Großbritannien

"Werden liefern": Liz Truss wird britische Premierministerin

Lizz Truss kurz vor der Bekanntgabe ihres Sieges.
Lizz Truss kurz vor der Bekanntgabe ihres Sieges.APA/AFP/ADRIAN DENNIS
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Die konservativen Tories haben Außenministerin Truss zur Parteichefin und damit zur Premierministerin gewählt. Vor allem in der Energiekostenkrise besteht akuter Handlungsbedarf. Truss`Mantra ist das Steuernsenken. Sie wolle bei beiden Themen „liefern“.

Im „Queen Elizabeth Conference Centre“ in London steht Liz Truss am Höhepunkt ihrer Karriere. Kurz nach 12.30 Uhr Ortszeit (13.30 Uhr österreichischer Zeit) verkündete Sir Graham Brady, Vorsitzender des Wahlkomitees, dass die bisherige Außenministerin von den rund 175.000 Parteimitgliedern der konservativen Tories zur Parteichefin gewählt wurde. Und somit wird Liz Truss auch Premierministerin und das Amt von Boris Johnson übernehmen. Zwei Jahre Amtszeit verbleiben noch.

Truss konnte ihren Rivalen und Ex-Finanzminister Rishi Sunak klar schlagen - mit 57,4 Prozent der gültigen Stimmen, wenn auch der Vorsprung geringer war, als manche vorhergesagt hatten. Es war der geringste Vorsprung seit der Regeländerung der Tories im Jahr 2001. Boris Johnson hatte seinen Konkurrenten Jeremy Hunt im Jahr 2019 mit mehr als 66 Prozent geschlagen. Laut Parteikomitee entfielen auf Truss 81.326 gültige Stimmen, auf ihren Rivalen 60.399 Stimmen.

Sunak hatte zwar bei in der Fraktion viel Rückhalt, gilt bei der Parteibasis allerdings als weit weniger beliebt. Die britischen Buchmacher hatten seine Siegchancen am Montag mit nur noch zwei Prozent bewertet. Die Parteimitglieder konnten in den vergangenen Wochen per Brief oder online abstimmen, wer in die Downing Street einziehen soll.

Nach Dank für ihren Vorgänger, „meinen Freund Boris Johnson“, wiederholte Truss in einer kurzen Rede im Kongresszentrum ihre Eckpunkte der Kampagne. Sie habe als Konservative Wahlkampf betrieben und wolle auch als Konservative regieren. Auch ihr Mantra „Steuern senken“, wiederholte Truss. „Wir werden liefern, wir werden liefern, wir werden liefern“, rief sie in die Menge und bezog sich dabei auch auf die weiteren Auswirkungen des Brexits und die hohen Energiekosten. Details ihrer Pläne blieb Truss in der nur wenige Minuten dauernden Rede schuldig. Sie blickte hingegen auch schon ins Wahljahr 2024, wo man ebenso „liefern“ werde. Umfragen sehen derzeit allerdings die oppositionelle Labour Party deutlich in Führung.

Rasche Amtsübergabe

Nach der Ergebnisverkündung wird es nun schnell gehen. Schon unmittelbar danach soll das Team von Liz Truss mit dem „Onboarding“ in der Downing Street beginnen, die Amtsübernahme also vorbereiten. Am Dienstag könnte die Truss schon einziehen und der Regierungswechsel über die Bühne gehen.

Sowohl Boris Johnson als auch seine Nachfolgerin reisen nach Schottland und werden wohl am Dienstag nacheinander von Queen Elizabeth II. empfangen, die dort ihren Sommerurlaub verbringt. Dass die Audienzen dort stattfinden und nicht im Londoner Buckingham-Palast, ist äußerst ungewöhnlich, doch die Reise von Schottland nach London wäre für die mittlerweile 96-jährigen Monarchin zu beschwerlich. Zurück in London folgt eine Antrittsrede in der Downing Street. Am Mittwoch stellt sich der bzw. die neue Premierminister(in) dann schon den Fragen im britischen Parlament.

Gemischte bis skeptische Reaktionen

Führende britische Oppositionspolitiker haben die designierte Premierministerin Liz Truss direkt nach ihrer Kür zur Chefin der Konservativen Partei heftig kritisiert. Man habe von Truss weitaus mehr über eine Kürzung der Unternehmensteuer als über Erleichterungen für Privathaushalte gehört, sagte Oppositionschef Keir Starmer von der Labour Party am Montag. "Das zeigt, dass sie nicht nur abgehoben ist, sondern auch nicht auf der Seite der arbeitenden Bevölkerung steht."

