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Zeitreise

Heute vor 100 Jahren: Die "Dreizehn" in der Geschichte Amerikas

Der Aberglaube, der in der "Dreizehn" eine Unglückszahl sieht, ist über die ganze Welt verbreitet. Doch es gibt auch Gegenbeweise.

Neue Freie Presse am 30. März 1923

Aus Newyork wird uns geschrieben: Der Aberglaube, der in der "Dreizehn" eine Unglückszahl sieht, ist über die ganze Welt verbreitet. Mag man ein Ereignis an und für sich als ein hoffnungsvolles begrüßen, so wie es mit der "Dreizehn" verknüpft erscheint, ist man schon geneigt, Unheil darin zu wittern. So kam es, daß man in Häusern nicht wohnen will, welche die Zahl 13 führen. Das Täfelchen zeigt dafür 12A und ebenso geschah es mit den Sitzen und Logen in Theatern und Konzertsälen.

Dabei war der Grundsatz maßgebend, daß die Leute doch ins Theater gehen, um sich zu amüsieren, der Gedanke aber, daß sie auf Nummer 13 sitzen, ihnen jedes Vergnügen raubt, daher der ganze Zweck des Theater- oder Konzertbesuches in sein Gegenteil verkehrt würde. Ueber diesen Aberglauben, Herkunft und Wesen der sogenannten Unglückszahlen sind schon Bände geschrieben worden. Eindringlich spricht die Geschichte der Vereinigten Staaten, die zeigt, daß die "Dreizehn" nicht unter allen Umständen eine Unglückszahl bedeutet. Hier einige Beispiele:

Die Entdeckung Amerikas erfolgte am Abend eines 13. - 13 Kolonien waren es, die sich zuerst zur Republik zusammenschlossen. - 13 Sterne und ebenso viele Streifen führte die erste offizielle Flagge. - Aus 13 Buchstaben besteht der "American Eagle" (amerikanischer Wappenadler) und ebenso sein Motto: "E Pluribus Unum." - Als man das erste Wort durch das transatlantische Kabel vermittelte, schrieb man einen 13. - 13 ist die vorherrschende Zahl des Nationalwappens; 13 Sterne reihen sich um das Haupt der "Freiheit"; der Adler trägt in der einen Klaue einen Olivenzweig mit 13 Blättern und 13 silberne glodgespitzte Donnerkeile in der anderen; an seiner Brust hat er ein Schild mit 13 Balken und in seinem Schnabel ein Spruchband mit dem 13buchstabigen Motto; jeder Flügel schließlich hat 13. Federn. - Die erste Flotte, welche die amerikanische Flagge führte, bestand aus 13 Schiffen, und es war das dreizehnte Amendement zur Verfassung, das den Sklaven die Befreiung brachte.

Endlich ist jüngst in der Newyorker Handelskammer eine Resolution zur Kalenderreform gefaßt und verlangt worden, daß das Jahr in 13 Monate von je 28 Tagen geteilt werde. Der neue Monat soll zwischen Juni und Juli eingeschaltet werden. Einen überzähligen Tag des Jahres will man den 0. Januar nennen

 

Ein Meistereinbrecher in Budapest

Die Polizei hat den berüchtigten Einbrecher Emmerich Gombos verhaftet.

Neue Freie Presse am 29. März 1923

Aus Budapest wird uns gemeldet: Die Polizei hat den berüchtigten Einbrecher Emmerich Gombos, der bereits zweimal rechtskräftig verurteilt wurde, aber stets wieder entsprungen ist und sofort wieder neue Einbrüche verübt hat, neuerdings verhaftet.

Nach seiner ersten Flucht verübte er einen Einbruch in das Kriminalmuseum der Budapester Staatsanwaltschaft, und mit den dort erbeuteten erstklassigen Einbruchswerkzeugen veranstaltete er mit zwei Genossen wahre Raubzüge in der Hauptstadt und in der Provinz. So brach er unter anderm bei Baron Schoßberger, bei Baron Hatvany und bei der Familie Dreher ein. Seine Beute bestand hier allein in 16 Equipagen, 40 Pferden, Perserteppichen und Gobelins. Der gesamte von ihm angerichtete Schaden wird auf 130 Millionen ungarische Kronen geschätzt.

In der letzten Zeit wollte er einen früheren Komplicen, der in Sezegedin eine Kerkerstrafe abbüßt, befreien. Zu diesem Behufe richtete er an die Gefängnisdirektion ein Telegramm mit der Unterschrift der Budapester Staatsanwaltschaft, worin die Gefängnisdirektion angewiesen wird, den Sträfling nach Budapest zu eskortieren. Dem Ersuchen wurde stattgegeben. Während des Transportes machte sich Gombos an die Eskorte heran und suchte sie durch Verabreichung von Branntwein unzurechnungsfähig zu machen.

Der Plan scheiterte jedoch an der Trinkfestigkeit der Eskorte. Anläßlich einer Razzia außerhalb der Stadt wurde Gombos als verdächtig aufgegriffen. Den ihn festnehmenden Polizeibeamten sagte er: "Ihr glaubt, einen Spatzen gefangen zu haben. Es ist aber eine Ratte. Ich bin der lang gesuchte Emmerich Gombos." Beim Verhör, das zwei Tage dauerte, legte er ein umfassendes Geständnis ab.

 

Japans Austritt aus dem Völkerbund

Japan ist zur Überzeugung gelangt, dass “unversöhnbare Gegensätze über Friedenspolitik und insbesondere über die Grundsätze für die Schaffung eines dauernden Friedens im Fernen Osten bestehen”.

Neue Freie Presse am 28. März 1933

Premierminister Saito wurde vom Kaiser gestern nachmittag ermächtigt, dem Völkerbund den Austritt Japans zu notifzieren. Die diesbezügliche Note, die eine Stunde darauf nach Genf gekabelt wurde, gibt die Ursache für diesen Schritt an: Bei der Suche nach einer Lösung der mandschurischen Frage hat die Mehrheit des Völkerbundes der Aufrechterhaltung unbrauchbarer Formeln mehr Gewicht beigemessen als der wirklichen Aufgabe, den Frieden zu sichern.

