"Wir holen das Geld zurück, das den EU-Finanzministern durch die Lappen geht"

Andrei Pungovschi
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Europas oberste Staatsanwältin kritisiert mangelnde Finanzmittel zur Verfolgung von Betrug bei Steuern und Förderungen in den Mitgliedstaaten.

Die Europäische Staatsanwaltschaft – bekannt unter der Abkürzung EPPO – ist seit gut einem Jahr im Dienst. Wie beurteilen Sie die bisherige Performance Ihrer Institution?

Laura Codruţa Kövesi: Wir haben bis dato mehr als 4000 Vergehen registriert, gut 900 Verfahren eingeleitet und Vermögenswerte im Umfang von rund 250 Millionen Euro eingefroren.

Die meiste Arbeit bereiten Ihnen Berichten zufolge vier Mitgliedsstaaten: Bulgarien, Rumänien, Italien und Deutschland. Woran liegt das?

Die Zahl der Fälle hängt nicht primär damit zusammen, dass in manchen EU-Mitgliedstaaten die Wirtschaftskriminalität floriert und in anderen nicht, sondern mit der Ausgestaltung der dortigen Behörden. Also etwa der Frage, welche Ressourcen den nationalen Ermittlern zur Verfügung stehen, oder ob sie auf Vergehen spezialisiert sind, um die es uns geht – etwa Mehrwertsteuerbetrug. Anders ausgedrückt: Was vielerorts fehlt, sind Polizeidezernate, die für die Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft zuständig sind. Durch Mehrwertsteuerbetrug gehen den EU-Mitgliedstaaten Schätzungen zufolge pro Jahr mehr als 60 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren. EPPO hat bewiesen, dass wir dieses Problem mit Erfolg angehen können. Jetzt brauchen wir mehr Geld, um noch erfolgreicher zu sein.

Aber dieses Geld ist heute knapper denn je.

Ich höre diese Wehklagen bei fast jedem Gespräch mit Polizeichefs und Innenministern: „Wir haben zu wenig Budget“, „wir können kein Personal für die Zusammenarbeit mit EPPO opfern“, „wir haben keine Mittel für die benötigten zusätzlichen Schulungen“, und so weiter und so fort. Im Ernst: Wie kann es möglich sein, dass ein so wohlhabendes EU-Mitglied wie Österreich nicht in der Lage ist, eine Handvoll Polizeibeamte abzustellen, obwohl es doch um Milliarden geht, die am Fiskus vorbeigeschleust werden. Aus der Perspektive der EU-Finanzminister gibt es doch keine bessere Investition als in EPPO – wir holen das Geld zurück, das ihnen durch die Lappen geht.

Was konkret benötigt die EPPO jetzt?

Erstens Ressourcen, damit unsere Mitarbeiter eine längerfristige Karriereperspektive haben – das heißt mehr Angestellte, die sich das Leben am EPPO-Sitz Luxemburg leisten können, und weniger zeitlich befristete Arbeitsverträge. Zweitens Sonderermittler in jedem EPPO-Mitgliedstaat, die fix mit uns zusammenarbeiten. Und zu guter Letzt eine frühere Revision der EU-Verordnung, die die Arbeitsweise unserer Behörde regelt. Nicht erst in fünf Jahren, wie es ursprünglich vorgesehen wurde, sondern frühestmöglich.

Warum eine Revision?

Weil es sich gezeigt hat, dass die bestehenden Regeln unsere Arbeit einschränken. Beispielsweise können wir bei Schmuggelware nicht überall dort ermitteln, wo wir es sollten.

Apropos Kooperationsbereitschaft: Zuletzt hat sich die polnische Regierung geweigert, EPPO Auskunft zu geben. Polen macht bei der Europäischen Staatsanwaltschaft zwar nicht mit – ebenso wie Ungarn, Irland, Dänemark und Schweden –, ist aber zur Zusammenarbeit verpflichtet. Wurden die Auskünfte in der Zwischenzeit erteilt?

Wir haben bis dato nichts erhalten. Warschau argumentiert damit, dass zuerst die relevanten Passagen im polnischen Gesetzbuch novelliert werden müssen. Nun ist es allerdings so, dass die EU-Verordnung, auf der EPPO fußt, nicht erst seit gestern in Kraft ist, sondern seit mittlerweile fünf Jahren.

Was halten Sie für das momentan größere Übel für Europa: organisierte Kriminalität oder populistische Politiker, die den Rechtsstaat aushebeln, um EU-Fördergelder der eigenen Clique zuschanzen zu können?

Ich bin keine Politikerin und will das nicht beurteilen. Aus der Perspektive eines Staatsanwalts ist die organisierte Kriminalität auf jeden Fall eine ernst zu nehmende Gefahr. Dass wir, die EPPO, den europäischen Rechtsstaat stärken, steht allerdings außer Frage. Und natürlich beschäftigen wir uns nicht nur mit der Mehrwertsteuer, sondern auch mit dem Missbrauch von EU-Förderungen. Aber an dieser Stelle muss ich festhalten, dass die Europäische Staatsanwaltschaft nicht investigativ arbeitet, sondern für die Strafverfolgung zuständig ist. Ohne Ermittlungstätigkeit der anderen europäischen Institutionen können wir nichts unternehmen.

Die EPPO-Outsider Polen und Ungarn haben seit geraumer Zeit Probleme mit der Einhaltung der EU-Standards. Für wie problematisch halten Sie diese beiden Schwachstellen? Schließlich ist auf dem EU-Binnenmarkt die Rechtsstaatlichkeit unteilbar.

Die Rolle der Europäischen Staatsanwaltschaft im EU-Gefüge ist nicht systemrelevant. Wenn wir, wie in dem von Ihnen angesprochenen Fall von Polen, Aufklärungsbedarf haben und keine Antworten erhalten, können wir die EU-Kommission einschalten, aber wir haben keine direkte Handhabe.

Hat EPPO bei Obstruktion tatsächlich keine direkte Handhabe abseits der Brüsseler Behörde? Können Sie Polen nicht vor dem EuGH verklagen?

Die Entscheidung über etwaige rechtliche Schritte liegt in der Hand der Kommission. Sie ist in Streitfragen die einzige Instanz, an die wir uns wenden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2022)

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