Gastkommentar

Strompreisdeckel als Reiseproviant

Das Einfache hat was. Das sollte Ministerin Leonore Gewessler beim EU-Energiepreisgipfel morgen bedenken.

Der Autor:

Stephan Schulmeister (*1947) ist Wirtschaftsforscher, Universitätslektor in Wien.

Zur Vorbereitung auf den Energiepreisgipfel morgen, Freitag, hat die EU-Kommission in einem „Non-Paper“ verschiedene Optionen einer Begrenzung der Strompreise untersucht, aber nur eine einzige empfohlen: Die Strompreise werden weiter an der Börse nach Merit Order gebildet, sodass die Grenzkosten des teuersten Kraftwerks den Gesamtpreis bestimmen („uniform pricing“). Für Österreich und die meisten EU-Länder (Preiszonen) sind das derzeit 500 Euro je MWh, obwohl die Kosten zumeist viel niedriger sind (in Österreich ca. 100€/MWh). Dementsprechend hoch sind deren Gewinne.

Die EU-Kommission schlägt vor, dass je nach Technologie ein Ertragsdeckel eingeführt und die Differenz zum Marktpreis vom Staat kassiert wird. Beispiel: In Österreich betrügen die Kosten einschließlich Gewinnen bei Wind-, Solar- und Wasserkraftwerken 150€/MWh (vereinfachende Annahme einschließlich „großzügig“ kalkulierter Gewinne). Dann könnte der Staat 350€/MWh abschöpfen (technisch wäre das einfacher abzuwickeln als Sondersteuern, aber das ist hier nicht von Belang). Für die Stromverbraucher bliebe es weiter bei dem hohen Preis von 500€/MWh. Der Staat würde so einen zweistelligen Milliardenbetrag von den Billigstromanbietern kassieren, und den solle er an die unter den hohen Strompreisen leidenden Haushalten und Unternehmen verteilen.

Alle anderen Optionen einer Senkung der Strompreise werden von der EU-Kommission verworfen, weil sie in den Markt eingriffen. Allerdings würden die Großhandelspreise auch durch den EU-Vorschlag verzerrt: Es gäbe einen (hohen) Käuferpreis, die Verkäufer erhielten unterschiedliche De-facto-Preise. Auch würde ein gewaltiges Umverteilungskarussell inszeniert: Bis zu zehn Prozent des BIPs würden angesichts der astronomischen Strompreise von den Billigproduzenten zum Staat und von diesem zu den Verbrauchern „umgeschaufelt“.

Am Wochenende hat Wiens Finanzstadtrat Hanke ein verblüffend einfaches Modell vorgestellt: Die Strompreisbildung an der Börse erfolgt in zwei Schritten. Im ersten wird nach Merit Order der Gleichgewichtspreis ermittelt. Da ein kleiner Teil des Angebots von teuren Gaskraftwerken stammt (sagen wir fünf Prozent), bestimmen deren Kosten den Gesamtpreis von 500€/MWh. Aus der Pressemitteilung von Hanke: „In einem zweiten Schritt sollten diese angebotenen Preise von der Börse durch den Handelsalgorithmus automatisch mit dem Höchstpreis – z. B. einem Maximalpreis von 300 Euro pro MWh – überschrieben werden.“

Ohne Umverteilungskarussell

Während beim Hanke-Vorschlag der Höchstpreis willkürlich mit 300€/MWh fixiert wird, braucht es dafür eine ökonomische Begründung, das wären die gesamten Durchschnittskosten einschließlich einer „großzügigen“ Gewinnmarge, also in meinem Beispiel 150€/MWh. Jene den Gesamtpreis in die Höhe treibenden (Gas-)Kraftwerke bekommen ihre zusätzlichen Kosten vom Staat ersetzt, schließlich wird ihre Produktion ja gebraucht. Doch der effektive Gesamtpreis ist viel niedriger und entspricht den effektiven Produktionskosten. Lapidare Schlussfolgerung: „Damit wäre die längst fällige Entkopplung von Strom- und Gaspreisen umgesetzt.“ Folge: Haushalte und Unternehmer kämen in den Genuss niedriger Strompreise, und es bestünde weiter ein Anreiz, Strom zu sparen, denn die Preise wären höher als etwa vor einem Jahr (damals lag der Großhandelspreis bei 100€/MWh). Die Anreize zu Investitionen in erneuerbaren Strom bleiben hoch, und der Staat erspart sich das „Umverteilungskarussell“.

Das Einfache hat was – und ließe sich leicht mitnehmen von Ministerin Gewessler zum Energiegipfel am 9. September. Oder?

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2022)

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