Carteret-Inseln: Idylle mit Ablaufdatum

CarteretInseln Idylle Ablaufdatum
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In Cancún ging der Klimagipfel der UNO zu Ende – ohne Ergebnisse für die Bewohner der Carteret-Inseln im Südpazifik: Sie müssen aus ihrer Heimat flüchten, weil sie im Meer versinkt.

Auf den ersten Blick wirkt die Insel Han wie der Schauplatz eines Kitschfilms: Südseeparadies mit Palmen, weißem Sandstrand, dunkelhäutigen Kindern, die mit Kokosnüssen in der Hand fröhlich durch die Gegend laufen. Doch ein Rundgang über die Insel und Gespräche mit ihren Bewohnern lassen den Kitschfilm schnell vergessen. Sie sind Opfer des Klimawandels.

Die Insel Han ist die größte der sechs Carteret-Inseln im Südpazifik. Eigentlich sind es seit 1984 sieben, denn die Insel Huene ist bereits vom Ozean in zwei Stücke gerissen worden. Der infolge der globalen Klimaerwärmung durchschnittlich 3,2 Millimeter pro Jahr steigende Meeresspiegel entpuppt sich seit einigen Jahren als der größte Feind der rund 2500 Bewohner der Inselgruppe – zumal keine der Inseln mehr als fünf Meter über dem Meeresspiegel liegt.

Das Carteret-Atoll gehört zu Papua-Neuguinea und politisch zum Verwaltungsdistrikt der nahe gelegenen Insel Bougainville. Seinen Namen hat das Atoll nach dem Seefahrer Philip Carteret, der es 1767 entdeckte. Die Inseln, die knapp fünf Flugstunden nördlich von Australien liegen, sind Teil des „flüssigen“ Kontinents Ozeanien. Zu flüssig nach dem Geschmack von Rufina Moi, die auf ihrer Insel Han am liebsten bis zu ihrem Tod verweilen würde: „Das Wasser frisst unsere Insel auf“, sagt sie mit Tränen in den Augen. Die 67-Jährige mit dem markanten Gesicht, das von ihren schwarzen Locken umrahmt wird, stellt unter den Frauen der Insel eine Autorität dar.

Dass die Insel bei wachsender Bevölkerung immer kleiner wird, ist nur eine Seite der Bedrohung. „Das Wasser dringt unter dem Grund in das Süßwasser ein. Wenn wir etwas anpflanzen, wird es einfach wieder ausgeschwemmt“, sagt Moi. Meereswasser drückt seitlich in die Süßwasserlinse, und hohe Flutwellen, die immer häufiger auftreten, verderben das Süßwasser außerdem von oben. Gift für Nutzpflanzen und Ernten. „Früher hatten wir hier reichlich zu essen, etwa Taro, Süßkartoffeln und Bananen.“ Moi kneift ihre Augen zusammen. Sie sitzt barfuß im Sand, bekleidet mit blauer Kittelbluse und pinkem Tuchrock.

Trinkwasser gibt es kaum noch. Der Regen, der immer spärlicher fällt, wird in Behältern gesammelt. Zum Durstlöschen bleibt nur noch die Kokosmilch. Kokosnüsse sind, zusammen mit Fisch und trostlos an den Stauden hängenden Bananen, als Hauptnahrungsmittel übrig geblieben. Auch die Tage des Fischfangs könnten bald gezählt sein. Infolge des Klimawandels hat sich die Temperatur des Meerwassers erhöht, was die das Atoll umrankenden Korallen nicht vertragen.

Korallen verschwinden. Der Rückgang der Koralle zieht auch den Rückgang der Fische nach sich, die haben dort ihre Brutstätten. Die ohnehin schon weitgehend leergefischte Südsee wird also noch fischärmer. Lebensmittellieferungen aus Bougainville, in erster Linie Reis, erreichen das Carteret-Atoll nur in unregelmäßigen Abständen.

Die Wege zwischen und auf den Inseln sind lang. Von Papua-Neuguineas Hauptstadt Port Moresby erreicht man mit einem kleinen Flugzeug die Insel Bougainville. Dort sind die Straßen oft ungeteert und brüchig. Wasserlacken und umgestürzte Bäume sind übliche Hindernisse auf den Wegen. Denn wenn es in dem tropischen Gebiet regnet, regnet es in Sturzbächen. Von Bougainville aus kann man in vier Stunden mit einem kleinen Motorboot zu den Carteret Islands schippern. Ein anderes Transportmittel gibt es nicht.