Sie hat der Durchführung akademischer Thesen größeren Wert zuerkannt als der Ausmerzung von späteren Konfliktmöglichkeiten. Aus diesen Gründen und wegen der tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Japan und der Völkerbundmehrheit über die Auslegung des Angriffsstaatsstatuts und anderer Verträge ist die japanische Regierung zur Ueberzeugung gekommen, daß unversöhnbare Gegensätze über Friedenspolitik und insbesondere über die Grundsätze für die Schaffung eines dauernden Friedens im Fernen Osten bestehen.

Die japanische Regierung glaubt deswegen, daß keine Möglichkeit mehr für die weitere Zusammenarbeit gegeben ist und kündigt somit in Uebereinstimmung mit Artikel 1, Paragraph 3 des Völkerbundstatuts seine Absicht an, aus dem Völkerbund auszuscheiden.

Anmerkung: 1931 kam es zum sogenannten Mukden-Zwischenfall, einem Sprengstoffanschlag auf die Südmandschurische Eisenbahn. Heute geht man davon aus, dass dieser von Japan inszeniert wurde. In Folge besetzte Japan die zu China gehörende Mandschurei und errichtete einen Marionettenstaat, um die rohstoffreiche Region auszubeuten. Der Völkerbund untersuchte den Vorfall und setzte eine Kommission unter Leitung des britischen Diplomaten Lord Lytton ein. Als der Bericht der Kommission im Februar 1933 dem Völkerbund vorgestellt wurde, kam es zu einem Antrag, Japan trotz des eher vagen Berichts die Schuld am Zwischenfall zuzuweisen. Daraufhin verließ der japanische Gesandte beim Völkerbund den Saal, kurz darauf wurde der Austritt aus dem Völkerbund verkündet.

 

Die türkische Zwangsheirat

Noch wird den Männern Gnadenfrist ge­währt, sie können auch in der Türkei noch ungestraft dem Jung­gesellentum frönen.

Neue Freie Presse am 27. März 1923

Aus Konstantinopel schreibt unser Korrespondent: Sie ist noch nicht zur Tatsache geworden, wie man schon vielfach angenommen, sie ist vorläufig nur Projekt, parlamentarischer Antrag des Ab­geordneten von Erzerum Salih Efendi und Genossen. Die Zahl dieser Genossen belief sich nur auf zwei, als dieser Antrag zum ersten mal vor drei Jahren eingebracht wurde, sie stieg auf 14 im folgenden Jahre, und heute stehen hinter dem Antrag zur obligatorischen Ehe 104 Abgeordnete der großen Nationalversammlung.

Salih Efendi, der Schöpfer des Projekts, verbringt die letzten Ferien des Parlaments von Angora im langeentbehrten Atambul und hatte Gelegenheit, der türkischen Zeitung „Vakil" gegenüber einiges Nähere über seinen berühmt gewordenen Antrag verlauten zu lassen. Er scheidet ihn in zwei Teile, in die eigentliche Zwangsheirat und die Polygamie des heute ganz abgekommenen altmohammedanischen Systems der vier Frauen. Die Gründe zu seinem Antrag nennt er rein „wirtschaftlicher" Art, und seine Ausführungen sind gewiß logisch und einleuchtend, wenn man vom reinen Prinzip der „Menschen­züchtung" ausgeht.

Das Verhältnis der Bevölkerung zur Quadrat­kilometer sinkt in Anatolien oft aus 15:1 herunter und die Zahl der Kriegerwitwen und Waisen ist im Hause der endlosen Kriege in erschreckender Weise gestiegen. Unzweifelhaft braucht die Türkei viel Menschen und viel Anne zur Arbeit und zum Ausbau, unzweifelhaft muß auch das Los der Witwen und der Waisen auf beste Art gesichert werden; Salih Efendi sieht die Lösung der ersten Frage in fleißiger Menschenzeugung zum Hochbetrieb gebracht durch Zwangsheirat, die Kriegerwitwen will er durch das Vier-Frauen-System versorgen und die Krieger­waisen sollen proportionell allen säumigen Gatten zugeschlagen werden, die sich zu nicht mehr als einer Ehe entschließen wollen.

Kranke und Mittellose allein sollen nicht der Wirkung des Gesetzes unterstehen. Heilbaren Kranken soll lediglich Aufschub zu­ gestanden werden.... Der Abgeordnete von Erzerum Salih Efendi hat noch nicht die genügende Stimmenanzahl hinter sich, doch hofft er, sie bestimmt bis zu den nächsten Wahlen zu er­ringen. Bis dahin ist jedenfalls den Männern Gnadenfrist ge­währt, sie können auch in der Türkei noch ungestraft dem Jung­gesellentum frönen.

 

Hitlers Debüt im Reichstag

Als er, an kein Manuskript mehr gebunden, aus dem Stegreif einen verbalen Angriff erwidert, lernt man den eigentlichen Hitler kennen.

Neue Freie Presse am 26. März 1933

Zur Abgabe der Regierungserklärung ist Hitler in der Tracht seiner Partei erschienen. Aber während sonst bei den Nationalsozialisten mancherlei Uniformluxus getrieben wird, hat er ein einfaches Braunhemd ohne Abzeichen und Verzierungen angelegt. Seinen Gang zur Tribüne begleitet die nationalsozialistische Fraktion mit drei dröhnenden Heil-Rufen, zugleich strecken 288 Arme sich in die Luft - das geht mit der Exaktheit einer militärischen Uebung. Warum hat, da nun einmal das deutsche Volk die Uniform liebt, nicht auch das bisherige Regime Sturmabteilungen geschaffen?

Hitler verliest seine Erklärung aus dem Manuskript. Man merkt, daß er sich dadurch beengt fühlt, er ist Versammlungsredner, gewohnt, frei zu sprechen. Mit einer für den Volksredner höchst wichtigen Gabe hat die Natur ihn ausgestattet: mit einem wohltönenden Organ, dessen Leistungsfähigkeit erstaunlich ist; die Regierungserklärung, die alle wichtigen Gebiete des staatlichen Lebens berührt, ist außergewöhnlich lang; aber während der ganzen mehr als einstündigen Verlesung ermattet die Stimme nie, nur am Schluß zeigt sie einen leichten Anflug von Heiserkeit. (...)

