Indem die Europäische Zentralbank Investitionskosten und konjunkturelle Lage mitbestimmt, hat sie großen Einfluss auf Möglichkeiten der Klimapolitik.
Weitflächige Waldbrände, austrocknende Gewässer, Hitzewellen. Die Auswirkungen der Klimakrise trafen in diesem Sommer weite Teile Europas und der Welt. In Europa könnten durch die Folgen der Klimakatastrophe große Regionen bald kaum mehr bewohnbar sein. Investitionen von hunderten Milliarden Euro für saubere Technologien, umweltschonende Energieversorgung und klimafreundliche Infrastruktur sind erforderlich, um aus fossilen Energieträgern auszusteigen und Klimaneutralität zu erreichen.
Inmitten der Hitzerekorde entschied die Europäische Zentralbank (EZB) am 21. Juli ihren Leitzins um 0,5 Prozentpunkte anzuheben. Zinserhöhungen wirken dämpfend auf Nachfrage und Beschäftigung: Unternehmen reduzieren wegen höherer Finanzierungskosten ihre Investitionen; die Arbeitslosigkeit steigt; das Lohnniveau geht zurück. Doch tatsächlich sind die aktuell hohen Inflationsraten überwiegend angebotsseitig verursacht.
Die Zinserhöhungen der EZB können jedoch weder das Angebot von Gas aus Russland erhöhen, noch alternative Energiequellen erschließen oder die Lieferkettenprobleme bei Chips und Halbleitern lösen. Sie werden jedoch nicht ohne potenziell massiven Kollateralschäden bleiben. Dabei wird neben der zusätzlichen Arbeitslosigkeit, die ein gesellschaftliches und demokratiepolitisches Problem darstellt, vor allem die Klimaschutzagenda in Mitleidenschaft gezogen.
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Zur Notwendigkeit öffentlicher Investitionen
Grüne Investitionen müssen von staatlicher Seite durch verlässliche öffentliche Investitionspläne und Regulierungen forciert werden. Nur eine verbesserte Infrastruktur sowie Planungssicherheit können dann dazu beitragen, dass auch private Unternehmen in klimafreundliche Sektoren expandieren.
Doch ein großer Teil der Klimainvestitionen ist nicht profitabel im klassisch wirtschaftlichen Sinne. So werden Private etwa davor zurückschrecken die Infrastruktur für emissionsreduzierenden öffentlichen Verkehr in ländlichen Regionen zu errichten, um diese Infrastruktur anschließend ohne Gewinne zu betreiben. Die öffentliche Hand muss zudem durch Industriepolitik die Richtung vorgeben. Dazu gehören die Planung und Mitfinanzierung von Produktionsstrukturen zur Erzeugung moderner Schnellzüge, die mittelfristig den Flugverkehr ersetzen, sowie die Förderung von erneuerbarer Energien.
EZB-Strategie
Die EZB verpflichtete sich 2021 in ihrer adaptierten geldpolitischen Strategie eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen, die sie vor Zinserhöhungen zurückschrecken lassen sollten. Ihr primäres Mandat ist jenes der Preisstabilität, ihr sekundäres Mandat die Unterstützung der allgemeinen EU Wirtschaftspolitik. Tatsächlich muss für die Erreichung beider Mandate die aktive Förderung ambitionierter Klimaziele ganz oben auf der Liste stehen.
Zum einen könnten weitere Zinserhöhungen im Herbst die Staatsanleihemärkte neuerlich destabilisieren und einzelne Euroländer in Finanzierungsschwierigkeiten bringen. Das im Juli angekündigte neue EZB-Anleihenkaufprogramm („Transmission Protection Instrument“) soll die Kapitalmärkte stabilisieren; es ist jedoch an die Bedingung geknüpft, dass Mitgliedstaaten veraltete EU-Fiskalregeln einhalten, die aktuell ausgesetzt bleiben.
Perspektivisch ist es in der Währungsunion also umso dringender die Fiskalregeln rasch zu reformieren, sodass sie den Spielraum für ökologische Maßnahmen erweitern. Denn jetzt leben Euro-Mitgliedstaaten unter dem ständigen Risiko, dass ihre Finanzierungskosten bei einer Wiedereinsetzung der Fiskalregeln durch einen Ausschluss von dem Anleihekaufprogramm massiv ansteigen und damit Ausgaben gegen den Klimawandel abgestraft werden.
Zum anderen wirkt sich die Klimakrise direkt auf die Preisstabilität aus, da fossile Energieträger aktuell die Hauptverursacher der Teuerung sind. Dementsprechend würden Investitionen in saubere Energie die Preisstabilität stärken. Erneuerbare Energie erfordert jedoch hohe Anstoßinvestitionen, die sensibel auf sich verschlechternde Finanzierungskonditionen reagieren. Werden dringend benötigte Investitionen wegen höherer Zinsen gestrichen, wäre Europa zukünftig noch anfälliger für die Folgen der Klimakrise. Nur die rasche ökologische Transformation bringt weitreichende Stabilität.
Investitionen für Nachhaltigkeit, auch bei Preisen
Die EZB kann die Klimakrise nicht alleine adressieren: Klimapolitik liegt in den Händen demokratisch legitimierter Akteur:innen. Indem die Zentralbank Investitionskosten und konjunkturelle Lage mitbestimmt, hat sie jedoch großen Einfluss auf Möglichkeiten der Klimapolitik.
Ein Zinserhöhungszyklus würde die Nachhaltigkeitsziele der EU untergraben. Zudem adressieren Zinserhöhungen auch nicht die Inflationsursachen, sondern wirken über eine Drosselung der Wirtschaft, die den Abschwung verschärft. Kräftige Klimainvestitionen zu günstigen Finanzierungskonditionen sind zentral für das Erreichen von wirtschaftlicher und sozialer Stabilität im Allgemeinen und Preisstabilität im Speziellen. Es liegt an der EZB, diese Investitionen zu ermöglichen.
Philipp Heimberger ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), wo er die Arbeitsgruppe Makroökonomik leitet.
Lea Steininger ist Ökonomin am Department Volkswirtschaft der WU Wien sowie am WIIW, als auch Gastforscherin an der UC, Berkeley. Zuvor arbeitete sie in der Forschungsabteilung der EZB.