Für die Bewohner stellt jedes ankommende Boot eine Sensation dar. In Scharen bauen sie sich am Ufer auf und winken. Ins Auge springen die vielen Kinder. Rufina Moi hat drei Kinder und elf Enkel – wenig im Vergleich zu vielen Familien in Papua-Neuguinea, die oft zehn oder mehr Kinder bekommen. Viele Jahre hat Moi als Lehrerin in Bougainville gearbeitet. Als sie 1984 nach Han zurückkehrte, war ihre Heimatinsel nicht mehr dieselbe. Sie begann zu verstehen, was Klimawandel bedeutet. Sie fand nicht nur eine enorm geschrumpfte Insel vor – inzwischen sind mehr als 50 Prozent der Landfläche im Meer verschwunden. Ihre Heimat wurde auch immer häufiger von Sturmfluten heimgesucht: „Als die erste größere Springflut 1997 kam, hatte ich so eine Ahnung gehabt, dass es noch heftiger kommen würde.“

Zerstörerische Zyklone. 2008 hat sich Mois traurige Prophezeiung bewahrheitet. Ein heftiger Sturm jagte riesige Wellen über die Insel. Die Bewohner schnappten ihre Kinder, und es blieb ihnen nichts anderes übrig als zuzuschauen, wie das Wasser Häuser mitriss, schildert der 70-jährige John Sailik die Ereignisse. Einige Insulaner schafften es noch rechtzeitig, ihr Hab und Gut an Bäumen festzubinden.

Zerstörerische Zyklone fegen seither öfter über die Insel. Ein Rundgang zeigt das Ausmaß der Verwüstung: umgestürzte Bäume, salzige Wasserlacken, Holzpflöcke, die aus dem Wasser ragen. Man kann erahnen, dass die Insel wirklich einmal etwas von einem fruchtbaren Paradies hatte.

Auch die Tropenstürme sind Teil des Klimawandels, die Pazifischen Inseln sind ihnen besonders ausgesetzt. In der Region sind laut Bericht der Weltbank zwischen 1990 und 2000 Schäden von mehr als einer Milliarde US-Dollar entstanden. Menschen kamen auf dem Carteret-Atoll bisher nicht zu Schaden. Doch die Angst der Insulaner vor einer größeren Katastrophe wächst. Die Lage ist ähnlich wie auf den Pazifikinseln Tuvalu und Kiribati. Die Bevölkerung Kiribatis hat sich inzwischen halbiert, weil die „Klimaflüchtlinge“ die Insel verlassen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass bis zum Jahr 2050 bis zu 200 Millionen Menschen wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen.


Schwerer Abschied. Anpassung an den Klimawandel ist auch auf den Carteret-Inseln zum traurigen Modebegriff geworden. Anpassung – was heißt das? John Sailik sagt resigniert: „Wir haben unsere Häuser so gelassen, wie sie sind. Wir haben kein Geld, um sie besser zu befestigen, stabiler zu bauen.“ Die kleinen Holzhäuschen mit Dächern aus Sago sehen so aus, als hätten heftige Fluten ein leichtes Spiel.

Wie Moi war auch Sailik Lehrer. Er ist der einzige auf der Insel, der eine Brille trägt. „Alle reden von Umsiedlung. Doch ich will meine kleine Insel nicht verlassen. Ich liebe sie. Ich bin hier aufgewachsen. Auch wenn hier nur noch ein Baum steht, ich will bleiben.“ Rufina Moi würde zwar nach Bougainville ziehen, doch auch nur schweren Herzens. Die jüngeren Bewohner des Atolls würden nicht zögern umzusiedeln, böte man ihnen ein Stück Land.

Leichter gesagt als getan, wie es scheint. Versuche seitens der Regierung von Bougainville oder der lokalen Hilfsorganisation „Tulele Peisa“, den Carteret-Bewohnern Land zur Verfügung zu stellen, sind bisher alles andere als von Erfolg gekrönt. Der größte Teil der Insel Bougainville befindet sich im Besitz von privaten Landeigentümern, die – wie fast überall in Papua-Neuguinea – in Clans gegliedert sind. Die übrigen 20 Prozent teilen sich die katholische Kirche und die Regierung. Seit 2006 versucht Tulele Peisa zu verhandeln. Zwei Familien in vier Jahren – so lautet die mickrige Bilanz.

