Wort der Woche

Ohne Regenwürmer wäre ein Leben, wie wir es kennen, kaum möglich

Sie sind unscheinbar – manche ekeln sich sogar vor ihnen. Mehr als 40 Jahre widmete sich Darwin der Entstehung von fruchtbarem Boden. Er beobachtete im Freiland ausgiebig die Tätigkeit der Regenwürmer

Auf den ersten Blick wirken sie eher uninteressant – dennoch zählte Charles Darwin den Regenwurm (Lumbricus terrestris) und seine rund 3000 Verwandten zu den bedeutungsvollsten Tieren auf Erden: Sie lockern den Boden, belüften ihn, machen ihn aufnahmefähig für Niederschläge, verteilen Biomasse und Humus im Boden, düngen ihn mit ihren Exkrementen und fördern dadurch Pflanzenwachstum maßgeblich. Alle Ackererde sei schon „viele Male durch die Verdauungskanäle der Würmer gegangen“, so der Vater der Evolutionstheorie.

Mehr als 40 Jahre widmete sich Darwin der Entstehung von fruchtbarem Boden. Er beobachtete im Freiland ausgiebig die Tätigkeit der Regenwürmer, zählte und wog ihre Exkrementhäufchen und studierte ihr Verhalten sogar in Töpfen im Wohnzimmer. 1881, wenige Monate vor seinem Tod, veröffentlichte er das Buch „Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer“, das der Czernin-Verlag kürzlich neu übersetzte (264 S., 25 €).

Dass seine Erkenntnisse größtenteils auch heute noch gültig sind, zeigt die britische Autorin Sally Coulthard in ihrem eben auf Deutsch erschienenen Bändchen „Das Buch des Regenwurms“ (174 S., Harper Collins, 16,95 €). Auf knappstem Raum breitet sie eine überwältigende Fülle von Wissen aus. Etwa über die vielen Funktionen des Schleims, in den sich die Würmer hüllen. Dieser dient als Schutz vor Austrocknung, ist schmutzabweisend und wirkt antibakteriell; weiters fungiert er als Stabilisator der gegrabenen Röhren und spielt bei der Fortpflanzung eine große Rolle: Nachdem paarungswillige Regenwürmer gegenseitig ihre Wohnröhren beschnuppert haben, legen sie sich – Kopf an Schwanz – nebeneinander und verkleben sich rund um das Clitellum (den deutlich sichtbaren Gürtel geschlechtsreifer Tiere) für mehrere Stunden mit einer gemeinsamen Schleimschicht, in der schließlich die Samenzellen zu den Eizellen gelangen.

Ein Quadratmeter natürlicher Boden kann 400 und mehr Regenwürmer enthalten; auf Äckern mit Monokulturen sind es hingegen nur 30. Entsprechend viel wird derzeit über die Effekte von Dünger und Pestiziden geforscht. Klar ist mittlerweile, dass Agrarchemikalien die Regenwürmer beeinträchtigen: In größeren Mengen führen sie zum Tod oder zumindest zu verringertem Wachstum. Aber auch kleinste Dosen haben Folgen: Russische Forscher um Angelika Astaykina wiesen kürzlich nach, dass synergistische Bakterien im Darm der Regenwürmer geschädigt werden – sehr zum Nachteil der Tiere (Frontiers in Microbiology, 13, 853535).

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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