Die Regierungserklärung ist, man merkt es ihr an, sorgfältig im Kabinett erörtert worden. Immerhin tragen einige ihrer Wendungen unverkennbar das Gepräge Hitlers - das Gepräge des Versammlungsredners, der darauf eingestellt ist, Formulierungen zu suchen, die der Menge leicht eingehen. "Das Volk lebt nicht für die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft dient dem Volk." "Die Steuermühle soll nicht in den Strom gebaut werden, sondern an den Quellen." Oder über die Kunst, in der an die Stelle der bürgerlichen Beschaulichkeit der Heroismus treten soll. Wird es dem regierenden Nationalsozialismus gelingen, Dichter heroischen Stils zu finden? Wenn er sie findet, sollen sie willkommen sein.

Drei Stunden nach Verlesung der Regierungserklärung nimmt der Reichstag seine Sitzung wieder auf. Die Debatte beginnt - das heißt, nein, eine Debatte ist es nicht, es werden nur Erklärungen verlesen. Die Sozialdemokraten haben bisher die Vorwürfe in den Reden Görings und Hitlers schweigend angehört. Jetzt werden sie antworten. Reichstag und Tribünen warten mit Spannung, als der Parteiführer Wels die Tribüne besteigt. Auf die scharfen Angriffe erwidert der sozialdemokratische Redner mit äußerster Zurückhaltung; er spricht ruhig und sachlich. Nur der Ton erscheint gar zu gedämpft; Hitler nennt ihn später "wehleidig". Die Haltung des alten Parteiführers hat Würde, als er erklärt: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!"

Eben ist Severing, der jahrelang Innenminister in Preußen und im Reiche war, vor dem Betreten des Sitzungsaales verhaftet worden. Kaum hat Wels geendet, so eilt Hitler auf die Tribüne. Und nun, wo er, an kein Manuskript mehr gebunden, aus dem Stegreif erwidert, lernt man den eigentlichen Hitler kennen. Jetzt wirft er sich mit Ungestüm auf den Gegner. Seine Erwiderung scheint eine Eruption politischer Leidenschaft. Um die Wirkung dieses Redners auf die Massen zu verstehen, braucht man nur zu sehen, wie die Zuschauer auf den Tribünen, die weiblichen namentlich, in einen wahren Taumel geraten. Begreiflich, daß im Kampfe gegen Hitler die Linksparteien unterlegen sind, die nicht einen einzigen Volksredner ihm entgegenzustellen vermochten, der eine Versammlung mitzureißen verstand. Und wie ohnmächtig war gegenüber der ausgezeichnet organisierten, kraftvollen Agitation des Nationalsozialismus die schwächliche, völlig unzulängliche Propaganda des Staates von Weimar!

 

Dramatische Konfrontation zweier Mörder

So schnell kann es geschehen, dass aus einem Jungen aus guten Hause ein Verbrecher wird.

Neue Freie Presse am 25. März 1923

Aus Paris wird uns geschrieben: In der fran­zösischen Oeffentlichkeit erregt gegenwärtig ein Mordprozeß großes Aufsehen, der einen unheimlichen Einblick in die Jugendverwahr­losung gewährt, die sich ebenso wie in den besiegten Staaten auch im siegreichen Frankreich in beängstigender Weise bemerkbar macht. Der 17jährige Jean Millet, der sich jüngst wegen Mordes zu verantworten hatte, stammt aus achtbarer Familie und ist durch schlechte Gesellschaft aus die abschüssige Bahn ge­raten, auf der er schließlich zum Mörder wurde.

Allzu früh frei von väterlicher Aufsicht, machte Jean Miller die Bekanntschaft des um ein Jahr älteren Louis Peron, und die beiden jungen Menschen beschlossen, irgendein Verbrechen zu wagen, das ihnen die Mittel zu einer luxuriösen Lebensführung verschaffen sollte wie ihr frühreifer und verdorbener Geschmack sie ersehnte.

Unter dem Vorwande, eine Arbeit zu suchen, kundschafteten sie die benachbarten Bauerngehöfte aus, und schließlich fiel ihre Wahl auf eine einsame Gutswirtschaft, die von zwei alten Frauen bewohnt war. Mit unheimlicher Umsicht bereiteten die Burschen das Verbrechen vor, stahlen aus einem benachbarten Schupfen Aexte, mit denen sie die mörderischen Schläge führten, und nahmen an den Mordwerkzeugen auch verschiedene Veränderungen vor, um sie handlicher zu machen. Bei den Richtern erweckte die Kaltblütigkeit und der Zynismus der beiden jungen Mörder, die nicht die leiseste Spur von Neue zeigten, eine solche Empörung, daß beide zum Tode verurteilt wurden.

Da man sich aber über die Frage, ob Millet nicht vielleicht doch unter einem seine volle Straffälligkeit verringernden Zwange gehandelt habe, nicht völlig einig werden konnte, so beschloß das Kassationsgericht die Wieder­aufnahme des Prozesses gegen Millet, während das Urteil über Peron in Rechtskraft erwuchs. Das erste Verhör brachte eine Gegenüberstellung der beiden Mörder, die äußerst dramatisch ver­lies. Millet saß auf der Anklagebank, während Peron im Häft­lingskleid als Zeuge vorgeführt wurde. Peron sah wie ein Ge­spenst aus. Er befindet sich im letzten Stadium der Schwindsucht, die durch den Aufenthalt im Gefängnis so sehr verschlimmert worden ist, daß der Unglückliche der irdischen Justiz wahrscheinlich bald entzogen sein dürfte.

Blaß wie eine Leiche, erzählte er den Hergang des Verbrechens, an dem er in so furchtbarer Weise be­teiligt war. Mit verzerrtem Gesicht und hervorquellenden Augen brüllte er plötzlich seinen Mitschuldigen an: „Du hast mich zu dem Mord angestiftet!" Auf diese Beschuldigung antwortete Millet mit unsicherer Stimme: „Da  ist eine Lüge." Nun kam es zu einem wütenden Wortwechsel zwischen den beiden jungen Mördern und die Justizwache mußte der abstoßenden Szene ein Ende machen.

