Leitartikel

Sowjetdenkmal: Das Fragezeichen am Schwarzenbergplatz

Archivbild vom "Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee" auf dem Wiener Schwarzenbergplatz.
Archivbild vom "Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee" auf dem Wiener Schwarzenbergplatz.Die Presse/Clemens Fabry
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Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukrainer beschleunigt Osteuropas Entsowjetisierung – und macht das Wiener Rotarmisten-Denkmal untragbar.

Von Tallinn bis Kiew, von Riga bis Lwiw fallen die letzten sowjetischen Denkmäler. Der Sturz oder die Einlagerung all der ehernen Rotarmisten und Kampfpanzer in Kreisverkehren ist ein letzter lauter Abschiedsprotest der von Moskau jahrzehntelang geknechteten und ausgebluteten Völker gegen ihre einstigen Beherrscher im Kreml.

Vor diesem Hintergrund wirkt das „Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee“ auf dem Wiener Schwarzenbergplatz immer deutlicher aus der Zeit gefallen. „Ewiger Ruhm den Helden der Roten Armee, die gefallen sind im Kampf gegen die deutsch-faschistischen Landräuber – für die Freiheit und Unabhängigkeit der Völker Europas“, ist an der Kolonnade auf Russisch zu lesen. Dieser Satz ist nicht nur im Lichte des gegenwärtigen Vernichtungskriegs Moskaus mit dem erklärten Ziel, die Ukraine als Nation auszuradieren, unerträglich. Er war schon damals, als er im August 1945 gemeißelt wurde, von atemberaubendem Zynismus.

Denn dieselbe Rote Armee, deren Soldaten hier gerühmt werden, hatte nur wenige Wochen zuvor, Mitte Juli 1945, in der Region rund um die polnische Stadt Augustów Tausende tatsächliche Mitglieder des polnischen Widerstandes verhaftet, gefoltert, und rund 600 von ihnen an unbekannten Orten ermordet und verscharrt. Sechs Jahre vorher hatte sich dieselbe Rote Armee mit Hitlers Wehrmacht Polen aufgeteilt – und sich sofort an die systematische Vernichtung der polnischen Eliten gemacht, Stichwort: Katyn. Diese genozidale Politik Stalins führte sie auch in den baltischen Republiken durch, nach 1945 im gesamten sowjetisch dominierten Osten Europas. Von den massenhaften Vergewaltigungen, Plünderungen und Morden an der Wiener Zivilbevölkerung ganz zu schweigen.

Ehe nun der Verdacht aufkommt, hier ginge es um historischen Revisionismus: Nein, die Verbrechen der Roten Armee wiegen jene des Dritten Reichs nicht auf. Und ja, den sowjetischen Soldaten, die Wien vom (selbst auferlegten) Joch des Nazismus befreiten, gebührt dafür unser ewiger Dank. Doch jedes Denkmal steht im Spiegel der Zeit. Wirft der ein groteskes Bild zurück, muss man es geraderücken. Grotesk ist das Denkmal am Schwarzenbergplatz. Und grotesk ist auch die Argumentation seiner Verteidiger. „Das Denkmal soll bleiben. Es ist ein Stück Geschichte“, erklärte beispielsweise der Chefredakteur des „Falter“, als der Autor dieser Zeilen das Denkmal auf Twitter zur Debatte stellte. Ach wirklich? So, wie das Lueger-Denkmal auch „ein Stück Geschichte“ ist?

Ganz schlimm ist der Versuch mancher Zeitgenossen, das Rotarmistendenkmal mit dem Hinweis, es hätten großteils ukrainische Soldaten Wien befreit, gleichsam als Mahnmal für sie umzudeuten. Welch Hohn! Besagte ukrainische Nation gab es für Stalin, für die Rote Armee nicht, und wenn, dann war sie auszumerzen: kollektiv, wenn man sich den orchestrierten Hungertod von Millionen Ukrainern im Holodomor der Jahre 1932 und 1933 in Erinnerung ruft. Und individuell, wie der Fall Wilhelm von Habsburgs erinnert, der als Vasyl Vyshyvany seit dem Ersten Weltkrieg für die ukrainische Sache und gegen Russland kämpfte, und darum im August 1947 vor dem Südbahnhof (nur einen kurzen Spaziergang durch die Gärten des Belvedere vom Denkmal entfernt) vom sowjetischen Militärgeheimdienst gekidnappt wurde (der KGB folterte ihn ein Jahr später in Kiew zu Tode).

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