Literatur

Thomas Stangls „Quecksilberlicht“: Der Kaiser von China war nie in Simmering

Thomas Stangl
Thomas Stanglprivat
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Der gescheiterte Bruder der englischen Brontë-Schwestern, eine Simmeringer Großmutter und der erste Kaiser von China sind die Ingredienzien für Stangls Roman. Eine anders gedachte Autobiografie und ein Sprachkunstwerk zugleich.

Vielleicht ist das Wichtigste zu Thomas Stangls neuem Roman „Quecksilberlicht“ zu sagen, dass man bei der Lektüre der 267 Seiten, die er umfasst, immer im Hinterkopf behalten sollte, mit welcher Erwartungshaltung man in der Regel Lyrik liest: Man erwartet keine stringente Geschichte, keine wortreich ausstaffierten Charaktere, es steht stattdessen der reine sprachliche Gedanke im Mittelpunkt, die universelle Betrachtung der Wirklichkeit, gebündelt im Fokus eines lyrischen Ichs, und natürlich die Sprache selbst und deren Zauber. Konventionelles Storytelling, ein hippes Thema und eine simple Botschaft dazu, wie man das in der Prosa immer häufiger findet, darf man sich von „Quecksilberlicht“, Stangls mittlerweile neuntem Buch, jedenfalls nicht erwarten. Aber das wird wahrscheinlich kaum jemanden verwundern, weil Stangl, inzwischen vielfach ausgezeichnet, noch nie fade Prosa-Konfektion geschrieben hat.

Das tut er auch in „Quecksilberlicht“ nicht, und zwar mit beeindruckender Konsequenz nicht. Das Buch nimmt sich viel vor, es geht darin buchstäblich um „alles“, wie es an einer Stelle explizit heißt: „Ein Buch über alles im Himmel und auf Erden schreiben, aufgesammelte Geschichten und Erfahrungen, ein Buch über chinesische Kaiser, englische Dichterinnen, Großmütter, Nazis, Hinterhöfe, das Feuer und die Leere, die Toten und ihr Geschrei, die Literatur und London und mich und sich selbst. Über das Leben und den Tod, von beiden Seiten her, aus dem Inneren der Gruft, übers Bett gebeugt, aus den Seiten der Bücher heraus, unter dem stinkenden Himmel. Ich hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank.“ – Im Grunde ist damit das poetische Programm des Romans formuliert, der lapidare letzte zitierte Satz ist dabei von entscheidender Bedeutung, weil er den eigenen extremen Anspruch des Autors in seiner Profanität humorvoll konterkariert.

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