Kulturerbe

Österreichs Meisterin der zerrissenen Filmfiguren

(c) Clemens Fabry
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In ihren Filmen blickt Marie Kreutzer stets hochsensibel auf persönliche und gesellschaftliche Kampfzonen. Zuletzt in ihrem untypischen Sisi-Drama „Corsage“.

Wien. „Rosinen?“ – „Das ist pures Gift!“ Die Diskussion um korrekte Kleinkindernährung bei einer Elternbesprechung in Marie Kreutzers Kinofilm „Was hat uns bloß so ruiniert“ (2017) über drei Bobo-Paare, die sich dem Projekt Nachwuchs hingeben, ist nicht nur Jungeltern amüsant in Erinnerung geblieben. So wie es die Filme der 1977 in Graz geborenen Regisseurin überhaupt immer wieder schaffen, mit denkwürdigen Bildern und Szenen im Kopf ihres Publikums hängen zu bleiben. Sei es der abgebrochene Stöckelschuh der durch ein trostloses Hochleistungsperfektionsleben hetzenden und sich leise vor einem psychischen Zusammenbruch fürchtenden Unternehmensberaterin Lola in „Der Boden unter den Füßen“. Sei es Sisi, die in „Corsage“ in der kaiserlichen Badewanne mit offenen Augen abtaucht und die Luft anhält.
„Alle meine Filme sind politische Filme, obwohl sie es vordergründig nicht sind“, sagt Marie Kreutzer, die seit Jahren ein verlässliches Aushängeschild des österreichischen Films ist, dabei aber immer wieder neue Wege geht. Wenngleich sich gewisse Grundfesten durch ihr Werk ziehen. Die psychologische Figurenzeichnung etwa. Die feinsinnigen Milieubeschreibungen. Der sensible Blick auf persönliche und gesellschaftliche Kampfzonen. Und die Familie – sowie die Frage, wie man mit ihr zurechtkommt – als zentrales Thema.

Das war schon bei ihrem ersten Spielfilm so: „Die Vaterlosen“ (2011) erzählte über viele Rückblenden vom Zerfall einer Hippie-Kommune und der Identitätssuche von deren Kindern. Seitdem war Kreutzer sehr produktiv, hat insgesamt sieben Filme gedreht, darunter die Romanverfilmung „Gruber geht“ – über einen unsympathischen Karrieremenschen, den eine Krebserkrankung aus der Bahn wirft –, eine ORF-Stadtkomödie, einen ORF-Landkrimi. Und zuletzt den heuer in Cannes präsentierten Film „Corsage“, mit dem Kreutzer dem gängigen Sisi-Mythos zu Leibe rückt: Ihr Drama dreht sich um eine Kaiserin, die mit dem eigenen Altern kämpft und sich in ihrer Rolle als Repräsentantin einer abgehobenen Staatselite gefangen fühlt. „Inspiriert hat mich die Auseinandersetzung mit den letzten 20 Jahren ihres Lebens: Meist stehen bei Sisi ja eher die Anfangszeit oder ihr tragischer Tod im Vordergrund“, sagt Kreutzer, die von Hauptdarstellerin Vicky Krieps auf die Idee gebracht worden ist.

In seiner Größenordnung ist „Corsage“ Kreutzers bislang aufwendigster Film, in vier Ländern wurde gedreht. Ihren intuitiven Zugang bewahrte sich die Regisseurin – und Drehbuchautorin, die ihre Filme stets selbst schreibt – trotzdem. Eine präzise künstlerische Vision ist die Basis dafür. Entschlossen tritt sie auch in ihrem (kultur-)politischen Engagement auf, etwa für die Frauenquote in der Filmförderung. In ihren Geschichten und Figuren sucht sie indessen stets die Widersprüche. Oder kreiert bewusst selbst welche: „Corsage“ ist absichtsvoll anachronistisch, da sieht man eine Ukulele, da trinkt Sisi Aperol Sprizz. Kreutzer dazu: „Ich habe so viel gelesen, dass ich alles ,korrekt‘ hätte machen können, aber das war für mich uninteressant.“

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