Schulstart

Den Schulen fehlen die Lehrer

Clemens Fabry
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Der Lehrermangel verschärft sich – auch wegen des Trends zur Teilzeit und der längeren Ausbildung. Immer öfter unterrichten Studenten.

Wien. Für fast 490.000 Schülerinnen und Schüler in Wien, Niederösterreich und im Burgenland gehen die Ferien nach diesem Wochenende zu Ende. Sie werden ab Montag wieder in ihren Klassen sitzen. Ob es dann auch genügend Lehrer in den Schulen geben wird, ist allerdings noch unklar. Der Bildungsminister verspricht es zwar. An so mancher Schule gibt es aber Zweifel.

„Bei uns sind noch immer eine Menge an Unterrichtsstunden unbesetzt“, sagt etwa eine Direktorin einer Ganztagsvolksschule in Wien, die lieber nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen möchte, zur „Presse“. Sie wartet noch immer auf Personal. Ihre Hoffnung, noch Verstärkung zu erhalten, schwindet zunehmend. Um die 40 Stunden, also zumindest zwei volle Lehrverpflichtungen, würde sie noch brauchen, „um zumindest irgendwie über die Runden zu kommen“.

Der Lehrermangel ist in voller Wucht an Österreichs Schulen angekommen. Das Bildungsministerium spricht von einer „herausfordernden Situation“. Die Lehrergewerkschaft von einem „Notstand“. Konkrete österreichweite Zahlen liefert niemand. In den meisten Bundesländern wird beschwichtigt. Der Unterricht wird gewährleistet sein. Es würden (wenn überhaupt) nur noch punktuell Lehrer gesucht. Andere räumen sehr wohl ein Problem ein. Oberösterreich, Vorarlberg oder Wien etwa. Aber auch aus der Bildungsdirektion in der Hauptstadt hieß es, in jeder Klasse werde sich eine Pädagogin bzw. ein Pädagoge befinden. Wobei „kurzfristige Ausfälle“ natürlich „nicht auszuschließen“ seien.

Die Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge trifft die Schulen hart. Der Trend wird noch weitergehen. Bis 2030 gehen ein Viertel der Lehrkräfte an Volksschulen und ein Drittel an Mittelschulen in Pension. Gleichzeitig wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Pflichtschulalter um mehr als fünf Prozent steigen (und da ist ein etwaiger Anstieg der Zahl der Kinder aus der Ukraine noch gar nicht mitgerechnet). Die Pensionierungen sollten eigentlich nicht unerwartet kommen.

Neue Ausbildung sorgt für Probleme

Der fehlende Lehrernachschub tut das offenbar schon. In der Pandemie kehrten einige Pädagogen dem Job den Rücken. Und der Trend zur vermehrten Teilzeitarbeit macht auch vor der Schule nicht halt. Mehr als die Hälfte der Junglehrer startet nicht als Vollzeitkraft. Das hat wiederum stark mit der neuen Lehrerausbildung zu tun. Denn viele absolvieren ihr Masterstudium berufsbegleitend. Überhaupt verschärft die vor fünf bzw. sechs Jahren angelaufene neue Ausbildung die Situation. Dadurch hat sich das Studium deutlich verlängert. Volksschullehrer standen früher nach einem dreijährigen Bachelorstudium in der Klasse. Nun dauert allein der Bachelor vier Jahre. Danach folgen ein zumindest einjähriger Master und eine einjährige Induktionsphase. Für Mittelschullehrer hat sich die Ausbildung verdoppelt. Und selbst für AHS- und BMHS-Lehrer dauert sie ein halbes Jahr bis eineinhalb Jahre länger.

Die Pädagogen kommen aber nicht nur zeitverzögert an die Schulen – sondern auch in geringerer Zahl. Im Bereich der Volksschule gingen die Neueinschreibungen ins Studium im Schnitt um 15 Prozent zurück. In der Sekundarstufe sind es minus 25 Prozent. Das lange Studium und die teilweise komplexere Ausbildung haben offenbar für Abschreckung gesorgt. Außerdem ist der Drop-out mit 36 Prozent hoch.

Lieber in die AHS als in die Mittelschule

Die Schultypen sind vom Lehrermangel in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Besonders schwierig ist es an den Volks- und Mittelschulen. Letztere stehen nun in Konkurrenz zu den Gymnasien. Lehrer werden mittlerweile nämlich für die Altersstufe und nicht mehr für den Schultyp ausgebildet. Als Sekundarstufenlehrer steht einem der Weg in die Mittelschule genauso wie der Weg ins Gymnasium offen. „Wenn ich Mathematik auf so einem Niveau studiere, dann will ich auch in die AHS“, sagt etwa Wiens oberster Pflichtschullehrergewerkschafter Thomas Krebs zur „Presse“.

Doch es ist nicht nur die Schul-, sondern auch die Fächerwahl, die es schwierig macht. Besonders in Mathematik, Physik, Chemie, Informatik und Bewegung und Sport fehlen Pädagogen. In anderen Fächern gibt es einen deutlichen Überschuss. Das zeichnet sich schon bei der Studienwahl ab. Im vorangegangenen Wintersemester waren beispielsweise 5200 Studenten für das Fach Geschichte eingeschrieben. Das sind nur 400 weniger als für das mit deutlich mehr Stunden ausgestattete Hauptfach Englisch. Für Physik und Informatik haben sich nur 1000 bzw. 600 Studierende entschieden.

Natürlich gab es eine unpassende Fächerwahl schon früher. Aber auch hier wurde das Problem durch die neue Ausbildung größer. In der Wahl der Fächer sind die Lehramtsstudenten nämlich flexibler geworden. Früher mussten zumindest angehende Hauptschullehrer unbedingt ein Hauptfach wählen. Sie studierten Deutsch, Mathematik, Englisch und ein Zweitfach. Heute gibt es keine derartige Beschränkung.

Studenten sollen es richten

Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) will deshalb die Lehrerausbildung reformieren. Derzeit laufen zwei Studien dazu. Langfristig sollen außerdem mehr Quereinsteiger in die Schulen kommen. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür wurden zuletzt geschaffen. Außerdem will der Minister den Lehrerjob wieder attraktiver machen. Dazu müsste das Schulbashing in der Gesellschaft endlich aufhören, sagt er im Interview mit der „Presse“ (siehe Seite 4). Kurzfristig hilft all das nicht. Im neuen Schuljahr werden die Lehrer an vielen Standorten dauerhaft Überstunden machen müssen. Auch aus der Pension werden Pädagogen zurückgeholt. Allzu viele werden sich darauf aber wohl nicht einlassen. Das haben die Vorjahre gezeigt. Und so werden es auch heuer wieder die Studenten richten müssen. Mittlerweile werden nicht mehr nur Studierende eingesetzt, die kurz vor ihrem Abschluss stehen, sondern auch Dritt- oder Viertsemestrige.

In der erwähnten Ganztagsvolksschule in Wien besteht mittlerweile die Hälfte des Kollegiums aus Studenten. Sie seien zwar sehr motiviert – „aber von der Pädagogik her ist das ein Wahnsinn“, sagt die Direktorin. Der frühe Einsatz birgt auch eine andere Gefahr: „Wir müssen aufpassen, dass wir die Studierenden nicht zu früh verheizen. Sonst prolongieren wir das Problem“, sagte Walter Vogel, der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der Pädagogischen Hochschulen, zuletzt. Sollten Studenten durch die Arbeitsbelastung keinen Abschluss machen, würde man damit den Lehrermangel von morgen produzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2022)

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