 

Gefälschte „Ägyptische“ Zigaretten

Womit sich der hauptberufliche Essigerzeuger wirklich seine Zeit vertreibt.

Neue Freie Presse am 24. März 1923

Das Polizeikommissariat Ottakring revidierte beim Essigerzeuger Franz Schuh, Lienfeldergasse 57, von dem es hieß, daß er selbst erzeugte Zigaretten verschleiße und faisierte dort eine Tabakschneidemaschine. Der Beschuldigte gab zu, in den Jahren 1918 bis 1920 Zigaretten verfertigt und in den Handel gebracht zu haben. Gleichzeitig wurde ermittelt, daß die im 13. Bezirk wohnhafte Tierhändlersgattin Leopoldine Barbork wegen Diebstahls schon bestraft, Handel mit falschen „Aegyptischen" treibe.

Als Kriminalbeamte sie beraten, hatte sie eine Tasche mit acht Schachteln dieser Zigaretten bei sich und in ihrer- Wohnung wurden noch mehrere Pakete davon gefunden, überdies Originalhülsen und -schachteln sowie Etiketten der Monopols-„Aegyptischen“ III. Sorte.

Der Erzeuger, der sie Hülsen mit Herzegowinatabak füllte, ist der Gatte der Beschul­digten Friedrich Barborka, gleichfalls schon vorbestraft und derzeit beim Bezirksgericht Meidling in Haft. Lieferant der Fälschungsbehelfe war der schon zehnmal bestrafte Handels­ angestellte Rudolf Walzer, der den Handel mit gelatschten Zigaretten seit Jahren betreibt und erst vor wenigen Monaten mit dem Kutscher Anton Wiedemann gemeinsam der Staatsanwaltschaft angelegt wurde. Walzer wurde dem Landesgericht eingeliefert; gegen die übrigen Beteiligten wurde die Strafamtshandlung eingeleitet.

 

Jokele, geh du voran!

Es braucht ein wenig mehr Elan bei dem Streben, aus diesem unerquicklichen Zustand herauszukommen.

Neue Freie Presse am 23. März 1923

Jokele, geh du voran! Das ist die Devise unseres ganzen öffentlichen Lebens, der „Viribus unitis". Ersatz unserer Tage. Einer ruft es dem anderen zu und läßt es sich nicht nehmen, daß die größten Stiefel aus der Gegenseite sich befänden. Die Generalstabsberichte über den augenblicklichen Stand der passiven Resistenz gehören wieder zürn eisernen Bestand der Rechenschaftsberichte über unser aller Tun und Lassen. Es existiert eine geradezu verblüffende Mannigfaltigkeit der Kriegsschauplätze, und der Friedsensschluß ist da und dort in weite Ferne gerückt. Es wäre kein großes Wunder, wenn einer angesichts der „Tücke des Objekts“, die ihn auf Schritt und Tritt anfällt, einer Anwandlung von Lebensüberdruß unterläge.

Aber der Mann, dem ein wichtiger Brief verspätet zugestellt wird oder der sich die Hand an der Telephonkurbel verrenkt hat, sei angelegentlich davor gewarnt, sich deswegen etwa aufzuhängen. Entweder der Strick reißt, und dann käme er aus dem Regen in die Traufe, dann würde er im Spital die passive Resistenz auszukosten haben. Oder aber, sein Vorhaben gelingt, dann ist nur zu hoffen, daß er im Leben keinem Hakenkreuzler ein Dorn im Auge gewesen ist, daß er den Volkszählungsbogen ausfüllen durfte ohne Angst vor Ursin und Jerzabek.
 
Sonst kann ihm passieren, daß seine sterbliche Hülle zu längerem Aufenthalt in der Leichenhalle ver­urteilt wird. Denn auch die Angestellten der Kultusgemeinde stehen im Lohnkampf, und im allerbesten Fall wird der Selbst­mörder auf Rabbiner und Kantor verzichten müssen. Friedens­unterhändler vor die Front!
 
Verzicht auf die Prestigefrage, wenn wir bitten dürfen! Ein wenig mehr Elan bei dem Streben, aus diesem unerquicklichen Zustand herauszukommen! Das Publikum, das in dem Streit zwischen Bundesregierung und Postlern den weinenden Dritten abgibt und das Regiekartenbad ausgießen muß, ist davon bereits felsenfest überzeugt, in welch hohem Grad die Befolgung der Dienstvorschriften den Dienst unmöglich macht.
 
Ad oculos wurde uns demonstriert, daß wir nur deshalb Briefe zugestellt und Postsendungen ausgefolgt erhalten, Telegramme aufgeben und sogar einen Telephonanschluß durchsetzen können, weil man gemeinhin frisch, fröhlich, fromm und frei über die Dienstvorschriften hinwegvoltigiert. Der Idee nach sollte es
allerdings umgekehrt sein. Die Dienstvorschriften sind, genau ge­nommen, mir dann einen Schuß Pulver wert, wenn sie zu einer Art Taylorsystem, zur möglichst zweckmäßigen Verwendung der Arbeitskraft der Angestellten führen. Aber die Erfahrungen der passiven Resistenz erhärten, wie wirklichkeitsfremd solche Ein­bildung unpraktischer Träumer wäre.

 

Die Regierungserklärung Hitlers

Ein Auszug aus der Rede des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler, in der er auch den Reichspräsidenten Hindenburg huldigt.

Neue Freie Presse am 22. März 1933

Reichskanzler Adolf Hitler begann die von ihm zur Verlesung gebrachte Regierungserklärung mit dem Hinweis auf die im deutschen Volke herrschende Not und Armut, auf die vergebliche Suche von Millionen Deutschen nach dem täglichen Brot, die Verödung der Wirtschaft, die Zerrüttung der Finanzen und die Arbeitslosigkeit. Die Ursache dafür, daß seit zwei Jahrtausenden immer wieder dem Emporstieg der Verfall gefolgt sei, liege darin, daß der Deutsche, in sich selbst zerfallen, uneinig im Geist, zersplittert in seinem Wollen und damit ohnmächtig in der Tat, kraftlos in der Behauptung des eigenen Lebens sei. Erst wenn die Not und das Elend es unmenschlich schlug, wuchs im Volke der Sänger, Dichter und Denker die Sehnsucht nach einer neuen Erhebung, nach einem neuen Reich und damit auch nach neuem Leben.

