Interieur
Wohnen in Wien

Als das Proletariat wohnen lernte

Eine neue Ausstellung blickt zurück in den Alltag der Gemeindebauten, als „zu Hause sein“ noch ein ziemlich ungewohntes Gefühl war.

Das hat seit den 1920er-Jahren an etlichen Stellen der Stadt eine ganz besondere Konnotation. Im Jahr 1919 hatte die Sozialdemokratie die absolute Mehrheit im Gemeinderat erzielt. Und das änderte vieles. Allein stadtmorphologisch. Aber vor allem gesellschaftlich. Vorher hatte sich Wien zwar auch darum gekümmert, dass das Wasser sauber war, die Straßen so hell, wie es eben ging, und die Menschen eher später starben. Aber darum, wie und in welchen Verhältnissen die Wiener und Wienerinnen in den Häusern unterkommen, darum hatte sich die Stadt nicht so sehr geschert. Die Arbeiterschaft hatte kaum eine Vorstellung, was das sein sollte, das „Wohnen“. Arbeiten und Schlafen. Vielleicht ein Wirtshausbesuch dazwischen. Andere Zeitverbringungsformen in Räumen, die man „Zuhause“ nennt, hatte man noch nicht ausprobiert. Mangels Zeit, Geld, Raum und Gelegenheit. Die Sozialdemokratie, das „Rote Wien“, hatte sich dagegen fest vorgenommen, das zu ändern.

Auch mit der Kraft und Hilfe der Architektur. Die Gemeindebauten veränderten die Stadt, die Menschen, die Wohnkultur. Oder schufen in bestimmten Milieus überhaupt erst eine. Stadtrat Julius Tandler formuliert 1927 den Anspruch der Sozialdemokratie so: „Die Menschen, die in unseren neuen Häusern wohnen, sind neue Menschen, leben und atmen nicht nur in neuen Räumen, sondern fühlen und denken auch anders.“
„Durch das erste Wiener Wohnbauprogramm von 1923 haben ja viele überhaupt zum ersten Mal eine richtige Wohnung bekommen“, erzählt Werner Bauer. Gemeinsam mit seiner Frau Lilli Bauer hat er sich seit Jahren durch die Geschichte des Roten Wien geforscht. Beide kuratierten für den Verein „Das Rote Wien im Wasch­salon“ nicht nur die Dauerausstellung im Karl-Marx-Hof, sondern auch die Sonderausstellungen. Wie auch jene, die aktuell gerade ansteht. „Schöner Wohnen im Roten Wien“ heißt sie und hantelt sich entlang der zarten Linie, an der sich die Perspektiven der Architekten, der Sozialdemokratie sowie der Bewohner und Bewohnerinnen begegnen.

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