Der ökonomische Blick

Vorschläge aus der Bevölkerung: Klimaräte auf dem Vormarsch

++ HANDOUT ++ BP VAN DER BELLEN EMPFAeNGT KLIMARAT DER BUeRGERINNEN UND BUeRGER
++ HANDOUT ++ BP VAN DER BELLEN EMPFAeNGT KLIMARAT DER BUeRGERINNEN UND BUeRGERAPA/BUNDESHEER/PETER LECHNER
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Wie verbessert man die Akzeptanz von klimapolitischen Maßnahmen? Die Beteiligung der Bevölkerung, etwa durch Klimaräte, ist ein wesentlicher Punkt.

Die Transformation zu einer weitgehend klimaneutralen Gesellschaft, im Fall von Österreich bis 2040 angestrebt, ist eine große Herausforderung. Die Herausforderung ergibt sich sowohl aus dem Ausmaß der erforderlichen Änderung als auch aus der Geschwindigkeit, in der dieser Wandel zu vollziehen ist. Der Weltklimabericht 2022 kommt zum Ergebnis, dass diese Transformation nicht nur das Energiesystem, sondern auch alle anderen Lebensbereiche umfasst – vom Verkehr, bis zu Ernährung, Bauen & Wohnen, Produktion und Konsum, Siedlungsstruktur und Landnutzung. Der Europäische Green Deal fordert zudem, dass diese Transformation sozial gerecht erfolgen soll, damit bestehende Ungleichheiten nicht verstärkt, im besten Fall verringert werden.

Der bisherige Fortschritt in dieser Transformation ist als bestenfalls ansatzweise zu bezeichnen, sowohl in Österreich als auch in Europa und global. Auf globaler Ebene muss das Investitionsvolumen in klimaneutrale Infrastruktur in den genannten Systemen in den nächsten Jahren um den Faktor 2 bis 6 erhöht werden, soll die Transformation gelingen. Auch bei den Haushalten sind erhebliche Einsparungspotenziale realisierbar: 5 bis 7 Prozent bis 2030, beinahe 40 Prozent bis 2050. Jedes verstrichene Jahr vergrößert die Herausforderung – immer mehr muss in immer weniger Zeit erreicht werden, gleichzeitig müssen alle Optionen genutzt werden, auch riskante wie CO2-Abspeicherung und -Lagerung.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Gesellschaftliche Akzeptanz

Aber warum war der Fortschritt im Klimaschutz bislang so gering, das politische Handeln so zögerlich? Die Dringlichkeit im Klimaschutz wurde über Jahrzehnte als zu gering eingeschätzt, andere Krisen beherrschten die öffentliche Debatte und das politische Tagesgeschäft. Eine besonders wesentliche Barriere ist die gesellschaftliche Akzeptanz, und somit politische Dursetzbarkeit, von weitreichenden, auch zunächst unpopulären Maßnahmen – schließlich sind nicht nur alle Lebensbereiche von der Transformation zu Klimaneutralität betroffen, es braucht auch das Mittragen und Mitmachen aller Gesellschaftsgruppen.

Wie verbessert man diese Akzeptanz? Verschiedene Verfahren zur Beteiligung der Bevölkerung wurden in den letzten Jahren in unterschiedlichen Ländern erprobt, um dieses Mittragen und Mitmachen zu verbessern. Nicht über die Köpfe hinweg entscheiden, das umfassende Wissen der Bevölkerung nutzen – so die Argumente für einen Bürger:innenrat. Viele Länder haben es schon vorgemacht, zu so unterschiedlichen Themen wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, biologische Vielfalt oder eben auch Klimaschutz. Initiator im Bereich Klimaschutz ist entweder der Staat (beispielsweise in Frankreich und Irland) oder Nicht-Regierungsorganisationen (Deutschland). Zumindest drei Eigenschaften zeichnen einen Klimarat aus: eine zufällige, möglichst repräsentative Auswahl der Mitglieder; eine offene Diskussion unterschiedlicher Standpunkte und Lösungsvorschläge und die Erarbeitung von Empfehlungen, die dann den politischen Entscheidungsträgern übergeben werden. In den meisten Fällen erstreckt sich die Arbeit eines Klimarates über mehrere Monate, mit mehreren moderierten Treffen, begleitet durch ein Team von Wissenschafter:innen; auch Rückmeldungen von und der Austausch mit unterschiedlichen Interessengruppen werden ermöglicht.