Der Reichskanzler fuhr sodann fort: In die Zeit der von Bismarck vollzogenen staats- und damit machtpolitischen Einigung der deutschen Stämme fiel der Beginn jener weltanschaulichen Auflösung der deutschen Volksgemeinschaft, unter der wir heute noch immer leiden. Und dieser innere Zerfall der Nation wurde wieder einmal wie so oft zum Verbündeten der Umwelt. Die Revolution des November 1918 beendete einen Kampf, in den die deutsche Nation in der heiligsten Ueberzeugung, nur ihre Freiheit und damit ihr Lebensrecht zu schützen, gezogen war. Denn weder der Kaiser noch die Regierung noch das Volk haben diesen Krieg gewollt. Nur der Verfall der Nation, der allgemeine Zusammenbruch zwangen ein schwaches Geschlecht, wider das eigene bessere Wissen und gegen die heiligste innere Ueberzeugung die Behauptung unserer Kriegsschuld hinzunehmen.

Diesem Zusammenbruch aber folgte der Verfall auf allen Gebieten. Machtpolitisch, moralisch, kulturell und wirtschaftlich sank unser Volk tiefer und tiefer. Das Schlimmste war die Zerstörung des Glaubens an die eigene Kraft, die Entwürdigung unserer Traditionen und damit die Vernichtung der Grundlagen eines festen Vertrauens" Krisen ohne Ende haben unser Volk zerrüttet. Aber auch die übrige Welt ist durch das politische und wirtschaftliche Herausbrechen eines wesentlichen Gliedes ihrer Staatengemeinschaft nicht glücklicher und nicht reicher geworden. Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnsinn der Reparationen und in der Folge die Katastrophe unserer Wirtschaft.

Während so das deutsche Volk und das Deutsche Reich im inneren politischen Zwiespalt und Hader versanken, die Wirtschaft dem Elend entgegentrieb, begann die neue Wendung der deutschen Menschen, die im gläubigen Vertrauen auf das eigene Volk dieses zu einer neuen Gemeinschaft formen wollen. Diesem jungen Deutschland haben Sie, Herr Generalfeldmarschall, am 30. Januar 1933 in großherzigem Entschluß die Führung des Reiches anvertraut. In der Ueberzeugung, daß aber auch das Volk selbst seine Zustimmung zur neuen Ordnung des deutschen Lebens erteilen muß, richteten wir Männer dieser nationalen Regierung einen letzten Appell an die deutsche Nation. Am 5. März hat sich das Volk entschieden und in seiner Mehrheit zu uns bekannt.

 

Einstein in Japan

Der große Wissenschafter wurde herzlich empfangen - und sorgte nicht nur wegen seines zu kleinen Zylinders für Aufsehen.

Neue Freie Presse am 21. März 1923

Berichte aus Tokio er­zählen, daß die begeisterte Aufnahme, die Einstein dort fand, ihm den Aufenthalt in Japan zu einer Strapaze machte. Man empfing ihn mit zahlreichen Blumen- und Kranzspenden, mit Blitzlichtaufnahmen, und wohin er kam, forderte man von ihm stundenlange Vorträge über die Relativitätstheorie. Einstein war in aller Munde. Bilder von ihm und seiner waren in den Zeitungen und Ansichtskartenläden zu sehen.

Seine Schriften und seine Publikationen zum Thema wurden in den großen Buchhandlungen in besonderen Ausgaben massen­haft verkauft. Daß auch der Einstein-Film gezeigt wurde, ist selbstverständlich. Das Kuriosum aber ist, daß zwei junge Dozenten der Universität zur Publizierung der Theorie ein Relativitätsdrama verfaßten. Man erzählte sich sogar, daß die Herren Minister sich in einer Kabinettssitzung mit der Frage befaßten, ob sie wohl die Einstein‘sche Theorie verstehen könnten, und selbst der Prinz-Regent habe sich einen anderthalbstündigen Vortrag eines Spezialisten gefallen lassen müssen.

Mit großem Behagen wird auch eine Reihe von Einstein-Episoden erzählt und ausgeschmückt, so die des nicht mitgebrachten Gehrocke und Zylinders, weshalb der Gelehrte mit einem geliehenen Anzug, mit einem für seinen Kopf viel zu kleinen Zylinder in der Hand das kaiserliche Chrysanthemenfest besuchen mußte.

 

Das Pariser Lotto

Eine Art Fieber verbreitet sich über die ganze Stadt, alle Straßen und Plätze scheinen von einem Taumel beherrscht zu sein, das Volk drängt sich in den Lottokollekturen.

Neue Freie Presse am 20. März 1923

Aus Paris wird uns geschrieben: In Frankreich diskutiert man jetzt sehr eifrig die Gründe, die für und wieder eine "Nationallotterie" sprechen. Die große Zeit des kleinen Lottos, erzählt Jules Vertaut im "Temps", war im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts. Der erste und der sechzehnte Tag jedes Monats waren in Paris richtige Feiertage. Vom frühen Morgen an gab es für den Politiker und den Finanzmann, das Putzmädchen und den Kutscher, die Salondame und den Schankwirt, nur eine Losung: "Heute ist Ziehungstag. Werde ich Glück haben, werde ich gewinnen? Wird mein Terno gezogen werden?"

Eine Art Fieber verbreitet sich über die ganze Stadt, alle Straßen und Plätze scheinen von einem Taumel beherrscht zu sein, das Volk drängt sich in den Lottokollekturen, ein Rausch des Glücksspieles erfüllt die Atmosphähre mit seltsam erregender Vibration. Die Stimmung wird um so erregter, je mehr der Augenblick der Ziehung herannaht. Wahrscheinlichkeitsrechnungen werden angestellt, allerhand abergläubische Handlungen von seltsamer Symbolik werden keineswegs nur von alten Betschwestern, sondern auch oft von sehr gesetzten Herren, denen man eine derartige Naivität kaum zutrauen würde, verstohlen vorgenommen.

