Leitartikel

Festspiele? Das sind im Idealfall richtungweisende Kunstereignisse

Aida - Salzburger Festspiele 2022
Aida - Salzburger Festspiele 2022APA/BARBARA GINDL
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Bayreuth und Salzburg, beide europäische Vorzeigefestivals, wären wohl mit einem Schlag wieder Avantgarde, nähmen sie Mozart und Wagner ernst.

Ausverkauft? Das war einmal. Wer im sommerlichen Salzburg einst Oper oder Schauspiel erleben wollte, musste gute Beziehungen haben, um an Karten zu gelangen. Heute genügt ein Blick auf die Website der Festspiele, um festzustellen: Sogar bei den populärsten Titeln, „Aida“ oder „Zauberflöte“, findet man auch im letzten Moment noch Einlass. Nur der „Jedermann“ ist ausgenommen. Er gehört seit 1920 zu den Kulturlegenden Österreichs. Da muss man dabei sein. Auch wenn der Regietheaterzahn sogar an Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ genagt hat. Aber nur ein bisschen.

Bei den übrigen Hervorbringungen des Festspieltheaters lassen hingegen nicht einmal mehr die Titel erwarten, es könnte da irgendetwas erkennbar mit dem Werk eines berühmten Dichters zu tun haben. Man gibt etwas „nach Euripides/Racine/Goethe“, lässt Schnitzler umschreiben, Fleißer kompilieren.

In der Oper camoufliert die Musik die Dokumentenfälschung. Die Partituren der Komponisten tastet man noch nicht an, auf der Bühne freilich ist oft wenig bis gar nichts von der Handlung zu sehen, von der die Sänger singen. Das nämliche Leid klagen Besucher des europäischen Urfestivals: In Bayreuth sind nur noch einige gelangweilte Feuilletonisten fasziniert, das Publikum stöhnt unter den szenischen Willkürakten. Da glaubt man nicht recht an die gern gegebene Erklärung, Corona sei an allem schuld. Es ist wohl eher so: Wagner-Verehrer haben keine Lust, sich einen neuen „Ring des Nibelungen“ anzuschauen, der die 16-stündige, auf vier Abende verteilte Tragödie vom Leben und Sterben der Götter auf das Niveau einer Vorabendfernsehkomödie herunterzieht. Vorbei jedenfalls die Zeiten, in denen man acht Jahre lang bestellen musste, um einmal an Karten zu gelangen.

Einzelne geglückte Theatermomente können nicht über die Ignoranz gegenüber dem großen Ganzen hinwegtrösten. Vergessen wir nicht: Nach Bayreuth blickte die Welt, um die Messlatten in Sachen Wagner-Interpretation zu legen. Nach Salzburg pilgerte man, um die bedeutendsten Dirigenten, die besten Sänger Mozart und Richard Strauss musizieren zu hören. Bruno Walter, Clemens Krauss, Wilhelm Furtwängler oder Karl Böhm haben Maßstäbe gesetzt. Es bedurfte der Kehrtwende in der Ära von Gerard Mortier, dass die Forderung nach musikalischer Exzellenz plötzlich belächelt wurde, um der allseits geübten Vergötterung interpretatorischer Willkürakte zu weichen.

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