Alltagskompetenz

Bringen zufällig ausgewählte Bürger:innen ausreichende Kompetenz für solche komplexe Aufgabenstellungen mit? Wenn der Prozess auf die Alltagskompetenz der Bürger:innen abstellt: jedenfalls. In Österreich erarbeiteten Bürger:innen heuer in zwei solchen Prozessen ihre Empfehlungen: Österreichweit ausgewählt trafen sich 88 Bürger:innen an sechs Wochenenden, diskutierten in thematischen Arbeitsgruppen und stimmten 93 Empfehlungen konsensual ab. Im Bundesland Steiermark traf sich eine halb so große Gruppe, um eine Zukunftsvision zu entwickeln und mehrere Wege dorthin auszuloten. Diese Vision wurde dann an die Verwaltung und Fachleuten für die Maßnahmenausarbeitung übergeben. Dieser Beteiligungsprozess war daher weniger aufwändig im ersten Schritt und ist somit auf kleineren Skalen (Gemeinde, Bezirk) leichter reproduzierbar. In beiden Prozessen geht es auch um die richtigen Erwartungen: nicht alle Detailfragen stehen zur Disposition, wohl aber die Einschätzung der Veränderungsoptionen, die den Alltag von uns allen betreffen, mit allen Details die da hineinspielen. Beispielsweise wurde die Frage „wird es Privatbesitz von Pkws geben?“ aufgelöst in „ja, wobei die Verfügbarkeit von öffentlichem Verkehr und Car-Sharing den Privat-Pkw nicht mehr erforderlich machen“.

Unterstützende Moderation ist für die Effektivität solcher vielfältigen Großgruppen zentral. Wie diese aufgesetzt ist entscheidet darüber, ob es wirklich die Bürger:innen sind, die hier ihre Positionen ausarbeiten, oder ob sie schnell erkennen, dass jemand versucht sie als Sprachrohr für eigene Vorstellungen zu missbrauchen – und sich dann wohl schnell zurückziehen.

Wie viel wird umgesetzt?

Hat das Ergebnis Bedeutung, oder landet es ohnehin nur in einer Schublade? In Frankreich wurde bisher etwa die Hälfte der Vorschläge des Klimabürgerrates umgesetzt. Während in manchen Ländern nach dem Bürger:innenrat vor allem die Initiatior:innen aktiv waren, die Ergebnisse der Bürger:innen wirkungsvoll werden zu lassen, haben die Mitglieder des Klimarats in Österreich sich zudem auch selbst ermächtigt und einen Verein gegründet. Nach der Übergabe der Empfehlungen an die Bundesregierung und mehreren Aktivitäten auf regionaler Ebene besucht eine Delegation von Bürger:innen das Europäische Parlament in Brüssel und vernetzt sich mit anderen Klimaräten. Neben dem unbeschreiblichen Wissenszugewinn der Bürger:innen wäre es Verschwendung das intensiv erarbeitete Gesamtpaket von Empfehlungen nicht gewichtig einzusetzen in der tatsächlichen Transformation unserer Gesellschaft.

Hebeln wir damit die repräsentative Demokratie aus? Wieso sollen ganz wenige, zufällig ausgewählte Bürger:innen über unsere Gesellschaft entscheiden? Die Intention ist die Alltagsumsetzung auszudiskutieren, dafür in manchen Feldern durchaus „erstrittene“ Lösungen den gewählten Repräsentant:innen verfügbar zu machen – um sie in deren Verantwortung einfließen zu lassen in die Gestaltung der realen Transformation. 

Zu den Personen

Birgit Bednar-Friedl war Koordinierende Leitautorin des 6. Sachstandberichts des Weltklimarats IPCC und leitete gemeinsam mit dem Glaziologen Georg Kaser den Wissenschaftlichen Beirat des österreichischen Klimarats. Sie ist Umweltökonomin an der Universität Graz und forscht zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels.

Karl W. Steininger ist Professor für Klimaökonomik und Nachhaltige Transition am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz und war im wissenschaftlichen Beirat beider genannten Bürger:innenräte tätig.

Birgit Bednar-Friedl und Karl W. Steininger
Birgit Bednar-Friedl und Karl W. Steininger

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2022)

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