Der Sturm zog fast vorbei am Frequency Festival in St. Pölten, das trotzdem unterbrochen werden musste. Der eigentliche Headliner spielte als Vorletzter.
„Es riecht nach Pisse. Es riecht nach Tod. Aber ich fühl' mich hier wohl“, rappte Felix Kummer am Donnerstagnachmittag beim Frequency Festival, aber lange dauerte sein Wohlgefühl nicht. Dunkelgraue Wolken zogen aus dem Süden Richtung St. Pölten. Die Konzerte wurden unterbrochen, die Zuschauerschaft aus dem Bühnenraum gescheucht. Es sollte nicht so schlimm werden wie in Kärnten und der Steiermark. Ein bisschen Wind, ein bisschen Regen, schon war es vorbei und das erste Frequency seit drei Jahren konnte weitergehen.
Was hat sich verändert seit 2019? Es gibt jetzt glutenfreie Burger und veganes Curry. Männer laufen Hand in Hand über den steinigen Boden, und viele, viele Frauen tragen ihr Haar in zwei aufwändig geflochtenen Zöpfen (es soll eine „Flechtstation“ geben). Auf den Wangen glänzt Glitzer (übrigens Mikroplastik). Insgesamt aber: Alles sehr nett und woke hier. „Wir kämpfen dafür, dass People of Color einen Platz haben – nicht nur hier auf dem Festival, sondern auch in der Welt“, sagte Jason Butler, Sänger der Hardcore-Band Fever 333 und Afroamerikaner, der den Konzertreigen wieder eröffnete. Politische Statements auf der kleineren „Green Stage“, Harmonie unterdessen auf der Hauptbühne, die heuer ungeahnte Dimensionen erreicht hat: Links und rechts sind eine Art Säulen mit halbrunden Screens angebracht. Als wäre man am Set einer Marvel-Comicverfilmung. Über die Bildschirme flimmerte ein Homevideo mit einem Kind und einem Opa zu den lieblichen Klängen der Oxforder Indie-Band Glass Animals.
Nach ihnen stand der Rapper 24KGolden allein, ein bisschen verloren auf dieser gigantischen Bühne. Die Kraft einer Band demonstrierte in der gut gefüllten Halle (Red Bull Stage) das dauertourende oberösterreichische Trio Folkshilfe mit ihrem Alpen-Rock oder Quetschn-Synthie-Pop oder wie man diesen singulären Sound auch nennt. Ihre Ode an die Männerfreundschaft, „He du“, leiteten sie mit Küssen untereinander ein: „Wir werden uns so lange auf der Bühne küssen, bis es keine Reaktion mehr gibt, weil sich zwei Männer küssen“, versprach Sänger Florian Ritt. Süß. Ritts Interaktion mit dem willigen Publikum war ungezwungen, leicht.
Männerliebe als Zahlencode
RAF Camora ist da anders. „Alle klatschen“, sagte er. „Alle springen“, „Alle schalten das Licht von ihren Handys ein.“ Der aus Wien-Fünfhaus stammende Rapper befahl, das willige Publikum gehorchte. Er repräsentiert ein anderes Männlichkeitsbild als die Folkshilfe, auch wenn er mit dem Schlachtruf „187“ – der sich auf Kompagnon Bonez MC bezieht – ebenfalls die treue Freundschaft beschwor. Männerliebe als Zahlencode. Die Gefühle sind dem Gangsta-Rapper nicht leicht. Die Frauen, „Bitches“, spielen in einer „anderen Liga“. Leichter fällt die Liebe zu Autos, die in seinen Texten ständig erwähnt werden.
Zwei Tänzerinnen in Netzstrumpfhosen reckten dem Rapper, der zwischenzeitlich am Dach des Technik-Turms stand, ihre Hintern entgegen. Umflogen wurden sie von einer Drohne, die ihre Bilder flugs auf die Leinwände projizierte. Zu Beginn des Auftritts filmte er sich selbst, gegen Ende wurde das Publikum Teil eines Vidoedrehs: Man solle den Deutschen und Schweizern (Camoras Geburtsland) zeigen, wie man ein Moshpit mache! Brav teilte sich die Menge, um sich bei den ersten Klängen des eines neuen Songs wieder zu vereinen. Verletzungsfrei hoffentlich.
Sein Auftritt endete mit einem Feuerwerk (doch nicht alles so woke hier), als wäre er der Headliner. War er für die meisten Zuschauer auch, keiner versammelte mehr Menschen vor der Bühne. Dabei gab es nach ihm noch Mittanz-Pop von Jason Derulo. Ein versöhnlicher Schluss, Gangsta-Rap hinterlässt doch immer ein Gefühl der Misanthropie. Und dabei war doch alles so nett ...