale Plattformen profitieren, glaubt Blimlinger. Das lasse sich auch an den hohen Einnahmen aus der Anfang 2020 eingeführten Digitalsteuer ablesen. Diese zielt speziell auf große internationale Internetkonzerne ab und dürfte nach 80 Millionen Euro im Vorjahr heuer bereits in etwa 100 Millionen Euro abwerfen.

"ORF.at muss dem Grunde nach ORF.at bleiben", so Blimlinger. Natürlich werde aber den Anforderungen im internationalen Wettbewerb Rechnung getragen, um dem ORF - gerade im digitalen Bereich und hinsichtlich der geplanten Playerstruktur - "angemessene Rahmenbedingungen" zu geben. "Es soll damit sowohl die Konkurrenzfähigkeit des ORF als auch die der privaten Marktteilnehmer gewährleistet werden".

ORF-General will ohnehin stärker Richtung Bewegtbild gehen

Was sagt ORF-Generaldirektor Roland Weißmann zur Debatte? "Die 'blaue Seite' abzudrehen, das ist sicher ganz klar hinter der roten Linie, die nicht akzeptierbar ist", sagte er im Ö1-Medienmagazin #Doublecheck. In Hinblick auf die kritisierte Textlastigkeit merkte er an, dass man die Seite ohnehin in Richtung mehr Bewegtbild entwickeln wolle. Das entspreche dem Userverhalten. "Wenn das mit den Verhandlungen kompatibel ist, ist das gut", so Weißmann.

Medienexpertinnen und -experten springen ebenfalls für ORF.at in die Bresche. "ORF.at abzuschaffen, ist eine sehr schlechte Idee", meint Josef Trappel, Leiter des Fachbereichs Kommunikationswissenschaft an der Uni Salzburg. "Der ORF ist dazu da - und gesetzlich dazu ermächtigt und verpflichtet - für eine qualitativ hochstehende und vielfältige Versorgung der Bevölkerung mit Information, Bildung und Unterhaltung zu sorgen. Die zweckmäßigen Kanäle sind Fernsehen, Radio und Internet."

Hausjell sieht zu wenig Kreativität bei den Verlegern

"Jetzt ORF.at im Textbereich teilzukastrieren hilft der privatwirtschaftlichen Konkurrenz nicht, und schon gar nicht den Bürger*innen", hielt Fritz Hausjell, stv. Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien, fest. Die Vorstellung, dass privaten Verlegern das Zeitungsgeschäft "gehört", dem ORF indes Radio und TV sei spätestens mit dem Beginn der Privatradios und des Privat-TV passé: "Niemand käme heute bei der Debatte, wer was im Onlinejournalismus dürfe, umgekehrt auf die Idee: Die Einbindung von Audio und Video sind bei Onlineangeboten der Verleger auf x Prozent zu limitieren."

"Dass die 'blaue Seite' von den Bürger*innen breiter genutzt wird als andere journalistische Onlineangebote, ist kein Zufall, "glaubt Hausjell. "Die meisten Verleger setzten weniger auf die Entwicklung von Kreativität des eigenen Onlinejournalismus, sondern bemühten sich laufend via Lobbying beim Gesetzgeber und der Aufsicht um die Eindämmung der ORF.at-Onlinejournalistik."

Online-Abo-Markt noch ausbaufähig

Petra Herczeg, Vizestudienprogrammleiterin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien verweist darauf, dass im ORF-Gesetz vorgesehen ist, Onlineangebote mit gewissen Einschränkungen anzubieten. Medienhaus-Wien-Geschäftsführer Andy Kaltenbrunner stellt fest, dass Österreich mit seinem "strukturkonservativen, immer noch printdominierten Markt mit international einzigartigen Reichweiten" in Hinblick auf Digitaljournalismus anderen hinterherhinke.

Trappel hält die Vorstellung, dass man bereit ist, für Onlineinhalte zu zahlen, wenn es keine kostenlosen Angebote mehr gibt, "lebensfremd und naiv". "Das Internet ist ein weites Feld, das sich nicht wasserdicht verschließen lässt", so der Wissenschafter. Bei der Bereitschaft, für Onlinenachrichtendienste zu zahlen, gibt es in Österreich noch Pentzial: 2022 gaben 13,5 Prozent der im Rahmen des "Reuters Institute Digital News Report" befragten Personen hierzulande Geld für Onlinenachrichten aus. EU-weit waren es 14,7 Prozent, weltweit 15,7 Prozent. Positive Aspekte gewann Herczeg diesem Report ab. "Die Onlinezahlungsbereitschaft ist eher bei den jüngeren Nutzer*innen zu finden und es zeigt sich auch ein Zusammenhang mit dem Bildungsgrad und dem Haushaltseinkommen. Dies ist ein gutes Zeichen, dass es hier ein Einsehen gibt, dass hochwertige journalistische Inhalte nicht gratis konsumiert werden können."

(APA/Red.)

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