Truss müsse sich mit der Krise der Lebenshaltungskosten, mit dem maroden Gesundheitssystem sowie Kriminalität auseinandersetzen, forderte der Sozialdemokrat. Auch der Chef der britischen Liberaldemokraten, Ed Davey, sparte nicht an Kritik. Von Truss sei mehr von den Krisen und dem Chaos zu erwarten, das bereits Boris Johnson gebracht habe, schrieb Davey auf Twitter. Es sei Zeit, eine Neuwahl einzuberufen.

Etwas positiver klang die erste Reaktion der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon. "Glückwunsch an Liz Truss. Unsere politischen Differenzen sind groß, aber ich werde mich um ein gutes Arbeitsverhältnis mit ihr bemühen (...)", schrieb sie.

Amtsinhaber Johnson rief die Konservative Partei auf, sich geschlossen hinter seiner designierten Nachfolgerin zu sammeln. Die bisherige Außenministerin habe den richtigen Plan, um die Energie- und Inflationskrise zu bewältigen und die Partei zu einen, twitterte Johnson am Montag. "Jetzt ist es an der Zeit, dass alle Konservativen zu 100 Prozent hinter ihr stehen."

Truss werde „fiskalisch verantwortungsbewusst handeln"

Die 47-jährige Truss wird dem rechten Flügel der Partei zugeordnet. Sie konnte im innerparteilichen Wahlkampf vor allem mit dem Vorhaben punkten, sofort die Steuern senken zu wollen.

Großbritanniens Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng glaubt, dass Liz Truss im Falle ihrer Ernennung zur Premierministerin ein Trendwachstum von 2,5 Prozent anstreben wird, wie er in der „Financial Times" vom Sonntag schrieb. Truss werde "fiskalisch verantwortungsbewusst" sein und darauf hinarbeiten, die Schuldenquote im Verhältnis zum BIP im Laufe der Zeit zu senken, fügte er hinzu. Kwarteng gilt als Kandidat für das Finanzministerium in Truss' Kabinett.

Truss erwäge außerdem, die Energierechnungen für Millionen von Haushalten in diesem Winter einzufrieren, falls sie Premierministerin wird, berichtete die Zeitung „Telegraph" am späten Sonntag unter Berufung auf mit den Gesprächen vertraute Quellen aus dem Wahlkampf und Insider von Energieunternehmen.

Der staatliche Energiepreisdeckel in Großbritannien war kürzlich erheblich angehoben worden. Von Oktober an beträgt er für einen durchschnittlichen Haushalt 3549 Pfund (aktuell 4103,93 Euro) im Jahr. Prognosen zufolge soll er weiter steigen. Befürchtet wird, dass Millionen Haushalte im Vereinigten Königreich im Winter in Schwierigkeiten geraten werden, ihre Strom- und Gasrechnung zu zahlen. In Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind die Energiepreise europaweit stark gestiegen.

Wirtschaftsstimmung trübe

Die Unternehmensstimmung in Großbritannien hat sich im August deutlicher als erwartet eingetrübt. Der Einkaufsmanagerindex von S&P Global fiel um 2,5 Punkte auf 49,6 Punkte, wie die Marktforscher am Montag in London laut einer zweiten Schätzung mitteilten. Der Indikator ist damit unter die Wachstumsschwelle von 50 Punkten gefallen.

Er signalisiert also eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung. Es ist der tiefste Stand seit Februar 2021. Volkswirte hatten im Schnitt mit einer Bestätigung der Erstschätzung von 50,9 Punkten gerechnet.

Enschiedene Unterstützerin der Ukraine

Außenpolitisch hat sich Truss allein schon aufgrund ihrer bisherigen Rolle als Großbritanniens Chefdiplomatin klarer positioniert. Wie Johnson ist sie als entschiedene Unterstützerin der Ukraine im Krieg gegen Russland aufgetreten. Es wird damit gerechnet, dass die ukrainische Hauptstadt Kiew Ziel einer ihrer ersten Auslandsreisen sein wird. In der Europäischen Union dürfte man dagegen darauf gefasst sein, dass das Gezerre um die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen anhält. War Truss vor dem Referendum von 2016 noch für einen Verbleib Großbritanniens in der Staatengemeinschaft eingetreten, ist sie inzwischen eine glühende Verfechterin des Brexit.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte per Twitter, sie freue sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen Premierministerin und erwarte, dass unter Truss Großbritannien alle Aspekte der Brexit-Vereinbarung einhalten werde.

Was ist von Truss zu erwarten?

Nach allem, was sie hat durchblicken lassen, wird die Truss-Regierungszeit weitgehend eine Fortsetzung der Johnson-Jahre. Ein ehemaliger Kabinettskollege meinte wenig schmeichelhaft, die angehende Regierungschefin sei „wie Boris, aber ohne den Charme“.

>> Lesen Sie mehr über Liz Truss Positionierung in der Analyse unseres Korrespondenten Peter Stäuber

(APA/dpa/red.)

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