Kein Staatsbegräbnis

Orbán als einziger EU-Regierungschef bei Michail Gorbatschows Trauerfeier

Viktor Orbán reiste nach Moskau zur Gedenkfeier für Michail Gorbatschow.
Viktor Orbán reiste nach Moskau zur Gedenkfeier für Michail Gorbatschow.APA/AFP/POOL/ALEXANDER ZEMLIANIC
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Der letzte Präsident der Sowjetunion wird auf dem Nowodewitschi-Friedhof beigesetzt. Ungarns Premier Orbán ist als einziger EU-Politiker in Moskau dabei, auch Präsident Putin fehlt.

Mehrere Tausend Menschen haben am Samstag in Moskau vom letzten sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow Abschied genommen. Vor dem Haus der Gewerkschaften, wo der am Dienstag gestorbene Friedensnobelpreisträger aufgebahrt war, warteten Menschen stundenlang. Am offenen Sarg legten viele dann Blumen nieder. Wegen des Ukraine-Kriegs reisten keine hochrangigen Staatsgäste aus dem Ausland an. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin fehlte, offiziell wegen Verpflichtungen.

Aus der EU kam allein Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Gorbatschow, einer der wichtigsten Wegbereiter der deutschen Einheit, wurde 91 Jahre alt.

Gorbatschow aufgebahrt

Vor dem Haus der Gewerkschaften in Sichtweite des Kremls bildete sich über Stunden eine lange Schlange. In dem Gebäude lag der Leichnam des ehemaligen Staats- und Parteichefs in einem großen Raum mit Säulen im offenen Sarg - so war das schon bei früheren Sowjetführern nach deren Tod üblich. Gorbatschows Tochter Irina nahm, schwarz gekleidet und mit dunkler Maske vor dem Mund, Beileidsbekundungen entgegen.

Im Unterschied zu früheren Kremlchefs - wie Nachfolger Boris Jelzin (1931-2007) - bekam Gorbatschow kein Staatsbegräbnis. Der Sarg wurde von Ehrenwachen flankiert, aber die große politische Prominenz war nicht dabei. Putins Fehlen am Samstag begründete der Kreml mit Terminproblemen. Er war allerdings schon am Donnerstag am Sarg. Aus Russland kamen etwa Ex-Präsident Dmitri Medwedew, der liberale Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski sowie der Journalist Dmitri Muratow, ebenfalls Träger des Friedensnobelpreises.

Viele EU-Politiker mit Einreiseverbot belegt

Ohne den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wären wohl auch zahlreiche hochrangige Politiker nach Moskau gekommen, um Gorbatschow die letzte Ehre zu erweisen. Für viele Politiker westlicher Länder war eine Teilnahme nun auch nicht möglich, weil sie von russischer Seite als Reaktion auf die Sanktionen des Westens mit Einreiseverboten belegt wurden. Zudem ist der russische Luftraum für Flugzeuge aus "unfreundlichen EU-Staaten" derzeit gesperrt.

Deshalb nahmen vor allem ausländische Botschafter und Diplomaten von Gorbatschow Abschied. Österreich ließ sich vom Geschäftsträger der Botschaft in Moskau vertreten.

Beisetzung in kleinem Kreis

Die Beisetzung fand dann am Nachmittag in einem kleineren Kreis statt. Gorbatschow findet auf dem Moskauer Prominentenfriedhof am Neujungfrauenkloster in der Nähe des Stadtzentrums seine letzte Ruhe - neben seiner Frau Raissa. Unter den Klängen der Nationalhymne wurde sein Sarg ins Grab gelassen.

Nach Angaben des Bürgerrechtsportals OWD-Info kamen vor dem Haus der Gewerkschaft mindestens vier Menschen vorübergehend in Polizeigewahrsam. Die Hintergründe dafür waren am Nachmittag unklar.

Gorbatschow war in den Jahren 1985 bis 1991 der letzte Staatschef der Sowjetunion. Er galt als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges und genoss vor allem in Deutschland enormes Ansehen. Unter seiner Führung schloss die Sowjetunion in den 1980er Jahren mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle. In seiner Heimat leitete der Politiker als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess ein.

Der politische Prozess führte letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Viele Politiker und Bürger Russlands sehen in Gorbatschow deshalb einen "Totengräber der Sowjetunion". Bis zum Nachmittag erschienen zu der Trauerfeier auch keine Staats- und Regierungschefs der ehemaligen Sowjetrepubliken. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan würdigte in einem Telefonat mit Putin Gorbatschows "bedeutende Rolle" in Russland und der Welt.

(APA/dpa)

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