Interview

Pensionsexperte Pöltner: "Brauchen wieder eine Revision des Systems"

(c) Tobias Steinmaurer / picturedesk.com
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Walter Pöltner, einst Spitzenbeamter und Kurzzeitminister, spricht im Interview (nicht nur) über die nahende Pensionserhöhung.

Die Presse: Herr Pöltner, Sie haben im Vorjahr als Chef der Alterssicherungskommission aufgehört, weil die Politik Ihrer Ansicht nach die „langfristige Sicherung der Pensionen nicht ernst genug nimmt“. Was haben Sie damit gemeint?

Walter Pöltner: Unser System ist nach dem Umlagesystem finanziert. Das heißt, die Aktiven zahlen gleichzeitig mit ihren Beiträgen die Bezüge der aktuellen Pensionisten. Dieser Generationenvertrag ist ein ganz sensibles Gefüge. Und man muss darauf achten, dass die Einkommen der Aktiven sich im gleichen Maß entwickeln wie die Pensionen. Es kann nicht sein, dass man sagt, die Pensionisten dürften keinen Realeinkommensverlust haben, während die Aktiven davon nur träumen können. Das ist das eine. Das andere: Ein Prozentpunkt Pensionserhöhung bedeutet 500Millionen Euro, das ist nicht nichts. Und das die nächsten Jahre, das ist ja eine Zinseszinsrechnung. Wir sollten bei all dem darauf achten, dass die Jungen später ungefähr das haben, was Pensionisten jetzt haben.

Was würden Sie denn jetzt stattdessen empfehlen, wenn Sie noch in Ihrer alten Funktion wären?

Auf keinen Fall über das gesetzliche Maß hinausgehen. Hat die Regierung wirklich so viel Geld? Und ich würde der Politik raten, den Begriff Armutsbekämpfung ernst zu nehmen. Armut entsteht ja nicht im Alter. Dort muss man ansetzen, nicht einmal im Jahr bei der Pensionsanpassung, indem man sagt: „Die kleinen Pensionen kriegen mehr!“ Wenn man sich schon immer so sozial geben will, soll man sich überlegen, ob man es nicht gleich steuerfinanziert macht.

Die Ausgleichszulage liegt bei rund 1000 Euro, bei 30Beitragsjahren über 1100 Euro. Der Unterschied zur Durchschnittspension ist da nicht mehr allzu groß.

Da muss man auch aufpassen. Denn wenn ich eine Ausgleichszulage habe, bin ich ja außerdem automatisch von vielen Befreiungen betroffen. Unter Umständen hat also jemand mit ungefähr 1100 Euro Pension weniger verfügbares Einkommen als jemand mit einer Ausgleichszulage. Ich hatte selbst einen Fall auf dem Tisch, bei dem eine Frau Anspruch auf 100Euro Pension aus Deutschland hatte. Sie wollte aber auf diese zusätzliche Pension verzichten, weil sie damit aus der Ausgleichszulage – und damit aus allen Befreiungen – rausgefallen wäre.

Vizekanzler Werner Kogler sagte im ORF-„Sommergespräch“, dass man die Pensionen heuer stärker als vorgesehen anheben sollte, dafür aber nächstes Jahr womöglich sogar unter den gesetzlichen Anpassungswert gehen könnte. Das begründet er damit, dass die Inflation ja bald wieder sinken könnte, das aber im Anpassungswert des nächsten Jahres noch nicht ausreichend berücksichtigt wäre. Wie finden Sie diese Idee?

Ich glaube nicht, dass es nächstes Jahr weniger wird. Diese politische Naivität habe ich ehrlich gesagt nicht. Die Pensionistenverbände sind kräftig genug.

In den vergangenen Jahren hat die Politik den Anpassungsfaktor allenfalls als Richtwert genommen, es hat sich ein System aus zusätzlichen Erhöhungen etabliert. Wie geht es Ihnen damit?

Schrecklich. Da waren alle Regierungen – ob mit Rot, Blau oder Schwarz – übrigens gleich therapieresistent. Einmal im Jahr wollen sie zeigen: Wir sind soziale Schwestern und Brüder.

Was haben Ihnen Politiker eigentlich geantwortet, wenn Sie ihnen gesagt haben, dass das nicht sehr gescheit ist?

Dass ich davon nix versteh, weil das Politik ist. Aber die Politik muss eben immer an Wahlen denken.

Die letzte große Pensionsreform gab es 2004 unter dem damaligen Kanzler, Wolfgang Schüssel (ÖVP). Brauchten wir so etwas wieder, Herr Pöltner?

Das unterscheidet einen normalen Politiker von einem Staatsmann: in der Lage zu sein, über eine Regierungsperiode hinauszudenken. Aber wenn man sich das Beispiel Schüssel ansieht, hat er damit ja auch tatsächlich die nächsten Wahlen verloren. Er hat Grundlegendes für die künftigen Generationen getan, er hat das System zukunftsfit gemacht. Aber das war 2004. Jetzt haben wir 2022. Insofern: Ja, wir würden wieder so eine Revision des Systems brauchen. Es hat einen hohen Innovationsbedarf.

Und in welche Richtung sollte diese Revision gehen?

Bei der Invaliditätspension wäre zum Beispiel einiges zu tun: Wann ist jemand invalid und warum? Wieso sind plötzlich so viele psychisch krank? Auch die Rehabilitation müsste man sich anschauen. Wie schaut das mit Teilzeit aus, wie mit Kindererziehungszeiten? All das muss man sich anschauen. Die Politik sollte sich einmal zu etwas durchringen, was nicht mit einem Schlagwort am nächsten Tag in der „Kronen Zeitung“ zu vermarkten ist.

ZUR PERSON

Walter Pöltner (70) war von 2002 bis 2015 Sektionschef im Sozialministerium und leitete später die Alterssicherungskommission. Der ehemalige SPÖ-Gemeinderat – er arbeitete auch für die Arbeiterkammer – wurde 2019 nach dem Zusammenbruch der türkis-blauen Regierung wegen des Ibiza-Skandals für einige Tage Sozialminister der Kurzzeitübergangsregierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2022)

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