Morgenglosse

Der Absolutismus des Wiener Bürgermeisters - und wen stört's?

Völlig normal sind die Vorgänge rund um Wien Energie. Versichern sie alle. Vom Bürgermeister abwärts. Alles gut. Wird schon stimmen.

Es soll ja tatsächlich Leute geben, die mit Wien wenig anfangen können. Ist doch recht charmant, diese Untertreibung, nicht? Die Wienerinnen und Wiener seien unfreundlich, renitent, resistent Neuem gegenüber und xenophob, heißt es.

Und die politischen Verhältnisse! Wien sei durch die von keiner Wahl seit Menschengedenken angekränkelte rote Dominanz verkrustet, in vielen Bereichen nicht nur nicht fortschrittlich (obwohl die Politik auf superfortschrittlich macht), sondern demokratiepolitisch in den 50er Jahren hängen geblieben. Und wenn schon. In Wien kommt man damit ganz gut zurecht.

Omnipräsent, omnipotent

Ja mit der Zeit ist das überhaupt so eine spezielle Sache in Wien. Da ist der omnipotente omnipräsente Bürgermeister nicht nur Herr über seine Stadtregierung (so richtig, nicht nur pseudomäßig, wie es ein Bundeskanzler ist) und die gesamte Verwaltung, bis in das kleinste Büro irgendwo auf der anderen Donauseite. Der Bürgermeister ist auch Herr über den Wiener Gemeinderat, nur er darf ihn einberufen. Das reicht aber einem echten Wiener Bürgermeister noch lang nicht. Er ist nämlich auch - Herr über die Zeit.

Der Wiener Bürgermeister bestimmt, wann er die Zeit gekommen sieht, die Öffentlichkeit über Vorgänge in seiner Stadt zu informieren. Beispielsweise, wann die Wienerinnen und Wiener damit behelligt werden sollen, dass er ohne demokratische Kontrolle und zunächst ohne unmittelbare direkte demokratische Legitmation - aber natürlich mit rechtlicher Legitimation, das schon - quasi per Notverordnung „bei dringlichen Fällen“ eine Maßnahme setzt. Wie das Unterschreiben eines Kredits in Höhe von 700 Millionen Euro für die Wien Energie, um nur ein Beispiel zu nennen. (Das ist mehr als die Stadt Wien während all der Phasen der Pandemie in insgesamt fünf Corona-Hilfspaketen ihren Bürgerinnen und Unternehmern zur Verfügung gestellt hat.) Diese Ermächtigung räumt jedenfalls die Wiener Stadtverfassung dem Wiener Bürgermeister ein.

Was heißt schon unverzüglich?

Aber sie verpflichtet den Wiener Bürgermeister gleichzeitig zu etwas Entscheidendem: „Er hat die Angelegenheit unverzüglich dem zuständigen Gemeindeorgan zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen.“ Unverzüglich also, nun gut. Am 15. Juli hat der Wiener Bürgermeister zum ersten Mal von dieser Sondermaßnahme Gebrauch gemacht. Wann hat er dann dem Finanzausschuss die Causa vorgelegt? Unverzüglich muss es ja sein. Wann seinen Koalitionspartner, die Pinken informiert? Die Öffentlichkeit? Die, die notfalls mit ihrem Steuergeld dafür herzuhalten haben?

Der Wiener Bürgermeister, der Herr über die Zeit entscheidet. Unverzüglich geht für den Wiener Bürgermeister so: im September, wenn dann endlich die gemeinderätliche Sommerpause langsam endet, soll der Finanzausschuss befasst werden - also ungefähr zwei Monate später. Zwei Monate?!? Und das ist unverzüglich?

Nur net hudeln

Meine Güte! Nur net hudeln, sagen da wir Wiener. Ob Mitarbeiter des Wiener Rathauses auch Maß an diesem Zeitverständnis ihres obersten Chefs nehmen? Dabei ist da jetzt gar nicht an unverzügliche Aktenerledigung gedacht. Spintisiererei! Sondern an eine Krankmeldung, die ja laut Gesetz auch „unverzüglich" zu erfolgen hat? Gilt da vielleicht auch das Zwei-Monats-Prinzip? Wir wissen es nicht.   

Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr findet das alles wenig lustig. Er und seine Neos predigen Transparenz und bekommen in der Koalition mit der SPÖ in Wien das Gegenteil. Vorab wurden sie von der Aktion des Bürgermeisters nicht einmal informiert.

Will der Neos-Jungpolitiker ernstgenommen werden, muss er, so schwach er im Vergleich zur sechs Mal so großen SPÖ auch ist, hier für Korrekturen kämpfen. Die seinem Regierungspartner auch weh tun werden. Am besten unverzüglich.

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