Das Land hat die katholische Kirche in einem Ort namens Tinputz an der Nordwestküste von Bougainville zur Verfügung gestellt. Es mangle an Geld für den Landkauf und den Hausbau, sagt Ursula Rakova, die Leiterin von Tulele Peisa. „Bis 2010, nein, ich meine 2015, wollen wir 83 Familien auf Bougainville unterbringen, 1700 Menschen bis 2020.“ Ihr Versprecher lässt erahnen, dass die Zahlen korrigiert werden mussten. Der Lokalregierung macht sie Vorwürfe, dass sie ihre Versprechen, den bedrohten Insulanern zu helfen, nicht einlöst.

»Ohne Land bist du nichts.« „Vielleicht haben wir uns nicht genügend um sie gekümmert“, gesteht Bougainvilles Regierungsbeauftragter Ephraim Eminoni ein. Aber auch er hat ehrgeizige Pläne: Ab Jänner 2011 will er 40 Familien vom Carteret-Atoll nach Bougainville bringen, dann jährlich weitere 40. So wie Ursula Rakova sieht er als größte Herausforderung die Verhandlungen mit den Clans, den „Klimaflüchtlingen“ Land abzutreten: „Land bedeutet hier alles für das Individuum: Identität, Lebensunterhalt, Reichtum. Ohne Land bist du ein Niemand. Mit Land wirst du anerkannt und bist Teil von Papua-Neuguinea.“ Für Ursula Rakova ist die Umsiedlung auch eine persönliche Angelegenheit. Auf der zerteilten Insel Huene leben ihre Verwandten. „Außenstehende können sich nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist, wenn einem das Zuhause unter den Füßen wegschwimmt“, sagt sie.

Mit der Ernte steht und fällt alles. Die Entwicklungsorganisation „Brot für die Welt“ möchte Tulele Peisa bei ihrer Arbeit unterstützen. Thomas Hirsch, Klimaexperte der Organisation, hebt hervor: „So kleine Inseln wie die Carteret Islands haben keinen Puffer, das heißt, wenn da die Ernte schlecht ausfällt, leiden die Menschen Hunger.“ Viele Kinder, die auf der Insel Han im weißen Sand spielen, haben Blähbäuche und sehen mangelernährt aus

In den nächsten zehn Jahren werden die Carteret-Inseln unbewohnbar werden, schätzt Thomas Hirsch. „Wichtig ist, die Übersiedlung der Insulaner rechtzeitig zu unterstützen, damit die Migration gesteuert abläuft und nicht zur hastigen Flucht wird.“ Anpassung bedeute auch, ihnen zunächst Zeit zu schenken, um mit dem veränderten Klima besser leben zu können.

Unterstützung bei der Anpassung für die vom Klimawandel betroffenen Gebiete war daher eine der Hauptforderungen von „Brot für die Welt“ und vielen anderen Organisationen bei der Klimakonferenz in Cancún.

Im Einklang mit der Natur.
„Die Menschen hier leben mit der Natur. Sie sind unschuldig am Klimawandel“, sagt Bougainvilles Regierungsbeauftragter Ephraim Eminoni. Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt der pazifischen Republik Kiribati, Tessie Eria Lamourne, unterstützt diese Aussage: Die pazifischen Inselstaaten trügen mit nur etwa 0,03 Prozent zum weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen bei. Dafür stünden sie aber an vorderster Front der vom Klimawandel betroffenen Staaten.

Auch von den Bewohnern der Carteret-Inseln glauben nur noch wenige, dass die immer häufigeren Stürme und die kargen Ernten eine Strafe Gottes seien. Nicht anklagend, sondern leise und eindringlich erklingen John Sailiks Worte: „Ich denke, die Industrienationen haben die Verantwortung für den Klimawandel. Unsere Insel wird nun immer kleiner. Kaum noch etwas wächst. Vielleicht hätte meine kleine Insel überleben können.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2010)

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