Warum ausgebrannte „Tanten“ das Handtuch werfen

(c) BilderBox.com (Erwin Wodicka)
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Kindergarten-Pädagoginnen zerbrechen immer öfter an der Diskrepanz zwischen Anforderungen und Arbeitsbedingungen. Das österreichische Gesetz ist meistens zufrieden, wenn auf 25 Kinder eine Pädagogin kommt.

Wien. Die Kindergärtnerin sitzt mit zwei Mädchen am Tisch und versucht, sich mit ihnen auf ein Bilderbuch zu konzentrieren. „Was siehst du auf diesem Bild?“, fragt sie die kleine Anna. Doch Annas Antwort hört sie nicht mehr. Die geht in dem lautstarken Streit unter, der daneben in der Bauecke ausgebrochen ist.

Die Pädagogin steht auf, um die Buben zu beruhigen. Von der offenen Tür winkt eine Mutter. „Ich muss dringend mit Ihnen sprechen“, sagt sie, während sich die Leiterin des Kindergartens in die Gruppe schiebt: „Hallo, Frau Kollegin. Seien Sie so lieb, ganz schnell, füllen Sie mir die zwei Listen aus?“Ein Horrortag? Nein, sagt Raphaela Keller, Vorsitzende der Berufsgruppe Kinder- und HortpädagogInnen Wiens. „Für viele Kindergartenpädagoginnen ist das ein ganz normaler Tag.“

Ein völlig neuer Beruf

Das Resultat ist dramatisch: Zerrissen zwischen immer aggressiveren Ansprüchen und zerrieben von den schlechten Arbeitsbedingungen werfen immer mehr Kindergartenpädagoginnen entweder das Handtuch oder gehen erst gar nicht mehr in den Kindergarten (bis zu 70Prozent der Bakip-Absolventinnen entscheiden sich gegen den Job, für den sie eigentlich ausgebildet wurden). „Kindergärtnerin ist mittlerweile ein Beruf, in dem man sehr schnell ausbrennt“, sagt Raphaela Keller.

Gründe dafür gibt es viele, doch sprießt das Übel vor allem aus einer Wurzel: Die Bedingungen, unter denen Österreichs Kindergärtnerinnen arbeiten, haben mit dem, was heute von einem guten Kindergarten erwartet wird, nicht Schritt gehalten. „Es ist in Wahrheit ein völlig neuer Beruf“, sagt eine Kindergärtnerin, die seit 26Jahren in diesem Bereich tätig ist. „Die Gesellschaft hat sich geändert, die Eltern haben sich geändert, und die Kinder haben sich geändert.“ Dennoch hält sich hartnäckig ein Image der „Kindergartentante“, das Raphaela Keller mit „ein bisserl spielen, ein bisserl basteln“ karikiert.

Dabei sprudelt die Elementar- oder frühkindliche Pädagogik – seit Kurzem gibt es in Graz den ersten österreichischen Uni-Lehrstuhl dafür – nur so vor neuen Erkenntnissen. Die wichtigsten: Spielen = Lernen und die formativste Zeit dafür ist die bis zum siebenten Lebensjahr. Das haben auch viele Eltern verstanden, die ihre Kinder heutzutage wesentlich früher und wesentlich länger in den Kindergarten schicken als vor 20Jahren.

Vor allem berufstätige Eltern befinden sich oft in einem heiklen Dilemma: Einerseits wissen sie, wie wichtig die vorschulische Zeit für ihre Kinder ist, andererseits können sie selbst aus Zeitmangel nicht leisten, was sie für notwendig erachten.

Die Eltern machen Druck

Das Resultat ist eine Mischung aus schlechtem Gewissen und der Forderung an den Kindergarten, einen gleichwertigen Ersatz zu bieten. Dabei wird viel nachdrücklicher als früher eingefordert, dass die Kindergärtnerin auf jedes Kind individuell eingehe. „Sehr oft werden dabei Grenzen überschritten. Was die Eltern zu Hause nicht schaffen, soll der Kindergarten abdecken“, sagt die erfahrene Kindergärtnerin. Heidemarie Lex-Nalis, Bildungsexpertin der Plattform EduCare, kennt die Konsequenzen: „Bei mir in der Weiterbildung sitzen fast nur Kindergärtnerinnen, die ob der Ansprüche der Eltern verzweifeln.“ Und da ist noch keine Rede von anderen „Berufsrisiken“ wie etwa Lärmpegel, Ansteckungsgefahr oder Haltungsschäden wegen der kleinen Möbel.

25 Kinder – eine Erzieherin

Das österreichische Gesetz hat dafür nur wenig Verständnis. In den meisten Bundesländern ist es zufrieden damit, wenn auf 25 Kinder eine Pädagogin kommt – wenn sie Glück und der Kindergarten genug Geld hat, mit einer Helferin. In vielen Kindergärten sind die Pädagoginnen für 40Stunden angestellt und müssen diese mit den Kindern verbringen.

Zeit für Vorbereitung oder Elterngespräche bleibt da keine bzw. muss die Freizeit der Pädagoginnen dafür herhalten. Wie auch für die Weiterbildung, die ebenfalls als Privatsache angesehen wird. Und wegen des Geldes wird auch niemand Kindergärtnerin: 1700Euro brutto gibt es etwa in Wien und Salzburg, 2000 in Niederösterreich.

Der Bildungsplan, wie er in Wien bereits existiert, kann unter diesen Bedingungen nicht umgesetzt werden. Und immer mehr Kindergärtnerinnen werden in Zukunft das Handtuch werfen.

Auf einen Blick

Die Forderungen. Einmal sind die Kindergärtnerinnen bereits auf die Straße gegangen, um sich Gehör zu verschaffen. Sie wollen maximal 15Kinder je zwei Pädagoginnen (bei unter Zweijährigen sollen es noch weniger sein), ein deutlich höheres Einkommen und Bundes- statt Länderkompetenz für den Kindergartenbereich. Außerdem soll die Ausbildung der Kindergärtnerinnen reformiert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2010)

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