In einer engen Straße befindet sich ein von hohen Mauern umgebener geräumiger Hof, wo sich die Feierlichkeit der Ziehung abspielt. Alle Gespräche drehen sich nur um die Gewinnchancen. Ein dicker Wirt aus der Rue aux Ours hat vor Erregung einen ganz roten Kopf bekommen und er flüstert halblaut ein Stoßgebet. Eine hübsche junge Arbeiterin verzehrt unermüdlich kleine Schokoladebonbons und erwägt dabei mit ihren Nachbarinnen die Aussichten der von ihr gesetzten Nummern. Zwei Diener in Livreen öffnen eine Tür zu dem Raume, wo sich das Glücksrad befindet. Ein weißgekleidetes Kind mit einem roten Gürtel und verbundenen Augen wird auf einen Tisch gehoben, der neben einem riesigen Glücksrad steht. Das Kind zieht jetzt nach und nach die neunzig Nummern, die mit lauter Stimme ausgerufen, dem Publikum gezeigt und dann in kleinen Etuis aus Karton, die alle gleichförmig und gleich schwer sind, verschlossen und von einem anderen Kind in ein anderes Rad wieder gelegt werden, das dem ersten ähnlich ist.

Die Gewinnstnummern werden mit einer lauten und beinahe andächtigen Feierlichkeit in den Saal geschmettert. Jede Mitteilung löst ein Murmel aus, bei dem, wie in einem Opernchor, deutlich die beiden Parteien zu unterscheiden sind, die im Wechselgesang über die Erfüllung ihrer Hoffnungen jubeln oder über die Enttäuschung trauern. Mag man nun das Zahlenlotto für eine unsittliche Ausbeutung des Spieltriebes der unbemittelten Volksmassen oder für ein verhältnismäßig harmloses Ventil der Spielleidenschaft halten, jedenfalls gewährt es einen lehrreichen Einblick in die seelische Verfassung der großen Massen, deren Sensationsbedürfnis durch das Lotto eine allerdings sehr anfechtbare Befriedigung erfährt.

 

Goebbels spricht über die Rolle der Frau

Der deutsche Reichsminister spricht: Den ihr gemäßesten Platz hat die Frau in der Familie, und die wunderbarste Aufgabe, die sie erfüllen kann, ist die, ihrem Lande und Volke Kinder zu schenken.

Neue Freie Presse am 19. März 1933

In den Ausstellungshallen auf dem Kaiserdamm wurde gestern die Austellung "Die Frau" mit einer Rede des Reichsministers Dr. Göbbels eröffnet, in der er unter anderm ausführte: Niemand wird die Frau aus dem öffentlichen Leben, aus Arbeit, aus Beruf und Broterwerb hinausdrängen wollen, aber Dinge, die dem Mann gehören, müssen auch dem Mann bleiben, und dazu gehört die Politik und die Wehrhaftigkeit. Den ihr gemäßesten Platz hat die Frau in der Familie, und die wunderbarste Aufgabe, die sie erfüllen kann, ist die, ihrem Lande und Volke Kinder zu schenken.

Die Regierung ist fest entschlossen, dem Verfall der Familie und der blutmäßigen Verarmung unseres Volkes Einhalt zu gebieten. Die liberale Einstellung zu Familie und Kind ist mitschuldig daran, daß man heute bereits von einer drohenden Gefahr der Vergreisung unseres Volkes sprechen muß. Die Regierung hat die Pflicht, das Leben der Frau so revolutionär umzugestalten, daß es für das Volk wieder den höchsten nationalen Nutzen bringt. Hat die Nation wieder Mütter, die sich frei und mit Stolz zum Muttertum bekennen, dann kann sie nicht verderben.

 

Heute vor 90 Jahren: Der Rücktritt des Polizeipräsidenten

Die Polizei muss weiter überparteilich bleiben.

Neue Freie Presse am 18. März 1933

Dr. Brandl erleidet ein ähnliches Schicksal wie sein Vorgänger. Es war in den schönen Tagen, da es noch keine Notverordnungen gab, da die Kronjuristen das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz noch nicht in seiner ganzen Bedeutung erkannt hatten, da ein Angriff auf die Preßfreiheit nicht im entferntesten für möglich gehalten wurde. Es war die Epoche der rosigen Illusionen; aber trotzdem, wie jetzt die Präsidentenkrise, so wurde damals der Fall Strafella als Pivot benützt, wie die Militärs es ausdrücken. Die Ernennung von Strafella zum Generaldirektor der Bundesbahnen, das war plötzlich ein Heiligtum geworden, und so ging die Koalition mit den Großdeutschen in die Brüche. Dr. Schober wurde in die Opposition gedrängt, der auch der Landbund angehörte, und so brach eine Wahlschlacht aus, die durch die Fürsorge des Bundespräsidenten mit einer Rückkehr zur Verfassung geendet hat, mit der Berufung des Landeshauptmannes von Vorarlberg.

Es war im Oktober vor drei Jahren, da wurde der Vizepräsident des Polizei Dr. Pamer plötzlich zur Demission gezwungen, ohne daß man sich im geringsten mit Dr. Schober verständigt hätte, der noch immer Polizeipräsident war, wenn auch auf Urlaub. Dr. Pamer mußte dem Gebote Starhembergs gehorchen, und die Zeit schien reif für einen Umsturz, auch bei der Polizei; man konnte vermuten, es werde der Rechtskurs in seiner bedenklichen Gestaltung auch in dieser Elitetruppe, diesem besten Apparat des öffentlichen Vertrauens, sich kundgeben. Nun, diese Gefahr ging glücklich vorüber. Dafür sorgte wohl schon die Persönlichkeit des neuen Mannes, der, gebildet, in der Schule Dr. Schobers aufgewachsen, durch seine außerordentliche Klugheit vor derartigen Bocksprüungen gefeit war.

