Junge Forschung

Was machen Reifen bei 300 km/h?

Philipp Eder beschäftigt sich nicht nur wissenschaftlich mit schnellen Autos, er hat auch schon selbst an Rennwagen mitgebaut.
Philipp Eder beschäftigt sich nicht nur wissenschaftlich mit schnellen Autos, er hat auch schon selbst an Rennwagen mitgebaut. © Helmut Lunghammer
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Der Grazer Techniker Philipp Eder forscht an Rennautos. Der 34-Jährige ist der erste Absolvent eines Kooperationsstudiums zwischen Fachhochschule Joanneum und TU Graz.

Selbstredend, Formel-1-Rennen schaut sich Philipp Eder im Fernsehen gern an. Er ist ja schon länger vom Fach, gewissermaßen: Hat der 34-Jährige doch während seiner Zeit als Automotive-Engineering-Student an der Grazer Fachhochschule (FH) Joanneum drei Rennfahrzeuge für den Konstruktionswettbewerb Formula Student mitgebaut. Mit schnellen Autos befasst er sich auch jetzt als mittlerweile promovierter Wissenschaftler – aus Forschungssicht. Dass ihn bei der Formel 1 eher ein Reifenschaden aufhorchen lässt als die Frage nach dem Sieger, hat einen guten Grund: Eder nimmt in seiner Arbeit die Verformungen der Reifen während des Rennens unter die Lupe. „Sie wirken sich auf die Aerodynamik aus, und wenn man darüber Bescheid weiß, kann man noch die eine oder andere Hundertstelsekunde herausholen.“

Als der Datenexperte vor nunmehr fünf Jahren beschloss, an sein Masterstudium noch ein Doktorat anzuschließen, hatte er die Pole-Position inne: Er war der Erste, der eine damals neu geschaffene Kooperation zwischen der Fachhochschule und der Technischen Universität Graz nutzte. Sie ermöglicht es FH-Absolventen, an der TU zu promovieren und Teile der Forschungstätigkeit an der FH zu absolvieren. Als Erster sah Eder nun auch die Zielflagge – und schloss das Doktoratsstudium ab.

Modell ersetzt teure Messungen

„Reifen“, so erklärt er, „sind eine Schlüsselkomponente im Rennsport. Deshalb ist es wichtig, ihr Verhalten präzise abbilden zu können. Messdaten des rollenden Reifens sind dafür eine wichtige Grundlage, doch sind solche Messungen sehr teuer.“ Die Forschung von Eder basiert daher auf einer Modellierung: „Für jeden variablen Faktor, beispielsweise für die Fahrgeschwindigkeit oder für den Reifendruck, muss man hier nur einen Zahlenwert ändern und erhält ein Ergebnis, ohne dass man jedes Mal tatsächlich messen muss.“ Dazu werde zunächst die Geometrie des Reifens vermessen. „Den nächsten Schritt stellt man sich am besten so vor, dass jeder Reifen in zahlreiche kleine Würfel zerlegt wird“, veranschaulicht Philipp Eder. „Für jeden dieser Würfel werden unter anderem Krafteinwirkungen und Spannungen ermittelt, und daraus wird das Verhalten des gesamten Reifens abgeleitet.“ Daraus könne man auch Rückschlüsse auf dessen Zusammensetzung ziehen. Im Wesentlichen besteht jeder Rennreifen aus Gummi, Textilverstärkungen und Stahlelementen.

„Bei einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde kann die Berücksichtigung der Reifenverformungen den Luftwiderstand und den Auftrieb um zwei bis drei Prozent beeinflussen“, fasst der Wissenschaftler eines der Ergebnisse seiner Dissertation zusammen, für die er sich als Auftraggeber mit AVL Racetech die Motorsportabteilung des Grazer Antriebssystementwicklers AVL List an Bord geholt hat. Solche Werte gelten freilich nur für Rennautos und nicht für den Vierräder, der bei unsereins in der Garage steht. „Normale Pkw-Reifen sind steifer und verformen sich daher weniger stark“, erklärt Eder. „Außerdem sind sie für eine Lebensdauer von mehreren Zehntausend Kilometern angelegt, nicht für wenige Runden auf einem Rennkurs. Dazu kommen die anderen Fahrgeschwindigkeiten.“ Dennoch könne das virtuelle Reifenmodell auch zur Auslegung der Fahrwerkskomponenten von herkömmlichen Autos eingesetzt werden – und damit über den Rennsport hinaus Anwendung finden.

Eder, der gemeinsam mit dem FH-Professor Michael Trzesniowski auch ein Buch über die Datenanalyse bei Rennfahrzeugen geschrieben hat, hat bei einem deutschen Automobilhersteller Erfahrung mit der Entwicklung von Assistenzsystemen gesammelt. Im Rückspiegel betrachtet, kommt ihm das nun zugute, wenn er nach einem Boxenstopp als Lektor an der FH Joanneum in der Privatwirtschaft neu durchstartet: Am Kärntner Standort eines Technologiemarktführers wird er ab Herbst als Programmierer von Testroutinen für die Chips von Fahrzeugsensoren Gas geben. Formel-1-Rennen im Fernsehen bleiben – natürlich – weiterhin Pflicht.

Zur Person

Philipp Eder (34) hat an der Fachhochschule Joanneum in Graz Automotive Engineering studiert und anschließend als erster Absolvent eines Kooperationsstudiums zwischen der FH und der TU Graz promoviert. Er hat sich dabei mit Rennautos befasst und einen „virtuellen Reifen“ modelliert. Damit soll aufgezeigt werden, wie sich ein Reifen während des Rennens verformt.

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