Kein Cash

Wien Energie ist nicht allein: Europas Wackelkandidaten in der Energiekrise

Der Schweizer Stromkonzern Axpo erhält 4,1 Milliarden Euro Kreditlinie vom Staat.
Der Schweizer Stromkonzern Axpo erhält 4,1 Milliarden Euro Kreditlinie vom Staat. REUTERS
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Trotz Rekordpreisen geht Stromversorgern in ganz Europa das Bargeld aus. Regierungen helfen den Wackelkandidaten mit Milliarden Euro, um einen „Lehman-Moment“ zu verhindern. Gibt es wirklich keine bessere Lösung?

Wien. Eine Kilowattstunde Strom ist so teuer wie nie zuvor. Österreichs Haushalte mussten im Juli um die Hälfte mehr für Elektrizität bezahlen als vor einem Jahr. Glaubt man den Analysten der US-Investmentbank Goldman Sachs, ist das erst der Anfang: Die Stromrechnungen in Europa werden noch um zwei Billionen Euro steigen, sind sie überzeugt. Goldene Zeiten also für Energieversorger?

Nicht unbedingt, wie das Beispiel Wien Energie zeigt: Vergangene Woche noch drohte dem Versorger trotz der Rekordpreise das Geld auszugehen. Erst ein über Nacht geschnürter Zwei-Milliarden-Euro-Hilfskredit des Bundes half, die Lage zu entspannen. Doch so kurios die Lage erscheint, die Wien Energie ist mit ihrem Cash-Problem nicht allein. Immer mehr Energieversorger in Europa schlittern in eine Liquiditätskrise – und die Regierungen müssen entscheiden, wie sie mit diesen Wackelkandidaten umgehen.

Die neuen Lehman Brothers

Zur Erinnerung: Dass diese Probleme überhaupt entstanden sind, liegt daran, dass Stromkonzerne ihre Produktion gerne an der Börse im Voraus verkaufen, um besser planen zu können und den Preis zu fixieren. Steigt bis zur vereinbarten Lieferung aber der Strompreis, müssen sie Sicherheiten (Margins) hinterlegen, damit die Börsen das Geschäft auch abwickeln können, wenn die Verkäufer nicht liefern. Geht das Geschäft wie geplant über die Bühne, fließen diese Kautionen wieder an die Verkäufer zurück. Gemeinsam mit dem Strompreis stiegen in den letzten zwölf Monaten auch die Margins rapide an. Wie hoch die Margins aktuell sind, wollte die Wien Energie auf Anfrage der "Presse“ nicht bekanntgeben. Fakt ist aber, dass die Entwicklung nicht nur das österreichische Unternehmen zwischenzeitlich in ernste Bedrängnis gebracht hat.

„Das hat die Voraussetzungen, eine Art Lehman Brothers der Energiewirtschaft zu werden“, sagte Finnlands Wirtschaftsminister Mika Lintila in Anspielung auf die Wall Street-Bank, deren Kollaps als Auslöser der globalen Finanzkrise 2008 gilt. Entsprechend forsch griff die Regierung in Helsinki nun in die Staatskasse und drückte dem Versorger Fortum 2,35 Milliarden Euro als Überbrückungsfinanzierung in die Hand, damit dieser besser gegen steigende Margins gewappnet ist. Schweden hält 23 Milliarden Euro an Krediten und Kreditgarantien bereit, um die Branche vor Preisschocks zu bewahren. In Großbritannien hofft Centrica, der Eigner von British Gas, auf Milliarden vom Staat. Und in der Schweiz gewährte die Regierung dem Stromkonzern Axpo am Dienstag eine 4,1 Milliarden Euro hohe Kreditlinie. „Wir müssen alles tun, um unsere Energieversorgung zu sichern“, sagt die Schweizer Energieministerin Simonetta Sommaruga. „Wir müssen verhindern, dass ein kurzfristiger Liquiditätsengpass ein Unternehmen umstößt und dieses andere mitreißt.“

Regeln an der Börse ändern

Die Nothilfen für Stromkonzerne werden auch beim Treffen der EU-Energieminister am Freitag Thema sein. Dass Steuergeld alleine kein Allheilmittel ist, sieht man etwa in Deutschland, wo Uniper schon vor einem Jahr in Schieflage gekommen ist. Trotz Milliardenzahlungen ist die Krise nicht ausgestanden. Erst dieser Tage suchte Uniper um frische Milliarden an.
Als alternative Lösung schlägt die Branche vor, Stromproduzenten, die ja tatsächlich Elektrizität erzeugen, an der Börse anders zu behandeln als reine Händler. Sie sollen Sicherheiten für Termingeschäfte nicht nur Cash, sondern auch in Form von CO2-Zertifikate oder Bankgarantien hinterlegen dürfen, fordert der Branchenverband Eurelectric. Das würde den Druck auf die Konzerne verringern, ohne deren Handelspartner ernsthaft zu gefährden.

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