Dr. Brandl ist ein Fachmann hohen und höchsten Ranges. Einer, der von der Pike auf gedient hat und dessen Laufbahn ehrenvoll zu nennen ist durch seine organisatorischen und praktischen Arbeiten und durch den wissenschaftlichen Geist, den er ganz im Sinne Dr. Schobers in der Polizeidirektion zur Geltung brachte. Brandl hat als Delegierter auf den internationalen Kongressen von Wien, Berlin, Antwerpen, Amsterdam und Bern über allgemeine Polizeifragen Referate gehalten, er ist sogar Schöpfer einer internationalen Institution geworden, nämlich des Polizeitelegraphencode, Polcot genannt, als Verständigungsmittel der Sicherheitsbehörden von einem Land zum anderen. Zu dieser Wirksamkeit befähigte Dr. Brandl seine außerordentliche Sprachkenntnis - er beherrscht die französische, englische, italienische und spanische Sprache - ferner auch seine Qualität als Jurist, seine hervorragende Belesenheit, sein Interesse auch für sozialpolitische Gegenstände. Brandl war wiederholt bei Monarchenreisen und Monarchenbesuchen Organisator des Sicherheitsdienstes, er hat oft genug Kaiser Karl auf seinen Auslandsfahrten begleitet, und so hat es niemanden in Erstaunen gesetzt, als er nach Dr. Schober Chef der Staatspolizei, nach dem Abgang Pamers Vizepräsident, nach dem Tode Doktor Schobers Polizeipräsident geworden ist.

Nun ergibt sich für die Oeffentlichkeit die Frage, wie dieses Ereignis zu werten sei. Es ist niemals gut, beim Ueberschreiten einer Furt die Pferde zu wechseln, so lautet ein alter spruch. Auch in dem jetzigen Fall wird es sicher Bedauern erwecken, daß mitten in einer Aera heftiger Erregungen die Persönlichkeit verschwindet, die bisher unseres Wissens keinen Anlaß zu irgendwelchen Beschwerden oder Klagen geboten hat. Es ist noch gar nicht kalr, wer der Nachfolger Dr. Brandls wird, und so vermögen wir nicht zu sagen, ob die Demission nur auf gewissen Meinungsverschiedenheiten beruht, die entstanden sind infolge der Ereignisse im Parlament, infolge der Haltung Dr. Brandls bei der Ansammlung von einigen tausend Heimwehrleuten im ehemaligen Ministerium des Innern - oder ob es sich um einen Richtungswechsel handelt, der bedeutende Aenderungen hervorbringt.

Anmerkung: Franz Brandl wurde zwangspensioniert, weil er politisch nicht willfährig genug war. Vor allem weigerte er sich, sich klar auf die Seite von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß zu stellen. So informierte er den sozialdemokratischen Wiener Bürgermeister Karl Seitz am 15. März über eine Versammlung der Heimwehr (die auch im Artikel oben angedeutet wird). Außerdem übergab er dem Leiter des Polizeieinsatzes im Parlament, im Zuge dessen die Sitzung des Nationalrats verhindert wurde, den entsprechenden schriftlichen Befehl, den er selbst von Dollfuß verlangt hatte. Der Polizeibeamte übergab diesen Befehl dann dem dritten Nationalratspräsidenten Dr. Straffner, der aufgrund dieses Beweisstückes Strafanzeige gegen Dollfuß erstattete.

 

Dürfen Geheimakten öffentlich werden?

Manche wollen sich rechtfertigen, manche ihre Verantwortung nicht öffentlich wissen. Was ist der richtige Weg?

Neue Freie Presse am 17. März 2023

Ein Sturm hat sich erhoben, weil staatliche Funktionäre Berichte veröffentlicht haben, die ihnen während ihrer amt­lichen Laufbahn in die Hände gerieten. Den un­mittelbaren Anlaß dazu bildete die Kriegsgeschichte Winston Churchills. Dringliche Anfragen wurden im Parlament ein­gebracht und es wurde öffentlich verlautbart, daß das Kabinett ein aus seinen Mitgliedern bestehendes Komitee beauftragt habe, die Frage solcher Veröffentlichungen zu prüfen. Es ist übrigens reichlich spät, jetzt wegen der Veröffentlichung von Kriegsdokumenten solchen Lärm zu schlagen, denn Generale, Admirale und Minister in allen Ländern, England ein­geschlossen, haben in den letzten drei Jahren die europäische und die amerikanische Oeffentlichkeit mit einer Flut von Erinnerungen, Erklärungen, Kritiken, Polemiken und Ver­teidigungsschriften über die Führung der Operationen während des großen Krieges wie auch während des „großen Friedens", an denen sie beteiligt waren, überschwemmt.

Land- und Seesoldaten haben ein bisher nie dagewesenes Ver­langen gezeigt, die Oeffentlichkeit über ihren eigenen Anteil an den gewaltigen Siegen zu unterrichten und ihr klarzumachen, um wieviel glänzender alles ohne die Quer­köpfigkeit und Dummheit dieses oder jenes Mitarbeiters gewesen wäre. Wie Julius Cäsar glauben sie, daß sie nicht nur durch ihre Schlachten, sondern auch durch ihre Kom­mentare über diese in der Geschichte fortleben werden.

Die Staatsmänner wiederum haben das Bedürfnis ge­fühlt, die Verantwortung für einzelne Teile des Friedens­vertrages von Versailles von sich abzuwälzen, und wenn ihnen wegen der Form, in welcher diese Teile abgefaßt worden waren, von Gegnern oder von Anhängern Vorwürfe gemacht wurden, dann waren sie eifrig bemühst den Nachweis zu er­bringen, daß die Schuld an dem Druck gelegen habe, den andere Akteure in dem großen Drama auf sie ausgeübt hätten und dem sie nicht zu widerstehen vermochten. In allen diesen Fällen wurden äußerst vertrauliche Mitteilungen ent­hüllt, geheime Urkunden herangezogen, Kabinetts- und Kom­missionsberatungen veröffentlicht ohne die geringste Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten.

