Frauen aus Ländern mit Frauenstimmrecht sind von der feministischen Idee zur Menschheitsidee übergegangen.
Neue Freie Presse am 4. Juni
Frauen aus vierzig verschiedenen Ländern der Erde haben sich in der letzten Woche in Rom zusammengefunden, um über ihre Bürgerrechte und Pflichten zu diskutieren. Man kann nicht sagen, daß sie alle gleichgesinnt waren, denn dazu ist eine Entwicklungsstufe der Völker, deren sie zugehören, eine zu verschiedene. Auch die Denkungsart einer Weltbürgerin aus den Vereinigten Staaten gegenüber einer Frau aus Georgien ist in vielen Dingen so verschieden, die Weltanschauung einer Bewohnerin Ostchinas ist unserer europäischen so entgegengesetzt, daß in vielen Dingen das Einander-Begreifen auf unsägliche Schwierigkeiten stößt.
Umso bewundernswerter muss es uns erscheinen, wenn diese in Rasse, Religion, Lebensgewohnheiten und Sitten so grundverschieden denkenden Frauen sich in einer einzigen großen Idee finden, in der Befreiung der Frau von jeglichem Zwang, der ihrer Entwicklung bisher hemmend im Wege gestanden ist. In den ersten Jahren der organisierten Frauenbewegung war diese Befreiung noch Selbstzweck. Die Frauen fühlten sich unterdrückt, sowohl in wirtschaftlichen Fragen als auch in der Gesetzgebung, sie fühlten das gleiche Bildungsbedürfnis wie der Mann, sie fühlten die gleichen Arbeitsrechte und wollten die gleiche Wertung ihrer Leistung durchsetzen. Von allem Anfang an suchten sie zur Herbeiführung dieser Ziele gesetzmäßige Wege und der Kampf um das Stimmrecht als gleichberechtigte Bürgerin schien ihnen der sicherste, um ihre Wünsche zu erfüllen.