Gastkommentar

Transgender in der Mitte der Gesellschaft? Thesen zur laufenden Debatte

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Transgender im Sport? In der Literatur? In der Gesellschaft? Als teilnehmende Beobachterin an den Debatten möchte ich einige Thesen einbringen, die markieren könnten, wann das Thema Transgender in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Iris Hajicsek (*1967) war in feministischen Projekten wie Frauencafé Wien, Ladyfest Wien 2005 und 2007 oder den Queer-feministischen Tagen 2009 aktiv und auch immer wieder mit Debatten rund um das Thema Transgender konfrontiert.

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Das Thema Transgender eignet sich immer gut, um Diskussionen zu entzünden, denn nur manche haben dazu Erfahrung, aber die meisten eine oft verfestigte Meinung. Eine gute Grundlage für hitzige Auseinandersetzungen. Als teilnehmende Beobachterin an den Debatten möchte ich auf der Grundlage dieser Teilnahme einige Thesen einbringen, die markieren könnten, wann das Thema Transgender endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Diese Auflistung versteht sich als Diskussionsbeitrag, der offen für Erweiterungen, Korrekturen, Ergänzungen und konstruktive Kritik ist. Starten wir den Thesenreigen also ganz einfach mit:

Das Thema Transgender ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ...

... wenn die Beiträge von Transgender-Personen zu feministischen Veranstaltungen, Organisationen und Debatten endlich von allen als das genommen werden, was sie sind: Nämlich Beiträge zum gemeinsamen, wenn auch diversen feministischen Projekt, die weder misstrauisch beäugt, noch abgewehrt, noch vor der Öffentlichkeit versteckt oder verschwiegen werden müssen.

... wenn das Thema "Transgender und Sport" nicht mehr nur Anlass ist, Ein- und Ausschlüsse entlang von Geschlechtergrenzen zu definieren, sondern ein Impuls, über diese althergebrachten Kategorien zu diskutieren und, wenn/wo man dies als sinnvoll erkennt, Leistungskategorien abseits der Geschlechterkategorien festzulegen. Wie das in manchen Sportarten schon längst geschehen ist. Nicht jede Tradition ist zukunftsweisend.

... wenn eine Transgender-Person sich durch den öffentlichen oder virtuellen Raum bewegen kann, ohne dass dies eine öffentliche Diskussionen, ob sie dabei zu männlich, zu weiblich oder zu binär ist, auslöst. Wie eben jede andere Person auch.

... wenn die öffentliche Debatte stattfinden kann, ohne dass beklagt wird, dass sie zu viel Raum einnimmt. Wenn die Debatte stattfindet, gibt es offensichtlich ein Bedürfnis danach, und nicht jede:r muss alle Beiträge dazu konsumieren, wenn das Interesse daran fehlt. Das sollte beim Konsum eines breiten medialen Angebots bei beschränkter Zeit für dessen Konsum eigentlich selbstverständlich sein.

... wenn die Antwort auf die Thematik nicht mehr in Verschwörungstheorien besteht, wie etwa derjenigen, dass eine finstere Konspiration von Transgender-Aktivist:innen die Jugend dazu verführen wolle, sich als Transgender zu definieren. Was hätte das denn für einen Sinn und was sollten die Motive dafür sein?

... wenn bei jugendlichen Transgender-Personen die paranoiden Fragestellungen, ob sie zur Hinterfragung der eigenen Geschlechtsidentität gedrängt oder künstlich davon abgehalten werden, endlich verschwinden und ihnen einfach der größtmöglichen Raum und die beste Unterstützung und Expertise bei der Entfaltung ihrer Persönlichkeit geboten wird. Das beinhaltet auch Maßnahmen, um den Eintritt einer möglicherweise problematischen Pubertät zu verzögern, wo dieser die schlimmere Alternative zum Einsatz entsprechender Medikamente wäre, bis persönliche Klarheit über das weitere Vorgehen herrscht. Immerhin ist das Einsetzen der Pubertät das Ereignis mit den bei medizinischen Schritten oft mißtrauisch kritisierten "irreversiblen körperlichen Folgen." Kinder und Jugendliche verdienen einen guten Start in ihr weiteres Leben.

... wenn sich Transgender-Personen an der Öffentlichkeit auch mal danebenbenehmen oder aus der Rolle fallen können, ohne dass dies gleich zum Indikator ihrer psychischen Gesundheit, womöglich gleich als Gruppe, stilisiert wird.

... wenn die Teilhabe an öffentlichen Räumen und Ressourcen wie Frauenhäusern, Frauenförderungen etc. durch gemeinsame Entscheidungen statt durch einseitige Ausschlüsse ermöglicht oder unterbunden wird.

... wenn nicht mehr diskutiert werden muss, dass einzelne Transgender-Frauen auf Frauenplätzen von Parteiwahllisten etc. nicht der Grund dafür sind, dass es zu wenige Frauen an Schaltstellen der Gesellschaft gibt. Dass gesellschaftliche Machtverhältnisse statt individueller Entscheidungen hinterfragt werden müssen.

... wenn nicht jede Übeltat, die von einer Transgender-Person begangen worden ist, allen Angehörigen dieser Gruppe vorgehalten wird und diese so durch die Hintertür zu potentiellen Mittäter:innen erklärt werden. Wenn Übergriffe von einzelnen, etwa im Frauengefängnis, als individuelle Schuldfrage behandelt werden und nicht als (willkommener?) Anlass zur Exklusion einer ganzen Gruppe aus diesem Raum. Wenn die daraus resultierende Konsequenz, nämlich die Einweisung von verurteilten Transgender-Frauen in Männergefängnisse, als das verstanden wird, was sie ist: Nämlich ein impliziter Aufruf zu Übergriffen gegen eine vulnerable Personengruppe.

... wenn endlich von den meisten verstanden wird, dass eine gesellschaftliche Diskriminierung von Transgender-Personen besteht und die Analyse "Transphobie" meist nicht gegen Einzelpersonen, sondern gegen gesellschaftliche Zustände gerichtet ist. Gewalttäter sind nur die Spitze eines Eisbergs, der den Umgang mit Transgender-Personen kalt macht. Viel kräfteraubender sind auf Dauer Alltagsdiskriminierungen: Wenn allein auf der Basis "Transgender" stereotype Annahmen über Verhalten, Weltbild und Befindlichkeit einer Person getroffen werden, die im Einzelfall weit an der Realität vorbeigehen, aber den Umgang mit der Person bestimmen. Wenn im zwischenmenschlich-sexuellen Umgang miteinander Transgender-Personen ohne weiteres Ansehen der Person a priori aus dem Datingpool ausgeschlossen oder als sexueller Fetisch behandelt werden. Wenn eine Transgender-Person an der Feinkosttheke im Supermarkt konsequent nicht bedient wird, weil das Servicepersonal offensichtlich unsicher ist, wie sie angesprochen werden soll und eine Rückfrage für peinlich hält. Wenn der Anruf bei der Bank oder der Versicherung abgeblockt wird, weil die anrufende Person sich am Telefon nicht mit einer Stimmlage meldet, die den Geschlechtsstereotypen der Person am anderen Ende der Leitung entspricht und daher "keine Auskunft an Fremde" erteilt wird. Wenn Transgender-Personen sich solche Dinge, die andere selbstverständlich und ohne Rückfrage bekommen, täglich neu erkämpfen müssen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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