Eine Enthüllung hat dabei die andere nach sich gezogen, eine Enthüllung die andere unvermeidlich gemacht. Ein General, Admiral oder Minister kritisiert auf Grund halb­ enthüllter Protokolle oder Urkunden einen anderen öffent­lichen Funktionär des Heeres, der Marine oder des Kabinetts. Was soll nun dieser tun? Sein guter Ruf steht auf dem Spiel. Muß es ihm nicht gestattet sein, lückenhafte Mit­teilungen zu ergänzen oder falsche Darlegungen zu be­richtigen? Nehmen wir den Fall, daß die Handlungsweise von Ministern, die eine wichtige Rolle im Krieg und beiden Friedenskonferenzen gespielt haben, böswilligen und unaufhörlichen Entstellungen ausgesetzt ist. Gelegentlich dieser Angriffe werden Behauptungen aufgestellt, die, wenn sie die Oeffentlichkeit für wahr hält, den guten Rus jener Männer unwiederbringlich schädigen oder sogar vernichten müßten. Dabei wird irgendeine Urkunde nur teilweise an­geführt oder der Bericht einer Rats- oder Kabinettssitzung wird falsch zitiert. Der Minister weiß, daß ein vollständiges und richtiges Zitat seinen guten Namen von dem Vorwurf reinwaschen kann, den man gegen ihn geschleudert hat. Soll es ihm unter diesen Umständen nicht erlaubt sein, das Dokument zu veröffentlichen?  Eine bloße Ableugnung hätte keine Beweiskraft, aber die vollständige Enthüllung würde den Streit zu seinen Gunsten entscheiden.

Ver­öffentlichung kann auch aller Voraussicht nach kein natio­nales Interesse verletzen, denn sie enthielte keinerlei Mitteilung, die gegebenenfalls einem Feind des Landes dienlich wäre. Soll es da dem Angegriffenen nicht gestattet sein, das einzige Mittel anzuwenden, das ihm zur Verfügung stehst um seine Ehre vor der Schmach einer all­gemein verbreiteten Verleumdung zu retten? Seinem Kritiker war es erlaubt gewesen, geheime Mitteilungen zu veröffentlichen, ohne daß sich ein Widerspruch erhob. Soll es nun ihm verboten sein, zu seiner Verteidigung das Gleiche zu tun? Warum sollte ihm sein Land dasselbe Recht zu seinem Schutz verweigern?

Das sind die Fragen, die das vom Kabinett eingesetzte Komitee zu erwägen haben wird. Welche Richtlinien immer festgelegt werden sollen, sie müssen diese außergewöhnlichen Umstände mit voller Unparteilichkeit in Rechnung ziehen. Diejenigen, die sich jetzt nicht genug tun können, die Veröffentlichung von Dokumenten, welche die Autoren auf Grund ihrer staatlichen Dienstleistung einzusehen bekommen hatten, als eine Ungeheuerlichkeit zu brandmarken, hatten nicht ein Wort verloren, als man einzelne Teile jener Urkunden zu Zwecken verwendete, die ihnen genehm waren. Ist es da nicht etwas verspätet, jetzt Einspruch zu erheben, und muß nicht auch, wo es sich um Angriffe auf Politiker handelt die Forderung nach ehrlichem Spiel erhoben werden?

In England wurde die Reihe der Memoirenwerke dieser Art von Feldmarschall Lord French von Apern mit seinem Buch „1914" eröffnet. Dieses Werk hat den Charakter einer Verteidigungsschrift und um seiner Sache zu Hilfe zu kommen, spricht der Schreiber über Unterredun­gen mit dem Ministerrat uns zögert nicht, die geheimen Denkschriften und Depeschen, die von ihm oder von anderen geschrieben worden waren, wörtlich zu zitieren. Der ehe­malige Admiral der Flotte Lord Fisher führt in seinem Buch „Memoiren" Zitate über sein eigenes Auftreten in den Sitzungen des Obersten Rates an.

 

Das Ende der Demokratie in Österreich

Die Abgeordneten des Nationalrats wurden durch die Polizei an einem Zusammenkommen gehindert. Die Zeitung zitierte damals Innenminister Schuschnigg, der von einer „Selbstausschaltung“ des Parlaments sprach. Eine Bedrohung der „wirklichen Demokratie“ konnte er nicht erkennen.

Neue Freie Presse am 16. März 1933

Amtlich wird gemeldet: Nachdem Abgeordneter Doktor Straffner trotz des an ihn gerichteten Appells des Bundespräsidenten, seinen Schritt, den österreichischen Nationalrat zu einer Sitzung einzuberufen, nicht zurückzog, hat die Regierung angesichts der Ungesetzlichkeit dieses Vorgehens die Sicherheitsbehörde angewiesen, diesen selbst nach dem Versammlungsgesetz derzeit unzulässigen Zusammentritt einer Minderheit von Abgeordneten hintanzuhalten. Eine Reihe von Kriminalbeamten war daher im Parlament erschienen, um einerseits die entsprechende Mitteilung über die Nichtzulässigkeit einer solchen Versammlung zu machen und andererseits den Zusammentritt unwirksam zu gestalten. Kurz nach 14 Uhr hatte sich eine Anzahl sozialdemokratischer und großdeutscher Abgeordneter eingefunden.

Später ankommende Abgeordnete dieser Parteien wurden auf die Unzulässigkeit der Abhaltung einer Sitzung hingewiesen. Unter den im Saal anwesenden Abgeordneten befand sich auch Abgeordneter Dr. Straffner, der jedoch nicht den Präsidentenstuhl einnahm, sondern vom Rednerpult aus den Schluß der Sitzung erklärte. Da nach der von dem Abgeordneten Dr. Straffner ausgegebenen Einladung die Versammlung erst für 15 Uhr einberufen war, die Schließungserklärung des Abgeordneten Straffner jedoch bereits vor 14.40 Uhr erfolgte, steht außer Zweifel, daß die beabsichtigte Versammlung überhaupt nicht stattfand, vielmehr das Vorgehen des Abgeordneten Straffner sich lediglich als Absage der von ihm beabsichtigten Versammlung darstellt. Das von der Polizeibehörde noch vor 15 Uhr ausgesprochene ausdrückliche Verbot ist daher bereits gegenstandslos geworden. Es kam zu keinerlei Zwischenfällen. Es herrscht vollkommene Ruhe.

Innenminister Dr. Schuschnigg sprach im Rundfunk über "Oesterreichs Weg in Gegenwart und Zukunft". Er führte unter anderem aus:


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