Wohnraumplanung

Am Bedarf vorbei geplant?

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Es werde vielfach „am Bedarf vorbei gebaut“, kritisieren Immobilienexperten die „Bauwut“ in den österreichischen Metropolen. Die Gründe unter anderem: schnelllebige Trends und Fehlspekulationen.

Baukräne, die die Skyline prägen – daran hat man sich in vielen österreichischen Städten fast schon gewöhnt. „Ja, es wird nach wie vor viel gebaut – vor allem im Wohnbereich“, meinen Experten übereinstimmend. Nicht wenige fügen einen Nachsatz hinzu: „Es wird aber auch viel am Bedarf vorbei gebaut.“ Was er damit meint, bringt etwa Philipp Niemann, Geschäftsführer beim Immobiliendienstleister Engel & Völkers in Wien auf den Punkt: „Die Bedürfnisse der Wohnungssuchenden ändern sich rasch. Bauprojekte benötigen aber von der Planung bis zur Schlüsselübergabe mehrere Jahre. Die Bauträger hinken somit ständig dem aktuellen Bedarf hinterher. Wohnobjekte, die jetzt auf den Markt kommen, entsprechen nicht immer dem, was die Wohnungssuchenden wollen.“

Veränderte Anforderungen

Insbesondere die Coronakrise habe die Anforderungen an ein neues Zuhause verändert. Außenflächen, ob Terrasse oder Balkon, seien fast ein Muss. Da treffen sich Nachfrage und Angebot noch, denn zumindest Balkone sind bei hochwertigen Neubauprojekten schon seit einiger Zeit obligatorisch. Wo es klemmt, sind Möglichkeiten für das Home-Office. Viele Beschäftigte sind durch Corona auf den Geschmack gekommen, etliche Arbeitgeber ermöglichen Heimarbeit in größerem Umfang. Das Werken vom Küchentisch aus ist unpraktikabel, ein abgetrennter Arbeitsraum jedoch bei den derzeit auf den Markt kommenden Wohnungen selten vorhanden.
Auch im zweitgrößten österreichischen Immobilienmarkt Graz läuft nicht alles optimal, beobachtet Raiffeisen-Immobilien-Steiermark-Geschäftsführer Nikolaus Lallitsch. „Die Zahl der Eigentumswohnungen auf dem Markt hat sich auf rund 1000 halbiert, die Zahl der Mietwohnungen ist hingegen mit etwa 4000 konstant geblieben“, verweist er auf die Statistik. Was dahinter steht: „Es werden viele Projekte als Vorsorgewohnungen konzipiert, beworben und verkauft. Sie zu vermieten ist aber nicht so leicht. Denn gefallen muss eine Wohnung dem, der darin lebt, und nicht dem, der sie zu Spekulationszwecken vermieten will.“ Oft werde auch „am falschen Fleck“ gebaut, nämlich an der Peripherie, wo dann Siedlungen fernab der großen Arbeitgeber und Bildungseinrichtungen aus dem Boden wachsen.
Der hohe Leerstand ist in Graz immer wieder Thema politischer Diskussionen. Und gern wird auch kritisiert, dass an der Mur überzogenen Bevölkerungsentwicklungsprognosen gemäß gebaut werde – nicht selten im Interesse ortsfremder Investoren. „Manche auswärtigen Bauträger glauben ja, Fantasiepreise erzielen zu können“, merkt Lallitsch an.
Nicht ganz so dramatisch sieht Ingrid Neugebauer, Prokuristin beim Wiener Immo-Dienstleister EHL, die Situation. „Jeder Bauträger versucht natürlich, sein Projekt zu individualisieren – etwa durch Schwerpunktsetzung auf eine gute Verkehrslösung, viel Grünraum oder architektonisch anspruchsvolle Bauweise. Was nicht immer gelingt. Die Bauträger betreiben in der Regel aber sehr wohl ausgiebige Marktforschung und können damit zumindest ein paar Jahre in die Zukunft blicken, was die Bedürfnisse der Wohnungssuchenden betrifft.“

Städte vernetzt planen

Wir rasch sich Trends dennoch ändern können, zeigt sich anhand der Mikro-Apartments. Vor wenigen Jahren gehypt, erfüllten sie nicht an allen Standorten die hohen Erwartungen und sind beispielsweise für Philipp Niemann schon „Geschichte“. Neugebauer hingegen sieht auch für diese Assetklasse Zukunftschancen: „Aufgrund ihrer geringen Kubatur benötigen Mikro-Apartments wenig Energie. Angesichts der rasant steigenden Energiepreise macht das solche Kleinstwohnungen in Zukunft wieder interessant.“
Anders sieht es bei sehr großen – und für den Durchschnittskäufer unerschwinglichen – Wohnungen aus, von denen es in Wien traditionell viele gibt. „Aber vorzugsweise im Bestand. Und die werden im Zuge von Sanierungen aufgeteilt und getrennt vermarktet“, sagt Niemann, der sich in Wien überdies eine engere Zusammenarbeit zwischen Playern der Bau- und Immobilienbranche sowie verstärkte Bemühungen um eine langfristige städtebauliche Perspektive wünscht. Denn etwas wird sich auch in Zukunft nicht ändern: das Bedürfnis der Menschen, die in der Metropole wohnen wollen, nach einer lebenswerten Stadt.

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Neue Anforderungen. Bedürfnisse ändern sich – durch Corona etwa wurde der Bedarf an Home-Office-Möglichkeiten größer, viele sind auf den Geschmack gekommen, das weiterzuführen. Das Werken vom Küchentisch aus ist auf Dauer unpraktikabel, ein abgetrennter Arbeitsraum jedoch bei den derzeit auf den Markt kommenden Wohnungen nur selten vorhanden.

Wenig Vernetzung. Bauträger betreiben in der Regel zwar Marktforschung, von der Planung bis zur Schlüsselübergabe vergehen aber mehrere Jahre. Schnelle Reaktion ist also schwer – zumal die engere Zusammenarbeit zwischen allen Playern der Bau- und Immobilienbranche sowie die langfristige städtebauliche Perspektive durchaus ausbaufähig ist.

Unbeliebte Vorsorgewohnungen. Viele Wohnprojekte werden als Vorsorgewohnungen konzipiert, beworben und verkauft. Sie zu vermieten ist aber nicht so leicht. Denn gefallen muss eine Wohnung dem, der darin lebt, und nicht dem, der sie zu Spekulationszwecken kauft und vermieten will. Oft werde auch „am falschen Fleck“ gebaut, nämlich an der nicht entwickelten Peripherie.

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